Freispruch für Journalistin Meşale Tolu

Istanbuler Strafgericht spricht die deutsche Journalistin aus Mangel an Beweisen frei

  • Svenja Huck
  • Lesedauer: 3 Min.

Vier Jahre dauerte der Prozess, am Montag wurde die deutsche Journalistin und Übersetzerin Meşale Tolu vom Strafgericht in Istanbul freigesprochen. Ihr war vorgeworfen worden, Mitglied einer Terrororganisation, der Marxistisch-Leninistischen-KP, zu sein sowie Terrorpropaganda zu betreiben.

2017 saß Tolu monatelang in Untersuchungshaft, zeitweise hatte sie ihren damals zweijährigen Sohn bei sich. Mittlerweile durfte sie die Türkei verlassen und lebt mit ihrer Familie in Neu-Ulm. Letztes Jahr hatte die Staatsanwaltschaft dann Freispruch für Tolu beantragt - aus Mangel an Beweisen. Nach der Urteilsverkündung twitterte sie: »Das Urteil kann die Repressionen und die Zeit in Haft nicht wiedergutmachen.«

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Bereits beim letzten Verhandlungstermin im Dezember 2021 wurde mit einem Urteil gerechnet, doch der Prozess wurde vertagt, da sich der Gerichtsvorstand geändert habe. Dies erinnert an den Tag von Tolus Freilassung aus dem Gefängnis, an dem sie trotz Haftentlassung noch stundenlang auf einer Polizeiwache festgehalten wurde und erst durch Druck des deutschen Botschafters und der Öffentlichkeit wirklich frei kam.

Für Tolu war der vierjährige Prozess eindeutig politisch motiviert und nicht nur gegen sie persönlich gerichtet. Vielmehr sollten oppositionelle Journalist*innen und Aktivist*innen eingeschüchtert werden - auch in Deutschland. Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen Deutschland, war zur Prozessbeobachtung in Istanbul und twitterte nach der Urteilsverkündung: »Dieses Verfahren hätten nie stattfinden dürfen: Das Verfahren gegen Meşale Tolu war ein weiteres Willkürverfahren und ein Beweis für die Nicht-Rechtsstaatlichkeit in der Türkei. Die Vorwürfe waren aus Sicht von Reporter ohne Grenzen stets unbegründet!«

Im selben Gericht fand gleichzeitig die dritte Verhandlung des Gezi-Prozesses statt. Insgesamt 52 Beschuldigten wird vorgeworfen, im Sommer 2013 den Umsturz der Regierung geplant zu haben. Damals nahmen Millionen Menschen an Protesten gegen die Bebauung des Istanbuler Gezi-Parks teil, die sich schnell zu landesweiten Demonstrationen gegen die Regierung ausweiteten.

Der Hauptangeklagte Osman Kavala, Unternehmer und Vorsitzender der Anadolu Kültür-Stiftung, befindet sich seit über 1500 Tagen in Haft. Der Europarat hatte kürzlich ein Strafverfahren gegen die Türkei ankündigt, da diese sich der Anordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Kavalas Freilassung widersetzt. Bis zum 19. Januar hat die Türkei Zeit, sich dazu zu äußern - die gestern beschlossene Haftverlängerung für Kavala ist offenbar ihre Antwort. Kavala selbst und seine Unterstützer*innen nehmen an, dass hinter diesem Urteil der Wille des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan persönlich stecke und es sich um eine Machtdemonstration handele, um politische Oppositionelle einzuschüchtern. Die nächste Sitzung des Gezi-Prozesses findet am 21. Februar statt.

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