Im Visier von Ramsan Kadyrow

Der tschetschenische Präsident verfolgt die Familie des Menschenrechtlers Abubakar Jangulbajew

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 4 Min.

Abubakar Jangulbajew lebt gefährlich: Der Anfang 30-jährige Tschetschene arbeitet als Anwalt für die nordkaukasische Filiale des russischen Komitees gegen Folter, welches regelmäßig Entführungen, Morde und Folter durch tschetschenische Sicherheitskräfte ans Licht bringt - und damit den Zorn von Republikchef Ramsan Kadyrow erregt. Im vergangen Dezember ließ das Oberhaupt der Kaukasusrepublik, in der immer wieder Menschen spurlos verschwinden, 40 Verwandte Jangulbajews festnehmen und Ermittlungen wegen Terrorismusverdacht gegen den Menschenrechtler eröffnen. Zudem unterstellte er ihm Verbindungen zu oppositionellen Telegram-Kanälen.

Am vergangenen Donnerstag hat Kadyrow nun wieder gegen Jangulbajews Familie zugeschlagen - diesmal allerdings in der Wolgastadt Nischni Nowgorod, mehr als anderthalb Tausend Kilometer von Tschetschenien entfernt. Maskierte Männer fuhren in Autos mit tschetschenischen Nummernschilder vor dem Haus von Jangulbajews Eltern vor, brachen in deren Wohnung ein und entführten Jangulbajewas Mutter Sarema Musajew. Diese solle in einem Betrugsfall als Zeugin vernommen werden. Von seinem Vater Sajdi Jangulbajew ließen die Männer, welche sich als Polizisten ausgaben, ab - nachdem sich dieser als pensionierter Richter des Obersten Gerichts Tschetscheniens ausgewiesen hatte. Die Polizei traf erst nach drei Stunden am Tatort ein. Der örtliche Filiale des Inlandsgeheimdienstes FSB weigerte sich, einen Hilferuf per Telefon anzunehmen, schreibt die »Nowaja Gaseta«.

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Seine Mutter leide an Diabetes und schwebe ohne Insulin in Lebensgefahr, befürchtete Abubakar Jangulbajew am Donnerstagabend in mehreren TV-Interviews. Das Komitee gegen Folter - das trotz seiner Einstufung als ausländischer Agent seine Tätigkeit fortsetzt - reichte Eilbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein und benachrichtigte die UN. Amnesty International forderte die Freilassung der Tschetschenin. Putins Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa forderte Auskunft von den tschetschenischen Behörden.

Statt der zuständigen Beamten meldete sich jedoch Ramsan Kadyrow selbst zu Wort. Es handele sich um eine abgestimmte Aktion, erklärt er am Donnerstagabend. Die Jangulbajews seien Terroristen - auch Vater Sajdi Jangulbajew, dessen Namen »aus der Geschichte der Justiz getilgt« werden müsse, so Kadyrow in seinem Telegram-Kanal. Die Familie erwarte ein »Platz im Gefängnis, oder unter der Erde«. Das tschetschenische Fernsehen strahlte anschließend ein Video aus, in dem Sarema Musajew mit schleppender Stimme erklärt, sie erhalte ausreichend Insulin. Abubakar Jangulbajew geht davon aus, dass seine Mutter während der Aufnahmen unter dem Einfluss psychotropher Substanzen stand. Diese Praxis sei seit dem ersten Tschetschenienkrieg bekannt, zitiert ihn der Telegram-Kanal Sota. Jangulbajew kündigte an, mit juristischen Mitteln gegen Kadyrow vorzugehen.

Im Kreml gab man sich am Tag nach der Entführung ahnungslos. »Über solche Informationen verfüge ich nicht«, zitiert Ria Novosti Kremlsprecher Dmitri Peskow am vergangenen Freitag. Zwar habe er entsprechende Medienberichte gesehen, könne deren Wahrheitsgehalt aber nicht beurteilen. »Eine völlig fantastische Geschichte«, befand Peskow in einem Interview mit dem Radiosender Majak (Leuchtturm). »Wir ziehen es vor, solchen unbestätigten Mitteilungen keinen Glauben zu schenken.« Man lebe bekannterweise in einer Zeit voller Unwahrheiten. Ohnehin sei der Kreml für den Fall nicht zuständig, sondern die Ermittlungsbehörden. Die tschetschenischen Sicherheitskräfte genössen indes keine Sonderrechte und müssten sich streng ans Recht halten. »Das sind keine autonomen Einheiten!«

Ramsan Kadyrow zeigte sich davon unbeeindruckt. Am Sonnabend rief er zur Ergreifung der Jangulbajews auf. »Und wenn sie sich widersetzen, werden sie als Komplizen von Terroristen eliminiert«, hetzte der Republikchef auf Telegram. Die Familie hätte zu Terrorismus und Extremismus aufgerufen und stünde hinter einem Anschlag auf einen tschetschenischen Beamten in der Türkei. Noch am selben Tag floh daraufhin Vater Sajdi Jangulbajew mit seiner Tocher Alija aus Russland, teilte das »Komitee gegen Folter«, am Sonntag mit. Das Ziel der Flucht ist vorerst unbekannt.

Am Tag darauf brach Abubakar Jangulbajews Kontakt zu den Verwandten in Tschetschenien ab. 15 Familienmitglieder seien telefonisch nicht mehr zu erreichen, Bekannte hätten in den Wohnungen in Grosny niemanden mehr angetroffen, zitiert ihn das Investigativmedium »The Insider«. Ramsan Kadyrow forderte am Montag die Festnahme von Igor Kaljapin, Vorsitzender des »Komitees gegen Folter« sowie Mitglied des Menschenrechtsrates beim Präsidenten, und der Journalistin Jelena Milaschina von der »Nowaja Gazeta«. Beide setzten sich viel mit Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien auseinander. Kadyrow besschimpfte sie auf Telegram als »Terroristen«.

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