Peru stolpert von einer Regierungskrise zur nächsten

Der linke Präsident Pedro Castillo hat kein glückliches Händchen bei Personalentscheidungen und kommt mit Reformen nicht voran

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 4 Min.

Vier neue Regierungen seit Ende Juli 2021 – die politische Instabilität Perus lässt sich greifen. Präsident Pedro Castillo, der mit so großen Erwartungen vereidigt worden war, taumelt von Regierungskrise zu Regierungskrise. Am Dienstagabend stellte der ehemalige Dorflehrer sein viertes Kabinett vor – keine sieben Monate nach seiner Vereidigung. Der erste Präsident aus der Mitte des Volkes, mit indigenen Wurzeln, ein Mann der Reformen, der auf Bildung und auf Förderprogramme in der Landwirtschaft setzen wollte. Das Vertrauen vieler Wähler*innen in den Mann, der als Markenzeichen stets den Strohhut seiner Heimatregion Cajamarca trägt, ist merklich gesunken.

Sofia Mauricio Bacilio ging auf die Straße, um gegen den gerade erst vereidigten Kabinettschef Héctor Valer zu demonstrieren. Vor dem Ministerium für Frauen sammelte sich der Protestzug, denn Valer ist 2016 wegen häuslicher Gewalt gegen seine Ehefrau und seine Tochter angezeigt worden. 2017 wurden für beide Schutzmaßnahmen verfügt. Untragbar war deshalb der Rechtsanwalt, der in seiner politischen Karriere zudem häufig die Parteien wechselte, für viele Frauen, aber auch für etliche Abgeordnete. Der Rücktritt sorgte am Sonntag für eine neue Regierungskrise, die nicht nur die politische Unerfahrenheit, sondern auch die Führungsschwäche des Präsidenten belegt.

Wenig Hoffnung hat Sofia Mauricio Bacilio, eine Aktivistin für die Grundrechte der Hausangestellten, dass die Regierung die Kurve noch kriegt. Damit ist sie nicht allein. Eine Clique von Beratern halte den Präsidenten von seinen eigenen Ministern fern und treffe Regierungsentscheidungen, klagt die Ex-Premierministerin Mirtha Vásquez, die vergangene Woche ihren Rücktritt einreichte.

Castillos Amtsführung sei von paternalistischen Strängen durchzogen, nicht nur bei der Postenvergabe. Zudem herrsche auch in der Familienpolitik ein konservatives und frauenfeindliches Familienbild vor, so Kritiker des Präsidenten.

Castillo macht grundlegende Fehler. Ein Auftritt mit Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, bei dem er sich von dem ultrarechten Brasilianer den Hut abnehmen und wie ein Hampelmann behandeln ließ, sorgt bei linken Kritiker*innen wie Entwicklungsexperte Carlos Herz für Entsetzen. Hinzu kommt der enorme Druck der rechten Parteien auf die Regierung, die keine parlamentarische Mehrheit hat.

Auch die Medien stellen sich größtenteils gegen Castillo. Das beschränkt den politischen Spielraum des Präsidenten, der mit regionalen Eliten paktiert. In Lima geht der Begriff des »linken Fujimorismus« um, den der Politologe Alberto Vergera prägte. Er beinhaltet das Paktieren des Präsidenten mit dem informellen Sektor. Aber auch mit Lehrer*innen, die sich ihrer Evaluierung widersetzen, illegalen Goldgräber*innen, die im Amazonasgebiet freie Hand haben, sowie mit dubiosen Bildungseinrichtungen, die von der Regierung bisher nicht angetastet werden, obwohl das lange überfällig ist.

Jaime Borda, Koordinator des bergbaukritischen Netzwerks »Red Muqui«, schätzt die Performance der Regierung derzeit als unzureichend ein. Im Bergbausektor, wo seit Jahren zahlreiche Konflikte schwelen und wo die zurückgetretene Premierministerin Verhandlungsinitiativen ergriffen hatte, warteten viele Basisorganisationen auf Lösungen, so Borda. »Es geht den Organisationen darum, dass sie bei Projekten mitbestimmen dürfen, dass der Staat Abmachungen auch einhält und nicht die Polizei mit Knüppeln schickt, wenn die Leute protestieren.« Doch im Süden, im Zentrum und im Norden des Landes nehme der Druck zu, »und eine glaubwürdige Vermittlerin fehlt nach dem Abgang von Vásquez«, meint Borda. Er hält ein Aufflackern der offenen Konflikte für denkbar.

Der neue Premierminister Aníbal Torres, vormals Justizminister, steht vor enormen Herausforderungen. Die politische Krise ist alles andere als gelöst. Die Forderungen nach einem Rücktritt Castillos werden lauter. Auch unter den eigenen Wähler*innen droht Perus Präsident an Rückhalt zu verlieren, weil er bisher keine kohärente Reformagenda auf die Beine gestellt hat. Eben darauf gründeten die Hoffnungen bei seinem Amtsantritt.

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