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Wenn der Aggressor gebastelt wird

Der Bericht der Münchner Sicherheitskonferenz wäscht die Nato rein und dämonisiert Russland

2022 so gibt es ebenso viele Anlässe, wie bei der Demonstration gegen die Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2020, die Sicherheitskonferenz als das Problem anzusehen.
2022 so gibt es ebenso viele Anlässe, wie bei der Demonstration gegen die Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2020, die Sicherheitskonferenz als das Problem anzusehen.

Kontrollverlust, unüberwindbar scheinende Krisen, überforderte Demokratien. «Diese Einschätzung ist brandgefährlich, denn sie kann zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden», stimmt die deutsche Kurzzusammenfassung auf den 182-seitigen «Münchner Sicherheitsreport 2022» ein.

«Gesellschaften, die zu dem Schluss gekommen sind, dass sie die schwierigsten Probleme der Menschheit nicht lösen können, werden unter Umständen gar keine Versuche mehr unternehmen, das Ruder herumzureißen», orakeln die Autor*innen düster und schaffen Handlungsdruck. «Werden sich unsere beanspruchten und überforderten Gesellschaften am Ende mit dem düsteren Szenario abfinden, das sie als ihr Schicksal ansehen, obwohl sie die Instrumente und Ressourcen besitzen, um es abzuwenden?»

2021 gab den Autor*innen viel Futter für ihre suggestive Bestandsaufnahme im Bereich der internationalen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. «Bindungsprobleme» betitelt man das Kapitel zur Sahelzone, die Frankreich mit der Entscheidung für den Abzug aus Mali nun quasi aufgegeben hat. Beim Blick auf die ersten Worte zur «Unruhe an der Ostflanke» ist der Grund für die Unruhe selbstverständlich Russlands bedrohliches Verhalten, dem nur durch ein gemeinsames Handeln von Nato und Europa abgeholfen werden könne.

Niemand muss eine dezidiert russlandfreundliche Position vertreten, um schon entlang der Aufmachung die Tendenz der Kapitel zu erkennen. Weitere Suggestivfragen verstärken das Bedrohungsgefühl. «Ist ein größerer Krieg in Europa möglich oder sogar wahrscheinlich?»

Wer sich auf den Bericht einlässt, hält Krieg in etwa für so wahrscheinlich und unabwendbar wie eine Grippe zur Winterzeit. Entwürfe für neue Sicherheitsabkommen, die Russland in Richtung Nato und USA unterbreitet hat, werden erwähnt, aber als unrealistisch abgetan, ohne sie überhaupt vorzustellen und abzuwägen. «Ist Russland bereit und willens, in den Krieg zu ziehen? Ist es nur ein weiterer riskanter Bluff?», heizt der Autor mit weiteren Suggestivfragen an.

Lesen Sie auch den Kommentar «Siko dient nicht der Diplomatie»
von Daniel Lücking

Die Bedrohungen, die im russischen Handeln der letzten Jahre stecken, werden ausgewalzt. Cyberattacken, der Tiergartenmord, die Behandlung Alexej Nawalnys und die Quasi-Selbstermächtigung Putins, bis 2036 regieren zu können, werden als unvereinbar mit einer «gemeinsamen europäischen Identität» dargestellt. Eine Identität, zu der in den letzten beiden Jahrzehnten gehört, dass unter konstruierten Vorwürfen, mobile Atomwaffenlabors zu betreiben, der Einmarsch in den Irak stattfand. Gedeckt durch einen vom Bundesnachrichtendienst BND aufgebauten Informanten mit dem Decknamen «Curveball», zu deutsch «Kurvenball». Dieser Ball musste am propagierten deutschen «Nein» zum Irak-Krieg, das der damalige SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder ausgesprochen hatte, vorbeigespielt werden. Dass letztlich auch deutsche Truppen in Kuwait stationiert waren, gerät allmählich in Vergessenheit.

Wesentlicher noch war der Umgang mit der westlichen Spionageaffäre, die durch die Hinweise von Edward Snowden aufzuarbeiten war. Das weltweite System der Überwachung, das selbst vor Bündnispartnern keinen Halt machte und, obgleich kaum behandelt, selbstverständlich auch Spionage in Richtung Russland beinhaltete, findet nicht ansatzweise selbstkritische Erwähnung.

Die Blockmächte nehmen sich in ihren Aktivitäten wohl eher wenig, wobei der russische Präsident Wladimir Putin wesentlich bereitwilliger das Image eines gefährlichen Staatsoberhauptes trägt als auf der anderen Seite des Atlantiks Sympathieträger wie Barack Obama, der Folter in Guantanamo zwar beklagte, aber nicht stoppte und dessen Umgang mit Hinweisgebern ebenso fragwürdig ablief, aber nicht ansatzweise in das Bewusstsein der westlichen Welt gerückt wurde, wie es aktuell mit dem Handeln Russlands geschieht.

Drohnenmorde, die die USA in Afghanistan, Pakistan, dem Irak oder auch in afrikanischen Ländern weiterhin begehen, thematisiert der Bericht nicht als geschaffene Verunsicherung, die den weltweiten Frieden bedroht. Nicht auszudenken, würden russische Drohnen im selben Umfang Operationen, gestützt durch die russische Auslandsaufklärung «GRU», durchführen, wie es der US-Dienst CIA tut und dabei für viele zivile Opfer verantwortlich ist.

Kein Freibrief

Ein Freibrief für russisches Handeln darf all das natürlich nicht sein, aber zumindest das nüchterne Eingeständnis, dass sich die einst im Kalten Krieg verfeindeten Blockmächte auch im 21. Jahrhundert in nichts nachstehen und die Zivilbevölkerung fragend zurücklassen, wem Krieg eigentlich jemals etwas gebracht hat. Mit dem einseitigen Blick auf ein angeblich ausschließlich russisches Problem sorgt der Bericht der Münchner Sicherheitskonferenz für eine schwächere und weniger glaubwürdige diplomatische Position Deutschlands bei den Gesprächen mit Russland.

Für erheiternde Momente taugt im Bericht dann immerhin ein Zitat des Noch-Generalsekretärs Jens Stoltenberg. Er wies kürzlich darauf hin, dass die Nato ihre Truppenhaltung regelmäßig evaluiere, was sogleich die Frage aufwirft, wie eine solche Evaluation für Afghanistan ausgesehen haben mag. Bekannt geworden ist sie zumindest für deutsche Truppen nicht und mehr als eine Absichtserklärung, sich in dieser Legislaturperiode mit einer Evaluation zu befassen, ist bislang auch nicht erkennbar.

Unverblümt wird mit Umfragen und Untersuchungen auch am Pazifismus gekrittelt. So sei in Deutschland, Frankreich und Italien die Öffentlichkeit auch noch zurückhaltender als die Öffentlichkeit in Kanada, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten, sich wirtschaftlich und militärisch gegen Russland zu stellen, so der Bericht. Angeblich seien die «kontinentaleuropäischen Eliten von »geopolitischer Naivität« geprägt und litten unter einem »vereinfachenden Pazifismus, der die Gründe für Krieg und Frieden nicht kennt«. Dass der eigentliche Hauptgrund dafür in Propaganda liegen kann, zeigt der Siko-Bericht eindrucksvoll.

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