Iwan, Anton, Nikolai - Söhne, Brüder, Väter

Brandenburgs Landtagsabgeordnete erschüttert von den Ereignissen in der Ukraine

Mit mehr als einer halben Stunde Verspätung beginnt am Donnerstagmorgen die Landtagssitzung. Der Ältestenrat hat sich in dieser Zeit verständigt, dass abweichend von der Tagesordnung zunächst über die Ereignisse in der Ukraine gesprochen wird.

»Die schlimmsten Befürchtungen sind wahr geworden«, sagt Parlamentspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD). »Wir nehmen die Lehren aus der Geschichte ernst, an die im Landtag an jedem 8. Mai erinnert wird«, versichert sie mit Blick auf die Befreiung vom Faschismus. »›Nie wieder Krieg!‹ haben wir gelernt, gelebt und geglaubt.« 1958 ist Liedtke geboren - in der DDR.

»Die Menschen in Brandenburg wollen Frieden, sie wollen Freundschaft mit anderen Völkern, auch mit dem russischen Volk«, betont Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Der Krieg in der Ukraine sei eine Tragödie für die Menschen dort und vermutlich auch für die Menschen in Russland. Viele Brandenburger, die sich für gute Beziehungen zu Russland einsetzen, seien jetzt enttäuscht - auch er selbst. Woidke sagt, er müsse nun an die Gedenkstätte für sowjetische Soldaten denken, die er 2018 mit dem russischen Botschafter Sergej Netschajew eingeweiht hat. Da hatten die Gefallenen Namen erhalten. Peter, Iwan, Anton oder Nikolai - Söhne, Brüder Väter, fast alle sehr jung gestorben. Woidke ringt um Fassung, als er das erzählt. »Nie wieder Krieg!«, sagt er. »Präsident Putin, stoppen sie diese Aggression!«

Die Landtagsabgeordneten stehen auf und spenden dem Ministerpräsidenten Beifall. Nur die AfD bleibt sitzen. Nur einzelne in dieser Fraktion wie Lars Hünich klatschen auch.

Als er am Morgen aufgewacht sei, habe er es noch für selbstverständlich gehalten, »dass wir in Frieden leben«, erzählt Linksfraktionschef Sebastian Walter. »Alles, was so undenkbar schien, ist jetzt real.« 31 Jahre ist Walter alt. Seine Großmutter hat im Februar 1945 die Bombardierung von Dresden miterlebt und ihm davon erzählt. Er dachte dann immer, er selbst werde so etwas nie erleben müssen. Aber da sei er sich jetzt nicht mehr so sicher - zumal er die Entwicklung in den zurückliegenden Tagen selbst falsch eingeschätzt habe, wie er gesteht. Walter geht Jewgeni Jewtuschenkos Friedensgedicht von 1961 im Kopf herum, das auch vertont wurde: »Meinst du, die Russen wollen Krieg?« Auch russische Söhne würden nun sterben, auch sie gehören zu den Opfern des Angriffskrieges, den Präsident Wladimir Putin führe, sagt Walter. Er wird bald Vater. Seine Frau erwartet einen Sohn. Errechneter Geburtstermin ist der 8. März. Walter wünscht sich, dass sein Sohn nie eine Waffe in die Hand nehmen muss. Der Politiker ruft zu Friedensdemonstrationen auf, um »dem Regime in Moskau zu zeigen, dass Krieg nicht der richtige Weg ist«. Außerdem müsse auch Brandenburg Kriegsflüchtlinge aufnehmen.

»Hilfe für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, das unterstützen auch wir«, beteuert AfD-Fraktionschef Christoph Berndt, der lieber erst am Freitag in einer Extra-Sondersitzung des Landtages über die Lage in der Ukraine diskutiert hätte, wenn mehr Informationen vorliegen. Für den Moment so viel: Die Situation sei durch das Eingreifen russischer Truppen eskaliert. »Das verurteilen wir.« Von Sanktionen hält Berndt nichts. Die seien bisher schon wirkungslos gewesen. Die Bundesregierung sollte als Vermittler auftreten. Es gebe auch ein Sicherheitsinteresse Russlands, das zu berücksichtigen sei.

Die Sanktionen hält Grünen-Fraktionschefin Petra Budke für richtig. Aber: »Waffenlieferungen in die Ukraine lehnen wir ab. Waffen sind keine Lösung für Konflikte.« Da fällt der Beifall spärlich aus. Nur Linke, Grüne einzelne Sozialdemokraten applaudieren.

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