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Keine Waffen aus Deutschland

Die Bundesregierung bleibt bei ihrer Vermittlerrolle, hält sich aus dem militärischen Bereich aber auch nicht komplett heraus

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Gespräche über die Reaktionen Deutschlands auf den Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine gehen in die nächste Runde. Am Mittwochvormittag tagten das Sicherheitskabinett der Bundesregierung und der Europa-Ausschuss des Bundestags. Am Nachmittag kam dann der Auswärtige Ausschuss zu einer Sondersitzung zusammen. Außerdem traf sich Außenministerin Annalena Baerbock in Berlin mit ihrem französischen Amtskollegen Jean-Yves Le Drian. Es sei wichtig gewesen, »auch auf nationaler Ebene zu zeigen: Für eine freie, souveräne und demokratische Ukraine nehmen wir wirtschaftliche Folgen in Kauf«, sagte Baerbock bei einer gemeinsamen Pressekonferenz. »Frieden und Freiheit in Europa haben kein Preisschild«, verteidigte die Grünen-Politikerin den am Montag beschlossenen Stopp der Zertifizierung der Gaspipeline Nord Stream 2: »Meine Position zu dem Projekt kennen Sie bereits nur zu gut.« Jetzt, wo man sich »in einem neuen Spiel mit Russland« befinde, sei es »umso wichtiger«, die Konsequenzen für das Projekt »deutlich aufzuzeigen« und »voll durchzuziehen«.

Fraglich ist, ob sich Moskau von den bisherigen Sanktionen, auch denen der EU, beeindrucken lässt. Der Rede Wladimir Putins vom Montag folgend, könnten die sogenannten »Volksrepubliken« um Donezk und Luhansk jedenfalls nur der Anfang einer größeren Offensive gewesen sein. Nachdem der russische Präsident der Ukraine de facto das Existenzrecht abgesprochen hat, rechnen einige Beobachter*innen gar mit einem Angriff auf das gesamte Land. Überhaupt lässt Putin gefährlich offen, wie weit zu gehen er bereit ist – in jedem Falle aber scheint er gewisse Sanktionen, mindestens das Aus für Nord Stream 2, in seine strategischen Überlegungen bereits eingepreist zu haben. »Niemand kann in den Kopf des russischen Präsidenten schauen. Wir sind auf alle Szenarien vorbereitet«, sagte Baerbock. Man wolle »das Schlimmste verhindern«, die »Souveränität und das Recht der Menschen, in ihrem eigenen Land frei und sicher leben zu können, auf jeder Ebene verteidigen«.

Scholz: »Größter finanzieller Stabilisator«

Es gebe sehr unterschiedliche Szenarien, fügte die Ministerin an, entsprechend lesen lässt sich die Strategie des Westens und auch der Bundesregierung: Sanktionen ja, aber mit Luft nach oben. Das richtige Maß zu finden angesichts eines russischen Präsidenten, der die europäische Landkarte neu zeichnen will, sowie der Gefahr weiterer Eskalationen mit zunehmender beiderseitiger Aufrüstung ist eine Herausforderung. »Es geht auf der einen Seite um die Sicherheit der Ukraine, dass es zu keiner weiteren militärischen Eskalation kommt«, es gehe aber auch »um unsere internationale Ordnung«, sagte Baerbock auf der Pressekonferenz mit ihrem »Freund« Le Drian: »Diese Welt wird nach dieser Russland-Krise eine andere sein.«

Deutschland agiert hierbei etwas vorsichtiger als andere Nato-Staaten, auch weiterhin wird sich das Scholz-Kabinett nicht an Waffenlieferungen an die Ukraine beteiligen. »Das ist eine unveränderte Situation«, hatte der Kanzler am Dienstag gesagt und hinsichtlich der deutschen Vorgehensweise weiter ausgeführt: »Das, was wir machen, ist die ökonomische und wirtschaftliche Resilienz der Ukraine zu stärken, indem wir unverändert der größte finanzielle Stabilisator der Ukraine sind.«

Auch in der Vergangenheit war Deutschland im Konflikt zwischen Russland und dem Westen für seine Vermittlerrolle bekannt, die neue Bundesregierung will diese nun offenbar weiter fortsetzen – auch wenn die deutschen Bemühungen um Deeskalation, die es schon unter Scholz' Vorgängerin Angela Merkel gegeben hatte, mit dem faktischen Ende des Minsker Abkommens einen erheblichen Dämpfer bekommen haben. Andererseits ist es schon jetzt so, dass sich Deutschland im militärischen Bereich nicht komplett heraushält: Die Bundesregierung will 5000 Schutzhelme für ukrainische Soldat*innen liefern, ebenso im Raum steht weiterhin eine Anfrage Estlands zur Genehmigung der Lieferung von Haubitzen. Diese stammen ursprünglich aus der DDR, gehörten später der Bundesrepublik und wurden in den 90er Jahren zunächst nach Finnland verkauft. Zudem stellte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) eine weitere Aufstockung der in Litauen stationierten deutschen Truppen in Aussicht.

Ukraine setzt Deutschland unter Druck

Doch Deutschland steht unter Druck, militärisch noch mehr zu liefern, einerseits von der ukrainischen Regierung, andererseits von der heimischen Opposition. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, hat der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, über Twitter »Zynismus pur« vorgeworfen: »Auch wenn man mit Defensivwaffen ein einziges Leben eines Soldaten oder Zivilisten retten könnte, würde sich diese Entscheidung über Waffenlieferungen der Ampel lohnen. Anstatt dessen ist man bereit, das Morden von Hunderttausenden einfach in Kauf zu nehmen«, schrieb Melnyk.

Die FDP-Politikerin zeigte sich daraufhin verständnisvoll für die Sorgen der Ukraine, dennoch sei das Auftreten des Botschafters in Berlin befremdlich: Zu unterstellen, Deutschland würde leichtfertig Hunderttausende Tote in Kauf nehmen, sei »maßlos«, so Strack-Zimmermann: »Er verwechselt Freund und Feind.« Die Ukraine hatte Anfang Februar bei der Bundesregierung eine Reihe von »defensiven« Waffensystemen angefordert, darunter sind Flugabwehrsysteme, Anti-Drohnen-Gewehre, elektronische Ortungssysteme, Sanitätsfahrzeuge, Nachtsichtgeräte und Munition. Die Anfrage wird derzeit geprüft. Generell lehnt es die Bundesregierung ab, »tödliche« Waffen in Krisengebiete zu liefern. Auch verschiedene Unionspolitiker wie der CDU-Verteidigungsexperte Johann David Wadephul kritisieren die ablehnende Haltung der Bundesregierung zu Waffenlieferungen.

Die Linke im Europaparlament hat sich derweil gegen Sanktionen ausgesprochen, diese als »gefährlichen Irrweg« bezeichnet: »Die aktuelle Eskalationsspirale lehnen wir schlicht ab. Es handelt sich um einen Konflikt zur Sicherung oder Ausdehnung der jeweiligen Einflusssphären«, sagte die außenpolitische Sprecherin Özlem Alev Demirel. Nicht nur unter »dem drohenden Krieg«, auch unter den Sanktionen würden die Menschen in der Ukraine leiden, beide Seiten für die gefährliche Entwicklung in der Ostukraine verantwortlich machend: »Wir müssen endlich zur Deeskalation und Diplomatie kommen. Ansonsten droht, dass irgendwann die ›Patronen‹, mit denen die EU meint, gegen Russland schießen zu müssen, nicht mehr nur aus Sanktionen bestehen«, so Özlem Alev Demirel.

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