Albtraum Lohnarbeit

Die Serie »Severance« erzählt von der Lohnarbeit in der Zukunft und entwirft eine bizarre Dystopie kapitalistischer Entfremdung

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
In »Severance« hat immerhin niemand ein Problem mit der Work-Life-Balance. Es gibt nur Arbeit ODER Leben
In »Severance« hat immerhin niemand ein Problem mit der Work-Life-Balance. Es gibt nur Arbeit ODER Leben

Arbeitgeber lieben Angestellte, die sich mit ihrer Tätigkeit identifizieren und im Job voll aufgehen. Mit welch technokratischer und trotz flacher Hierarchien letztlich autoritärer Herangehensweise Manager die »Ressource Mensch« in Arbeitsprozessen zur Effizienzsteigerung zurichten, zeigt Carmen Losmanns großartiger Dokumentarfilm »Work Hard Play Hard« (2011), der im einen oder anderen Moment wie dystopische Science-Fiction anmutet. Das Fantastik-Genre spiegelt die sonst gesellschaftlich so breit diskutierte Zukunft der Arbeit leider eher selten wider. Mit »Severance« gibt es nun aber eine beeindruckende zehnteilige Science-Fiction-Serie, in der Menschen mittels einer medizinischen Prozedur ihre Persönlichkeit aufspalten in ein Arbeits- und ein Freizeitbewusstsein.

Im Job leitet Mark (Adam Scott) ein vierköpfiges Team, das im Bereich der Makrodaten-Verfeinerung des Lumon-Konzerns arbeitet. Aber sobald er das Büro verlässt und mit dem Aufzug nach unten fährt, vergisst er alles, was in seiner Arbeit passiert ist und schlüpft in sein privates Ich. Während seines Jobs wiederum weiß er nichts von seinem Leben draußen.

Diese Prozedur, bekannt als die Titel gebende »Severance«, was im Deutschen mit Abfindung übersetzt werden kann, ist in dieser fiktionalen Zukunft ein höchst umstrittenes Politikum, über das medial ebenso diskutiert wird wie auch einmal eine Punkband bei einem Konzert zu dem Mark geht, einen hasserfüllten Anti-Severance-Song schmettert. Davon wissen der Arbeits-Mark und sein Team im Büro natürlich nichts, wo sie an Rechnern sitzen und skurrile Zahlenreihen bearbeiten. Was wirklich ihre Tätigkeit ist, davon haben weder sie noch die Zuschauer Ahnung. Als Helly (Britt Lower) nach ihrer Severance-Prozedur neu zum Team stößt und sich erst gegen die für sie völlig unverständliche Existenz wehrt, mischen sich hierarchisch streng gegliederte Vorgesetzte ein, unter anderem Mr. Milchick (Tramell Tillmann), der wie ein Sportlehrer den Alltag des Teams begleitet und die Chefin Peggy (Patricia Arquette), die regelmäßig per Lautsprecher mit einem anonymisierten, nie sichtbaren »Board« spricht, das als Konzernleitung Vorgaben macht.

Das Lumon-Gebäude wiederum ist ein kafkaeskes Labyrinth enger weißer Flure, die Computer, an denen gearbeitet wird, sehen aus wie aus den 1970er Jahren. Diese künstliche Vintage-Ästhetik bestimmt konsequent die Arbeitswelt, während draußen dauerhaft Winter ist. Und plötzlich taucht bei Mark zu Hause ein gehetzter, verfolgter Mann auf, der vorgibt, früher sein Kollege gewesen zu sein.

»Severance«, in einigen Feuilletons vorab schon als schräge Satire auf das viel diskutierte Thema der Work-Life-Balance gehandelt, ist eine kunstvolle Allegorie auf die Entfremdung kapitalistischer Lohnarbeit. Dabei wird die Arbeitswelt mit all ihren ebenso flachen wie messerscharfen Hierarchien, dem Anspruch, in den Arbeitsprozess seine Persönlichkeit einzubringen, dem Leistungsdruck, dem Verhältnis von Vorgesetztem zu Untergebenem und einem Belohnungsschema ungemein skurril in Szene gesetzt. Da wird dann das Büro beim erfolgreichen Quartalsabschluss auch mal in eine Art Disco verwandelt und es werden leckere Häppchen gereicht. Wobei die nächste freundlich angetragene Gängelung durch Vorgesetzte nicht weit ist.

Irgendwann beginnen die Angestellten die Regeln subversiv zu unterlaufen und sich mit Menschen aus anderen Abteilungen auszutauschen. Gibt es gar eine Möglichkeit, Kontakt mit dem eigenen Ich außerhalb der Arbeit aufzunehmen? Die von der eigenen Persönlichkeit abgespaltene Arbeitsrealität wird zum anästhesierten Zustand, gegen den sich irgendwann heftiger Widerstand regt.

Die Qualität von »Severance« liegt in der radikalen Abstraktion des Themas Arbeit, der dazugehörigen Hierarchien und in der Ästhetisierung dieses letztlich dann ungemein konfliktreichen Verhältnisses. Das ist nicht als mainstreamige Unterhaltung angelegt und hat in dieser sehr kunstvollen Arthouse-Inszenierung aber auch durchaus seine Längen. Mitunter verliert sich die Serie etwas selbstverliebt in der eigenen Ästhetik, die mit ihrem schrägen Vintage-Chic aber durchaus stilprägend werden könnte. Unter anderem zeichnet sich Ben Stiller als Regisseur der starbesetzten Serie verantwortlich, in der auch John Turturro und Christopher Walken zu sehen sind. Am Ende der ersten Staffel nimmt die erst recht langsame Erzählung dann unheimlich Fahrt auf und endet mit einem unglaublichen Cliffhanger in einem temporeichen und mitreißenden Finale. Es darf spekuliert werden, ob die Serie fortgesetzt wird. Zu wünschen wäre es.

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