Rückzug aus Russland

Westliche Konzerne wollen das Land verlassen, doch das geht nicht so einfach

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Den Anfang machte BP. Am Sonntagabend gab der britische Energiekonzern bekannt, dass er bei Rosneft aussteigen will - als Folge des Ukraine-Krieges. Vor der Krise war die Beteiligung von 19,75 Prozent am russischen Ölkonzern mehr als zehn Milliarden Euro wert. Am Montagabend gab die britische Shell bekannt, sich von ihren Anteilen an den Flüssiggas-Anlagen auf Sachalin zu trennen, die zur Hälfte Gazprom gehören. Am Mittwochmorgen kündigte US-Ölgigant Exxon-Mobil seinen Rückzug an, die französische Total dürfte bald folgen.

Dabei ist die Zahl der Beschäftigten in Russland jeweils eher klein. Bei Exxon-Mobile werden sie auf tausend geschätzt. Bedeutender sind Kapitalbeteiligungen und die damit verbundenen Erlöse aus dem geförderten Öl und Erdgas sowie der Technologietransfer. Auch für Russland geht es bei den Beteiligungen westlicher Konzerne vor allem um Technologie. Aus älteren Bohrfeldern konnten teilweise weniger als die Hälfte der vorhandenen Reserven gefördert werden, doch mit modernster Technik kann der Ausbeutungsgrad solcher Lagerstätten deutlich erhöht werden.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Der angekündigte Verkauf von Anteilen würde daran zunächst wenig ändern. Er stößt ohnehin auf Schwierigkeiten. Käufer für die Anteile von BP, Shell & Co. zu finden, dürfte in der aktuellen Situation unmöglich sein. Infolge des Kurssturzes an den Börsen sind die meisten Beteiligungen außerdem zurzeit nahezu wertlos. Am Dienstag gab Ministerpräsident Michail Mischustin zudem bekannt, dass Moskau es ausländischen Investoren verbieten will, sich von ihren Aktiva in Russland zu trennen.

Von dem Verkaufsverbot sind auch deutsche Firmen betroffen. Beispielsweise froren Daimler Truck und der Autozulieferer ZF Friedrichshafen ihre Geschäftsbeziehungen mit dem russischen Fahrzeughersteller Kamaz zunächst ein. Mercedes hält 15 Prozent an dem Lastwagenhersteller.

Weitere Rückzieher dürften folgen. Insgesamt sind derzeit 3651 Firmen mit deutschem Kapital in Russland registriert, meldet die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer. Die vergangenen Jahre waren laut Bundesbank mit Ausnahme vom Corona-Jahr 2020 von Rekord-Direktinvestitionen geprägt: 2018 investierte die deutsche Wirtschaft 3,4 Milliarden Euro in russische Standorte, 2019 knapp zwei Milliarden Euro und in den ersten drei Quartalen 2021 mehr als 1,3 Milliarden Euro.

Was treibt Unternehmen nun zum Rückzug? Da sind zunächst die neuen westlichen Sanktionen, andere gelten bereits seit 2014. Diese haben viele Mittelständler verschreckt. So war die Zahl deutscher Firmen in Russland vor der Krim-Krise mit 6300 noch deutlich höher. Manche Vorstände verweisen auch auf die »Werte«, denen ihr Unternehmen verpflichtet sei.

Ob allen Ankündigungen Taten folgen werden, bleibt abzuwarten. »Ich halte den Rückzug westlicher Unternehmen aus Russland für wenig wahrscheinlich«, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Heinz-J. Bontrup gegenüber »nd.derTag«. »Dies würde für die Unternehmen beträchtliche milliardenschwere Desinvestitionen beziehungsweise Abschreibungen bedeuten.« Gleichzeitig würde damit die russische Wirtschaft großen Schaden nehmen, und es gäbe auf beiden Seiten nur Verlierer. »Ich empfehle, die Vernunft walten zu lassen, wenn das auch emotional jetzt schwerfallen mag«, so Bontrup. Man solle sich immer rechtzeitig »den Landeplatz« ansehen, auf dem man wieder zusammenfinden könne. »Es darf nie - das gilt für beide Seiten - am Ende ein Exit aus der Konfrontation versperrt sein«, mahnt der Ökonom.

So betreibt VW ein Produktionswerk in Kaluga, 200 Kilometer von Moskau entfernt, weiter. Die LLC Volkswagen Group Rus beschäftigt 5000 Mitarbeiter, die die beliebten VW-Modelle Tiguan und Polo herstellen. VW hält an seiner Produktion vor Ort fest. Grund sei die Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern, wie »Business Insider« berichtet. Es ginge dabei vor allem um die Arbeitsplätze und das Einkommen - aber auch die allgemeine Sicherheit müsste vom deutschen Konzern gewährleistet werden.

Ein Sonderfall ist die BASF-Tochtergesellschaft Wintershall Dea, die eine der wichtigsten Geschäftspartner des staatlichen russischen Gasriesen Gazprom ist. In einem Tauschgeschäft hatte der Ludwigshafener Chemiekonzern BASF den Russen 2015 die Handelsgesellschaft Wingas vermacht und damit den Zugang zum Endkundenmarkt in Deutschland verschafft, um im Gegenzug Anteile an den russischen Erdgasreserven zu erhalten. Schon länger plant der Chemiekonzern BASF aber, sich von der eigenen Gasförderung zu trennen. Das stößt bei der russischen Miteigentümerin Letter One auf Kritik. In der Investmentholding sorgt man sich, dass das zehn Milliarden Euro schwere Unternehmen unter Wert verkauft wird.

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