Ein vergessener Krieg

Um die Westsahara schwelt ein Konflikt, der auch Auswirkungen auf Europa hat

  • York Schaefer
  • Lesedauer: 3 Min.

Jahrzehntelang herrschte Stillstand im Konflikt um die Westsahara, einem weitreichenden Konflikt um große Themen wie Dekolonisierung, die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und das Recht der Völker auf Selbstbestimmung. Der seit dem Waffenstillstand 1991 andauernde diplomatische Kampf der sahrauischen Befreiungsbewegung Frente Polisario gegen die völkerrechtswidrige Besetzung ihres Landes durch Marokko war lange ein festgefahrener und auch weitgehend vergessener Kampf.

Gemessen daran haben sich die Ereignisse in der immer wieder als letzte Kolonie Afrikas gelabelten Westsahara seit Ende 2020 nahezu überschlagen: erneuter Krieg zwischen Marokko und der Polisario, die solitäre Anerkennung der marokkanischen Besatzung durch die Trump-Administration, eine diplomatische Eiszeit zwischen Berlin und Rabat. Hinzu kamen Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) mit Folgen für die umfangreichen Wirtschaftsabkommen zwischen dem Königreich und der EU.

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Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Hier setzt der jüngst erschienene Band an, der die Beiträge eines Symposiums mit internationalen Wissenschaftler*innen, Politiker*innen und Aktivist*innen zusammenfasst. Wichtigste These: Um die Westsahara schwelt ein territorialer Konflikt von geopolitischer Dimension, der nicht nur die Stabilität im Maghreb-Raum und in der Sahel-Zone bedroht, sondern vielschichtige Auswirkungen auch auf Europa hat.

Nach einem Beitrag, der die Sichtweise der Frente Polisario darstellt, geht es in mehreren Texten um die politisch-rechtliche Perspektive des Konfliktes. Hier analysiert der US-amerikanische Friedensforscher und Westsahara-Experte Jacob Mundy das Ende des heute fast unmöglich erscheinenden Friedensprozesses, an dem zwischen 2017 und 2019 auch der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler als oberster UN-Vermittler beteiligt war. »Der Ausbruch anhaltender Bürgerkriege in Libyen (2011) und Mali (2012), … wirkten einer friedlichen Lösung des … Konfliktes entgegen, da diese … die internationale Aufmerksamkeit monopolisierten und den Eindruck verstärkten, dass Marokko eine stabilisierende Kraft im Nahen Osten und Afrika ist«, schreibt Mundy. Wobei mit Stabilität vor allem das Eindämmen von Fluchtbewegungen nach Europa gemeint ist. Mundy verbreitet wenig Hoffnung auf eine friedliche Lösung des Konfliktes. Er hält die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates unter anderem wegen Waffenlieferungen an die verfeindeten Länder Marokko und Algerien für befangen und bezweifelt den »kollektiven Willen und die Fähigkeit« den seit bald 50 Jahren währenden Konflikt zu lösen.

In weiteren Kapiteln geht es um die Situation der Sahrauis im besetzten Teil der Westsahara. Eine Gruppe von Autoren des internationalen Netzwerks »Western Sahara Ressource Watch« (WSRW) beschäftigt sich mit der ambivalenten Rolle der natürlichen Rohstoffe im besetzten Teil des Landes. Da mehrere Gerichtsurteile den Anspruch Marokkos auf das Gebiet abgelehnt haben, habe das Königreich auch kein Recht auf die Ausbeutung der dortigen Ressourcen wie Phosphat und Fisch. Marokko nutze die Ressourcen nicht nur für eigene Profite, sondern auch, um durch die Geschäfte mit internationalen Unternehmen (zu denen auch deutsche gehören) die Besatzung zu zementieren. Interessant ist auch der Text der Frankfurter Kulturanthropologin und Mitherausgeberin Judit Tavakoli über die Situation der sahrauischen Flüchtlinge in den Camps in Algerien, gerade auch zu Zeiten von Covid-19. »Die Pandemie wurde in erster Linie als Verschlechterung des Status quo … erlebt. Sie verstärkte das Gefühl der Isolation, Immobilität … und Abhängigkeit der Flüchtlingsbevölkerung.« Das Ende des Waffenstillstandes wiederum haben viele Menschen dort als ein »Vorwärtskommen« in einer lähmenden Dauerkrise empfunden.

Dieses wohl momentan einzige aktuelle Überblickswerk zur Westsahara in deutscher Sprache ist ein Fachbuch mit tief greifenden und aufschlussreichen, teils allerdings etwas ausufernden Analysen. Was fehlt, sind ein chronologischer Ablauf mit den wichtigsten Daten seit Beginn des Konfliktes 1975 und ein Stichwortregister. Dafür bietet das Buch einige detailgenaue Karten, zum Beispiel über die Verteilung der natürlichen Ressourcen und über die Situation am Grenzübergang bei Guerguerat zwischen Mauretanien und der besetzten Westsahara, an dem die Spannungen eskaliert und zu einem neuen Krieg geführt haben.

Manfred O. Hinz/ Werner Ruf/ Leonie Gaiser/ Judit Tavakoli (Hg.): Westsahara - Afrikas letzte Kolonie. Regiospectra Verlag, 374 S., geb., 27,90 €.

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