Brücken bleiben Sorgenkinder

Nur sehr langsam kann der Berliner Instandhaltungsrückstau abgebaut werden

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.

»Wir haben jetzt das Personal, um den Brückenzustand geringfügig zu verbessern«, sagt Lutz Adam, Leiter der Abteilung Tiefbau der Senatsmobilitätsverwaltung. »Exorbitante Steigerungen« beim Zustand seien damit aber nicht drin. Das ist für Berliner Verhältnisse schon eine deutliche Verbesserung, denn »ganz besonders vom Jahr 2000 bis 2015 wurde gespart, gespart, gespart«, sagt Adam. In dem Zeitraum sei das Personal in der Verwaltung im Brückenbaubereich um 60 Prozent reduziert worden. Derzeit seien weitgehend alle Stellen im Bereich besetzt und auch die Fluktuation ist in einem normalen Bereich.

Da ist einiges an Instandhaltungsrückstau zusammengekommen. 60 der über 800 Brücken, für die die Mobilitätsverwaltung zuständig ist, sind derzeit nur eingeschränkt nutzbar. Mit nötigen Investitionen von 700 Millionen Euro in den nächsten zehn Jahren rechnet Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) allein, um diesen zu reduzieren. Eine weitere Viertelmilliarde Euro werden wohl für neue Brücken investiert werden müssen - für neue Radschnellwege und auch die umstrittene neue Straße namens Tangentiale Verbindung Ost, die entlang des Eisenbahn-Außenrings von Biesdorf nach Oberschöneweide führen soll.

»Berlin hat in dem Sinne kein Sonderproblem«, sagt Senatorin Jarasch. Dennoch ist die Lage drängend genug, dass die Mitglieder des Mobilitätsausschusses des Abgeordnetenhauses die Brückenfrage am Mittwoch in einer Anhörung besprechen.

Professor Mike Schlaich, Fachgebietsleiter am Institut für Bauingenieurwesen der Technischen Universität Berlin, gibt der Senatorin recht, dass der Zustand der Brücken nicht nur ein Berliner Thema ist. »Immer mehr Verkehr, immer höhere Lasten«, sei einer der Gründe. »Die Überfahrt eines Schwerlastwagens über eine Brücke entspricht 30 000 bis 50 000 Pkw-Überfahrten«, sagt er. Am Beispiel der Rudolf-Wissell-Brücke der A100, die in Charlottenburg über Spree, Westhafenkanal und Eisenbahn führt, nennt Thomas Herrschelmann vom Unternehmensverband Fachgemeinschaft Bau Berlin-Brandenburg die Erwartungen zur Bauzeit und die heutige Realität. Geplant worden sei sie für 20 000 Fahrzeuge pro Tag, nun seien es 180 000. Dazu kommen noch »Baustoffprobleme«, die Tiefbauchef Lutz Adam vor allem bei Spannbetonkonstruktionen umtreiben. »Diese Brücken sind nicht zu sanieren oder zu erhalten«, sagt er.

Die ständigen Verformungen machten Brücken so besonders, weil sie einer kontinuierlichen Wartung bedürfen, erläutert Axel Rahn, Vizepräsident der Baukammer Berlin. »Nicht erst dann, wenn Geld da ist. Dann wird es nämlich teuer. Wir wollen ja nicht Zustände wie in Italien bekommen, wo eine Brücke plötzlich einstürzt«, so Rahn weiter. Er spielt auf den Einsturz einer Autobahnbrücke 2018 in Genua an, der 43 Menschenleben forderte. So etwas droht laut Tiefbauchef Lutz Adam nicht, schließlich gebe es umfangreiche und regelmäßige Kontrollen der Brücken.

Rolf Dietrich, Chef des Wasserstraßen-Neubauamts Berlin des Bundes ist für 48 Brücken in der Hauptstadt zuständig. 14 davon sollen in den nächsten zehn Jahren ersetzt werden. Für den Ersatzneubau der Marggraffbrücke im Zuge der Köpenicker Landstraße in Plänterwald startete am Dienstag die Ausschreibung für die Bauleistungen. Sie bekam große Aufmerksamkeit, weil die geplante Straßenbahnstrecke Potsdamer Platz-Schöneweide in der Planung nicht berücksichtigt worden ist. »Dass jetzt keine Straßenbahnstrecke vorgesehen ist, heißt nicht, dass keine kommt«, versichert Dietrich noch einmal. Kürzlich hatte die Senatsmobilitätsverwaltung erklärt, dass der Ersatzbau auch die Last der möglichen Gleistrasse tragen könne.

Der Ausschussvorsitzende Kristian Ronneburg (Linke) weist Dietrich darauf hin, dass ähnliches Ungemach auch auf der Teubertbrücke über den Teltowkanal in Tempelhof droht, deren Ersatzneubau 2025 oder 2026 beginnen soll. Denn laut Straßenbahn-Zielnetz soll dort eine Strecke vom Rathaus Steglitz zum U-Bahnhof Alt-Mariendorf entlangführen. »Dem werde ich nachgehen«, verspricht Rolf Dietrich. Zwar laufe die Planung schon, aber für Änderungen gebe es noch genügend Zeit. Doch insgesamt lässt er eine gewisse Unzufriedenheit mit dem Berliner Verwaltungshandeln erkennen. »Es muss eine gewisse Kontinuität haben, man kann nicht alle vier Wochen neue Vorgaben machen«, sagt Dietrich. »Sich im Kreis drehen erhöht nicht die Finanzierungsbereitschaft des Bundes«, warnt er.

Rolf Dietrich nennt auch ganz praktische Gründe, warum der Brückenbau nicht massiv gesteigert werden kann. »Es macht Sinn, wenn wir zwei bis drei Brücken pro Jahr in Bau bringen, darauf kann sich die Bauindustrie einstellen«, so Dietrich. Zumal beispielsweise beim Teltowkanal möglichst nicht zwei benachbarte Brücken gleichzeitig gesperrt werden sollen. »Das spart Behelfsbrücken, Kosten und Ärger.«

Rund zehn Jahre dauert es von Planungsbeginn bis Fertigstellung einer Brücke. Auch, weil auch unzählige Versorgungsleitungen darüber führen. Bei der Marggraffbrücke spricht Dietrich von 35 Leitungen von neun Versorgern. »Wir brauchen bis zu einem Dreivierteljahr, um die Leitungen umzulegen«, berichtet Lutz Adam von der Mobilitätsverwaltung. Dazu kommt noch ein Planermangel. »Wir haben Probleme, gute Ingenieurbüros in ausreichendem Maß zu finden, die eine gute und saubere Planung hinbekommen«, schildert der Beamte.

»Ich stelle fest, dass der Ingenieurmangel, den es zu beklagen gibt, den es wirklich gibt, an fehlenden Ausbildungsmöglichkeiten liegt«, sagt Professor Schlaich von der Technischen Universität. Er schlägt die Einrichtung eines Lehrstuhls für Brückenbau an der Universität vor. Mobilitätssenatorin Jarasch kündigt an, mit Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne) darüber sprechen zu wollen.

Am Samstag hat Bettina Jarasch einen erfreulichen Termin in Marzahn. Dann soll der Abriss der seit 2019 gesperrten Wuhletalbrücke im Zuge der B158 beginnen. Das ist der Auftakt für den Ersatzneubau, der bis 2025 fertiggestellt sein soll.

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