Lasst uns in Frieden (4): Die unsichtbaren Wunden

Es geht es nicht um das Blut, das auf Schlachtfeldern fließt: »The Deer Hunter« ist brutale Psychologie

  • Frank Jöricke
  • Lesedauer: 3 Min.

Die meisten Antikriegsfilme sind zugleich Prokriegsfilme. Denn so sehr sich Regisseure und Kameraleute auch abmühen, die Bestialität des Kriegs abzubilden, eines können sie nicht verhindern: Dass manche Zuschauer das Grauen nicht aufregt, sondern erregt. Ob »Apocalypyse Now«, »Platoon« oder »Full Metal Jacket« - man kann davon ausgehen, dass diese Filme nicht nur Pazifisten in die Kinos zogen.

»The Deer Hunter« (was der deutsche Filmverleih reißerisch mit »Die durch die Hölle gehen« übersetzte, statt mit »Der Hirschjäger«) ist anders. Das Regie-Wunderkind der späten 70er Michael Cimino tappte 1978 nicht in die »Schrecklich ist schön«-Falle. Anstatt sich in blutigen Kampfszenen zu suhlen, quält er die Kinobesucher erst mal mit dem ganz normalen Leben in einer US-amerikanischen Stahlstadt. Er zeigt Männer, die am Hochofen arbeiten, und Frauen, die sich auf eine Hochzeit vorbereiten. Dann wird geheiratet, gefeiert, und am Morgen danach gehen die verkaterten Männer auf Hirschjagd. Besonders aufregend ist das alles nicht. Eher ermüdend. Als nach einer zähen Dreiviertelstunde die Männer in den Vietnamkrieg ziehen, freut sich der gelangweilte Zuschauer, dass endlich geballert wird.

Aber nur kurz. Cimino geht es nicht um das Blut, das auf Schlachtfeldern fließt. »The Deer Hunter« zeigt weniger die körperlichen Wunden, die ein Krieg hinterlässt, als die seelischen. Deshalb gehört die Rückkehr des Vietnamkämpfers Michael (Robert De Niro) zu den Schlüsselszenen des Films. Die Daheimgebliebenen wollen ihm einen großen Empfang bereiten, doch dem Jungveteranen ist nicht nach Feiern zumute. Er lässt die Gastgeber sitzen und versteckt sich in einem Hotel.

Was dort geschieht, gehört zu dem spektakulär Unspektakulärsten, was Hollywood je zeigte. Man sieht einen Robert De Niro, der… nichts tut. Der die Uniform ablegt und die Hände vors Gesicht schlägt. Der grübelt, hadert, kauert - Kriegshelden sehen anders aus. Dazu läuft eines der wehmütigsten Lieder der Filmgeschichte: »Cavatina«. Stanley Myers hatte den Song 1970 für den Film »Die Krücke« komponiert. Doch erst hier, in »The Deer Hunter«, entfaltet die Melodie ihre ganze Wirkung. Weil sie - eindringlicher als jede Schlachtszene - vermittelt, wie viel Trauer und Traurigkeit ein Krieg nach sich zieht.

Natürlich geht das Leben danach weiter. Aber der Mensch ist nach dem Krieg ein anderer als davor. Selbst wenn er seine alten Gepflogenheiten wieder aufnimmt. Als De Niro das nächste Mal auf Hirschjagd geht, verfehlt er das Tier. Mit Absicht.

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