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Neue Textsammlung von Michael Bittner: Wartezimmer Erde

Der Satiriker Michael Bittner hat eine neue Textsammlung vorgelegt

Was nach dem Warten kommt, ist oft Gegenstand banger Spekulation.
Was nach dem Warten kommt, ist oft Gegenstand banger Spekulation.

Einer größeren Öffentlichkeit ist der freundliche und sauber gescheitelte Mann als Vortragender auf mehreren Lesebühnen bekannt. Doch wir müssen uns den 1980 geborenen Satiriker, Erzähler und Glossenschreiber Michael Bittner, der, obwohl er in Sachsen aufgewachsen ist, etwas von Humor versteht und der als Autor unter anderem auch für diese Zeitung tätig ist, vor allem als großen Humanisten vorstellen.

Sein Leitstern ist die Vernunft, das Fundament seines Denkens bildet die Wissenschaft. Bittner glaubt nicht an Gott oder die Esoterik oder anderen Firlefanz, sondern an die Menschenrechte und die Freiheit der Kunst. Er weiß, dass es derzeit um die Welt und die Menschen schlecht bestellt ist, und dennoch verzagt er nicht, sondern kämpft für eine bessere, vernünftiger eingerichtete Gesellschaft. Gegen Rassismus zum Beispiel hat er ein überzeugendes Mittel gefunden: »Mein Ratschlag an alle, die sich in ihrer Heimat überfremdet fühlen: Am besten wird man Fremde los, indem man sie kennenlernt.«

Die Erkenntnisse, die seinen Beobachtungen und Überlegungen entspringen und an denen er uns teilhaben lässt, sind nicht selten von großer Weisheit. Über die vermeintlichen Unterschiede zwischen Stadtleben und Provinzdasein schreibt er: »Wer die Gelegenheit hatte, in seinem Leben sowohl Land als auch Großstadt kennenzulernen, der weiß, dass an den unterschiedlichen Orten nur verschiedene Arten der menschlichen Dummheit regieren.« Wer wollte ihm da widersprechen? An anderer Stelle berichtet er von einer Zugreise, die er als Passagier der Ersten Klasse absolviert und den Menschen, denen er dabei begegnet. Auch diese Erfahrung führt zu wichtigen neuen Erkenntnissen: »Was gibt es Widerwärtigeres als die gute Laune fremder Menschen?«

»Mein Ratschlag an alle, die sich in ihrer Heimat überfremdet fühlen: Am besten wird man Fremde los, indem man sie kennenlernt.«

Michael Bittner

Überhaupt scheinen bei Bittner regelmäßige Zugreisen dazu beizutragen, dass er einen frischen Blick auf Dinge entwickelt, nicht nur, was seine Mitmenschen betrifft, sondern auch, was die Landschaften angeht, in welchen sie zu leben genötigt sind. Beim Durchqueren der südöstlichen Gefilde Deutschlands, denen er selbst entstammt, notiert er: »Der Zug zurück nach Berlin fährt eine zweistündige Umleitung durch Gebiete, die wirken, als wären sie bisher noch auf keiner Karte verzeichnet worden.«

Doch selbst wenn Bittner einmal nicht durch unwirtliche oder trostlose Gegenden reist oder unangenehme lachende oder sinnlos vergnügte Menschen trifft, sondern einfach still und unbeweglich dasitzt und über Sein und Zeit sinniert, kommen am Ende kluge Gedanken dabei heraus: »Ist denn nicht das ganze Leben ein Warten – auf den Tod? Und die Erde das Wartezimmer, in dem wir uns aufhalten, bis das Ende da ist? Es dauert allerdings ein Weilchen. Deshalb richten wir uns im Wartezimmer häuslich ein.«

Bittner ist, wie man rasch erkennt, wenn man seine Texte liest, ein Denker, ein Seher, ein Philosoph. Doch zieht er sein fundiertes Wissen über das Wesen des Daseins nicht nur aus beiläufig persönlich Erlebtem und Alltagsbeobachtungen. Neben interessanten Reiseberichten und philosophischen Betrachtungen stammen auch lehrreiche Reportagen aus Bittners Feder, in welchen er mit großer sprachlicher Sensibilität das Außergewöhnliche bestimmter Situationen erfasst. Man denke beispielsweise an seinen Bericht vom Konzert einer bekannten deutschen Punkband: »Es herrscht eine merkwürdig aufgekratzte und ausgelassene Stimmung, wie auf einem Kindergeburtstag, bei dem Doppelkorn ausgeschenkt wird.«

Oder zum Beispiel das eindrucksvolle Porträt eines Mannes, der seit siebzehn Jahren vergeblich versucht, aus der SPD ausgeschlossen zu werden und dem das trotz seiner Bemühungen nicht gelingen will. Bittner hat ihn in seinem Zuhause besucht und lässt ihn persönlich zu Wort kommen: »Kurz hatte ich noch den Einfall, mir ein Hakenkreuz auf die Stirn tätowieren zu lassen. Aber ich bin mir inzwischen nicht mehr sicher, ob das ausreichen würde, um aus der SPD zu fliegen.«

Eine weitere Besonderheit des Autors Bittner besteht im Übrigen darin, dass er, den man wohl als überzeugten undogmatischen Linken bezeichnen kann, keine Scheu hat, sich auch über die Macken und Verbohrtheiten einer denkfaulen Linken lustig zu machen. Und damit gehört er wirklich und wahrhaftig einer verschwindend kleinen Minderheit an.

Michael Bittner: »Deutsche im Wind«. Satyr-Verlag. 184 S., br., 15 €.

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