Philosophenkritik

Peter Sloterdijk wird gehyped, doch ist er ein Vordenker des Faschismus?

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 3 Min.

Anfang des Jahres war es wieder so weit, die Kopfarbeiter des deutschsprachigen Raums wurden wie die Sportler bei olympischen Spielen oder Produkte bei der Stiftung Warentest in einer Bestenliste aufgeführt. Unter den »500 wichtigsten Intellektuellen« des Magazins »Cicero« finden sich Neueinsteiger wie der Gründer des World Economic Forums Klaus Schwab, Vordenker des Kapitalismus mit verantwortungsvollem Antlitz und Verfasser des Buches »Covid-19: The Great Reset«, sowie der Virologe, Politikberater und Medienstar Christian Drosten. Auf dem ersten Platz thront allerdings Peter Sloterdijk, der Philosoph, der seine Brille nach alter Mode auf der Nasenspitze balanciert und nicht weniger abenteuerlich seine Gedanken durch die Medienwelt. Wenn man eine mit Anekdoten zu spätrömischer Dekadenz und philosophischen Bonmots gespickte Meinung zum Gegenwartsgeschehen benötigt, der Homo medialis Sloterdijk liefert.

Sich über Sloterdijk lustig zu machen, ist ungleich einfacher, als die mediale Produktion von Sinn und Unsinn zu durchdringen, in der er seine Rolle spielt. Doch ist es die des faschistischen Vordenkers, wie Klaus Weber behauptet? Der Professor für Psychologie der Hochschule München hat den Philosophen auch auf den ersten Platz gehievt, nämlich seiner im Argument-Verlag erscheinenden Reihe »Gestalten der Faschisierung«. Von den acht Beiträgen in dem Band hat der Herausgeber fünf selbst verfasst. Sie demonstrieren vor allem, wie man mit viel Aufwand ins Leere polemisiert. Besser machen es Thomas Wagner und Jan Rehmann, die skizzieren, wie Sloterdijk vom Kritiker des Zynismus zum Herrschaftszyniker geworden ist. Sie beziehen sich vor allem auf einen Artikel in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« von 2009, in dem der Philosoph eine »Revolution der gebenden Hand« forderte, Almosen der Reichen gegen die staatliche Kleptokratie - und das kurz nach der Bankenkrise.

Noch weiter zurück liegt der Beitrag von Christoph Hein, anderes als im Buch ausgegeben erstmals 1983 in der Literaturbeilage der »Konkret« abgedruckt: ein irritierter DDR-Blick auf die bundesrepublikanische Neue Linke. Sloterdijk, dessen Weg von der Frankfurter Schule über einen indischen Bhagwan bis zur koketten Neuauflage des Nietzscheanismus führte, begann seine »Kehre« mit einer Kritik an Marx, die allerdings inzwischen Common Sense in der Linken sein dürfte. Hein sieht darin das Symptom einer fatalen Entwicklung, nicht das personifizierte Böse. Umgekehrt wieder Weber: Bei seinem Versuch, Sloterdijk für seinen ehemaligen Assistenten Marc Jongen, inzwischen Politiker der AfD, haftbar zu machen, unterschlägt er dessen zahlreiche Distanzierungen, was das Vorhaben eher schwächt.

Worauf es hinauslaufen soll, zeigt der letzte Beitrag, ein Brief an den Suhrkamp-Verlag. Wie könne dieser noch Sloterdijk verlegen, wenn der die Faschisierung Deutschlands vorbereite, fragt Weber. Bereits der »Selektionsvortrag«, gemeint ist die Rede »Regeln für den Menschenpark«, sei im Sinne einer demokratischen Diskussionskultur nicht mehr zu erwidern und diskutieren. Nun gab es durchaus zahlreiche Erwiderungen, auch propagierte Sloterdijk keine Zuchtwahl durch Selektion, wie Weber suggeriert. Sloterdijk fragte vielmehr, was uns nach dem selektiven bürgerlichen Humanismus erwartet - und wen interessiert, was kluge Linke zur transhumanistischen Zukunft zu sagen haben, liest beispielsweise Dietmar Daths »Abschaffung der Arten«. Oder man fragt, zu was »Human Genom Editing« in einer Klassengesellschaft wohl führen wird. Klügere Antworten könnten mehr bringen als eine Kritik, die vom Widerlegen zum Erledigen übergegangen ist: Zensur- statt Wirklichkeitsdiskurs. Und die nächste »Gestalt der Faschisierung« soll Sahra Wagenknecht sein, man kann es sich ausmalen.

Klaus Weber (Hg.): Sloterdijk. Aristokratisches Mittelmaß und zynische Dekadenz. Gestalten der Faschisierung 1. Argument-Verlag. 176 S., br., 13 €.

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