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Im Kaufhaus

Spaß und Verantwortung: Olga Hohmann schwelgt in Großstadterinnerungen

  • Olga Hohmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Eines der intensivsten Gespräche meines Lebens hatte ich auf einer gelben Couch in der Schuhabteilung von Bergdorf Goodman auf der 5th Avenue in New York. Ich hatte meine Freundin K. in der New York Public Library getroffen. Wir hatten uns fast ein Jahr lang nicht gesehen und mir fiel sofort auf, dass es ihr nicht gut zu gehen schien. Sehr nervös trank sie einen Becher schwarzen Filterkaffee nach dem anderen. Wir spazierten Kaffee trinkend an fast allen berühmten New Yorker Kaufhäusern vorbei - Bloomingdale’s, Saks Fifth Avenue, Barney’s und Henri Bendel, bis wir fast am Central Park waren. Wie ferngesteuert liefen wir am Trump Tower vorbei, ohne ihn zu registrieren, und fuhren dann mit der Rolltreppe bis in die vorletzte Etage von Bergdorf Goodman, wo wir uns in der ziemlich leeren Schuhabteilung niederließen und sie mir endlich ihr Herz ausschüttete.

Wir verließen das Sofa für die nächsten viereinhalb Stunden nicht mehr. Erst dann waren die Tränen getrocknet und das Problem, zumindest theoretisch, gelöst. Die Schuhverkäuferinnen nahmen, ebenso wie die Schuhkäuferinnen, keine Notiz von uns - und wir ebenso wenig von ihnen. Trotzdem brauchten wir ihre Anwesenheit, die sanften, routinierten Bewegungs- und Konversationsabläufe des Verkaufens - fast wie ein Meeresrauschen, die gelbe Couch war unser Strand. Die Kaufhäuser auf der 5th Avenue unterscheiden sich sehr von den Kaufhäusern, die ich aus Deutschland kenne - das fängt schon damit an, dass sie häufig den Namen ihrer Besitzer*innen tragen. In jedem der Kaufhäuser gibt es außerdem mindestens ein Café oder Restaurant, ein Nagelstudio, einen Schuster und eine Schneiderei.

Spaß und Verantwortung
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist, und versucht es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen.

Das einzige Berliner Kaufhaus, das einen ähnlich nostalgischen Charme hat, ist Karstadt am Hermannplatz. Es erinnert zwar weniger an stilvolle New Yorker Upper Class mit »old money« als an die Berliner 90er, als Konsum noch eher im Zeichen des Pragmatismus stand und man zur mit Scheibletten-Gouda belegten Schrippe noch Filterkaffee mit Kaffeesahne trank. Auch das Restaurant von Karstadt am Hermannplatz erinnert eher an die Kantine eines Altersheimes, statt Austern und Champagner gibt es Mettbrötchen mit Petersiliengarnitur und statt Pelzmäntel einen Raucherraum hinter einer großen Glasscheibe. Gerade deshalb ist mir das Gebäude sehr ans Herz gewachsen - auch weil es eine Kindheitserinnerung von mir ist: Meine Mutter fuhr mit mir zu »Karstadt am Hermannplatz«, um Küchengeräte oder Weihnachtsgeschenke zu kaufen - das tut sie eigentlich bis heute. Die drei Worte tauchten als stehender Begriff immer nur in dieser Kombination auf. Als ich Jahre später erfuhr, dass es sich bei »Karstadt« um eine Kaufhauskette handelte, deren Filialen in der ganzen Stadt verteilt waren, war ich überrascht.

Ich erinnere mich auch sehr lebhaft daran, dass mein erster Freund regelmäßig in der Feinkostabteilung im Keller klauen ging - was mich an »Das Paradies der Damen« von Émile Zola erinnerte: Der Roman spielt Ende des 19. Jahrhunderts in Paris und schildert unter anderem die Entstehung von Kaufhäusern wie den Galeries Lafayette oder dem La Samaritaine. Als die Protagonistin als alte Dame stirbt, findet man in ihrer Wohnung Hunderte Paare hell-rosafarbener Handschuhe. Sie hatte immer wieder dasselbe Paar Seidenhandschuhe im selben Kaufhaus geklaut.

Aus Sentimentalität gegenüber diesem assoziationsreichen Ort, dem Karstadt am Hermannplatz, ließ ich mich vor ein paar Monaten sogar dazu hinreißen, meine Unterschrift unter die Forderung des Erhaltes jener Kaufhausfiliale zu setzen - ich war in guter Stimmung, trug einen beigen Samthut, und ein Redakteur der »Berliner Zeitung« fragte mich, ob er mich beim Unterschreiben fotografieren dürfe. Ich sagte stolz ja. Die letzte Petition, die ich unterschrieben habe, forderte den Erhalt der Trauerweiden am Landwehrkanal. Sie war erfolgreich, die Trauerweiden stehen nach wie vor an den Ufern und lassen melancholisch wie schon damals ihre langen Haare in den Kanal hängen. Vielleicht trauern sie um den bevorstehenden Verlust von Filterkaffee und Mettbrötchenhälften mit Petersiliengarnitur.

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