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Von hier nach dort und zurück

Lukas Hermsmeier über die US-amerikanische Linke und den Ukraine-Krieg sowie die Rechte im Aufwind

  • Max Böhnel
  • Lesedauer: 8 Min.

Lukas Hermsmeier, geboren 1988 in Berlin, lebt seit 2014 in New York und arbeitet dort als freier Journalist und Autor. Er schreibt unter anderem für »Zeit Online«, die »Taz« und »Die Wochenzeitung« über amerikanische Politik und Kultur, mit Fokus auf linke Bewegungen. Vor Kurzem erschien sein Buch »Uprising – Amerikas Neue Linke« im Verlag Klett-Cotta (320 S., geb., 22 €).) Mit Hermsmeier sprach in New York Max Böhnel.

Die Einschätzungen über Putins Krieg und die Nato gehen bei Linken weltweit auseinander, auch in der US-Linken. Wie verlaufen dort die Argumentationslinien?

Lukas Hermsmeier
Lukas Hermsmeier, geboren 1988 in Berlin, lebt seit 2014 in New York und arbeitet dort als freier Journalist und Autor. Er schreibt unter anderem für »Zeit Online«, die »Taz« und »Die Wochenzeitung« über amerikanische Politik und Kultur, mit Fokus auf linke Bewegungen. Vor Kurzem erschien sein Buch »Uprising – Amerikas Neue Linke« im Verlag Klett-Cotta (320 S., geb., 22 €).) Mit Hermsmeier sprach in New York Max Böhnel.

Ähnlich wie in Deutschland gibt es in den USA Linke, die es angesichts der Invasion Russlands in der Ukraine für komplett unangebracht halten, über die Rolle der Nato zu sprechen. Auf der anderen Seite gibt es Linke, die die Verantwortung dieses Krieges mit Bezug auf die Osterweiterung sehr stark bei der Nato sehen. Auch innerhalb einzelner linker Gruppen gibt es dazu keine geschlossene Haltung.

Das International Committee der Democratic Socialists of America (DSA) - die größte sozialistische Organisation in den USA - veröffentlichte beispielsweise Ende Januar ein Statement, bei dem man den Eindruck gewinnen konnte, dass Russlands Regierung quasi gar nichts falsch gemacht habe. Der Name Wladimir Putin fiel noch nicht mal. Gegen das Statement formierte sich schnell Opposition, auch innerhalb der DSA.

Ich glaube, dass man grundsätzlich sagen kann, einige US-Linke haben so sehr verinnerlicht, »ihr« Land sei stets der Aggressor, was ihnen den Blick auf andere imperialistische Kräfte verstellt, sie diese unterschätzen. Bei den sogenannten Tankies, wie Linke in westlichen Staaten genannt wurden, die unbeirrt an der Seite der Sowjetunion standen, geht das Problem jedoch noch tiefer. Sie glauben, etwas grob gesprochen, dass jeder, der sich gegen die USA stellt, auf der guten Seite steht. So wird Putins Autoritarismus komplett verklärt. Ein großer Teil der Linken in den USA denkt aber zum Glück nuancierter.

Die neue, junge US-amerikanische Linke, die 1989/90 nicht miterlebt und keine Erfahrung mit der politischen Realität vor 9/11 gemacht hat, scheint mir extrem auf die Innenpolitik fixiert zu sein. Sie muss sich einen Begriff von Internationalismus erst noch erarbeiten, oder?

Ja, und diese Fixierung ist ja auch nachvollziehbar, da die Kämpfe in diesem Bereich existenziell sind. Was in vielen europäischen Ländern Standard ist, zum Beispiel eine staatliche Krankenkasse, muss in den USA noch erstritten werden. Das schluckt Energie.

Bei vielen Linken, vor allem jungen, gibt es zwar ein theoretisches Bewusstsein für das Konzept des Internationalismus. Aber was bedeutet er in der Praxis? Nehmen wir das Thema Klima, wo in den USA bei allen wichtigen linken Kräften Übereinstimmung herrscht, dass man von fossiler Energie wegkommen muss. Eine Umstellung auf erneuerbare Energien alleine reicht aber nicht, da auch für erneuerbare Energien Rohstoffe wie Lithium abgebaut werden, und dieser Abbau vorwiegend in Ländern des globalen Südens erfolgt und dort oft mit Ausbeutung verbunden ist. Was also ist die Konsequenz? Immer mehr Aktivist*innen betonen, dass internationale Klimagerechtigkeit nur dann möglich wird, wenn Länder wie die USA und Deutschland ihren Stromverbrauch drastisch reduzieren. Und das durchzusetzen, ist eine ganz andere Herausforderung.

Gehen wir vom aktuellen Krieg und den Linken auf Ihr Buch zurück. Die amerikanische Gesellschaft sei »nicht nur nach rechts, sondern auch nach links gerückt«, lautet eine Ihrer Thesen. Wie deuten Sie aber das Wechselwählerverhalten, zum Beispiel, dass Anhänger*innen von Bernie Sanders dann doch für Donald Trump stimmten?

In den letzten Jahren sind die USA sehr stark von rechten Kräften geprägt und dominiert worden, was sich auch in der Berichterstattung widerspiegelt. Als Belege hierfür stehen stellvertretend Trump, die Radikalisierung der Republikaner nach rechts, das erzkonservative Supreme Court, Abtreibungsverbote etc. Im Lauf der sieben Jahre, die ich hier jetzt lebe, nehme ich aber auch auf der Gegenseite eine Entwicklung wahr, die über temporäre und kleine linke Erfolge hinausgeht, angefangen von Occupy über Black Lives Matter, die Sanders-Wahlkampagnen, sozialistische Ideen, neue Arbeitskämpfe und Klimawiderstand. In meinem Buch versuche ich zu ergründen, wie sich diese Alternativen entwickelten. Alternativen sowohl zu den rechten Republikanern wie auch zu den stark in der Mitte verharrenden Demokraten. Nichts verläuft linear. Frust und Entfremdung von der politischen Mitte, die zu Recht oft ja auch Elite genannt wird, können dann dazu führen, dass jemand bei Sanders landet, und dann Trump wählt, da beide Alternativen zur Mitte anbieten, nur eben sehr verschiedene.

Insofern sind beiden Tendenzen, die eine nach links, die andere nach rechts, nicht absolut und einander diametral anzusehen, sondern vielmehr als Reaktion auf das Versagen der politischen Mitte.

Sie beobachten eine »zunehmende Polarisierung, die insbesondere Beobachtern aus der Mitte Angst macht, aber Hoffnung machen sollte«. Weshalb sollte ausgerechnet eine Polarisierung Hoffnung wecken?

Die Angst der Mitte ergibt sich, glaube ich, aus dem Versagen eben jener Mitte. Das begann bei Barack Obama, setzte sich 2016 mit Hillary Clinton fort und zieht sich weiter bis zu Joe Biden: Drei Politiker*innen, die mit dem Versprechen der Versöhnung angetreten sind, aber kaum Antworten auf die strukturellen Probleme finden. Biden ist nun über ein Jahr im Amt, und man merkt, wie limitiert sein Ansatz der Überparteilichkeit und seine Konfrontationslosigkeit sind.

Manchmal scheitert er an Joe Manchin, einem führenden Politiker der Demokratischen Partei, oder an den Republikanern, die sich nicht vereinen und versöhnen lassen wollen. Oft scheitert das Versprechen der Versöhnung aber auch daran, dass Biden und die Spitze der Demokraten gar keine wirklich tiefen Veränderungen wollen. Daraus folgten die Radikalisierungstendenzen nach rechts und links. Die politische Mitte, also ein Großteil der Demokraten und liberal orientierte Medien, reagieren darauf mit Verwunderung und Ablehnung. Wenn man sich anschaut, wie einzelne linke Politiker*innen der Demokratischen Partei bekämpft werden, AOC, wie die demokratische Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez kurz genannt wird, hat mal darüber geschrieben, wie schwer sie es in ihrer eigenen Partei hat.

Auch bei den Demokraten ist zu erleben, wie sich Personen an die Macht klammern und Angst davor haben, dass sich wirklich etwas in der Gesellschaft ändert. Angst und eiskalter Machtkampf sind auch den Demokraten nicht fremd. Wenn Nancy Pelosi und Chuck Schumer von den Demokraten sich an bestimmte Politiken klammern, dann geht’s um sie selbst und um die Interessen ihrer Geldgeber und Spender. Hoffnung lässt sich dennoch inmitten dieser Polarisierung schöpfen, wenn von links her strukturelle Problemlösungen vorgeschlagen werden, etwa wenn Sanders von fundamentalen Wirtschaftsreformen spricht oder wenn die Occupy-Bewegung einen anderen Demokratiebegriff ins Spiel bringt.

Der Begriff »Polarisierung« scheint mir allerdings reichlich unscharf, weil er suggeriert, es gebe zwei annähernd gleiche Pole, einen rechten und einen linken, mit gegenüberliegenden Anziehungskräften. Wäre dagegen nicht eher von einer gesamtgesellschaftlichen Rechtsentwicklung zu sprechen?

Der US-Rechten kommt keinesfalls eine Außenseiterrolle zu, da stimme ich zu. Sie dominiert entscheidende Machtinstitutionen wie das Oberste Gericht und immer wieder den Senat, wird auch von großen Medien wie Fox News präsentiert. Die Linke ist vergleichsweise klein, steht am Anfang und kommt dieser Macht noch lange nicht nahe.

Die junge US-amerikanische Linke sei auch als Reaktion auf das korrupte und dysfunktionale politische System in den USA entstanden, jenseits von Wahlkämpfen und Parteien, lautet eine weitere These in Ihrem Buch. Woran machen Sie das fest?

In der zurückliegenden Dekade, um die es in meinem Buch geht, kam linke politische Energie nur selten von oben aus einer Parteienpolitik. Welche Partei sollte es auch sein? Die Demokraten sind eine Partei des Zentrismus und der bürgerlichen Mitte. Sanders war als linker Kandidat, der unter dem Dach der Demokraten angetreten ist, eine Ausnahme.

Mit seinen Wahlkämpfen erzeugte er viel Energie, nahm sie auf und gab sie weiter. Maßgeblich ist die neue Linke aber aus Bewegungen, politischen Aktivismus, Arbeitskämpfen, Besetzungen und Protesten entstanden, von Occupy über Black Lives Matter und Organisationen wie DSA bis hin zur Sunrise Movement für das Klima. Die Energie kommt von Menschen, die sich außerhalb der Parlamente organisieren, und das oft entlang radikaler Forderungen.

Und von Linken wie Alexandria Ocasio-Cortez und weitere, die im Kongress für Wirbel sorgen.

Diese linke Fraktion ist immer noch sehr klein. Zehn Abgeordnete in einem Kongress mit 435 Parlamentariern. Umso bemerkenswerter ist allerdings, wie viel Aufmerksamkeit sie sich immer wieder mit Aktionen und Reformvorschlägen verschaffen können. Allerdings wären auch Wahlkämpfe wie von AOC nicht erfolgreich gewesen ohne linke Basisinitiativen oder Organisationen.

»Diskurse und Ideen schwappen von hier nach dort und zurück«, schreiben Sie über das heutige Verhältnis junger US-amerikanischer und deutscher Linker. Früher gab es in den USA ein romantisiertes Verhältnis zu Deutschland und auf deutscher Seite antiamerikanische Vorurteile.

Solche Auffassungen sind auf beiden Seiten immer noch vorhanden: einerseits die Verklärung der westeuropäischen Sozialdemokratie, andererseits Ignoranz gegenüber Veränderungen von Politikformen in den USA. Aber solche uninformierten Vorurteile schwinden, man kann eine Art verzögertes Wahrnehmen feststellen - dank des Internets. Man hört dann von den Protesten in Ferguson oder in Standing Rock, spricht darüber in Organisationen in Deutschland und übernimmt manches. Am Hin- und Herschwappen von Diskursen finde ich interessant, dass die US-amerikanische Linke im deutschen Mainstream in den letzten zehn Jahren wenig wahrgenommen wurde, gleichzeitig aber vieles, gerade auch in radikaleren Zügen, aus den USA übernommen wurde. Zum Beispiel das Konzept des »Organizing«, also eines anderen Zugangs zur Politik, aktiver, lokaler verwurzelt und selbstbestimmter. Auch über Black Lives Matter wurde vieles in Deutschland angeschoben: antirassistische Diskurse, die Überwindung des herrschenden Strafsystems, Alternativen zu Gefängnis und Polizei. Auch insofern ist Hoffnung gestattet.
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