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Sprache ist alles

Integration von Geflüchteten in den Berliner Ausbildungsmarkt kommt voran

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

Alexander Fourestié erinnert sich noch an den schweren Start. »Es gab keine Sicherheiten«, sagt Fourestié über die Anfänge von Arrivo Berlin. »Mittlerweile gibt es das Gefühl der Normalität und diese Routine ist bei der täglichen Arbeit sehr angenehm«, erklärt der Projektleiter der Initiative, die seit knapp acht Jahren geflüchtete Menschen dabei unterstützt, in Berlin Arbeit und Ausbildung zu finden und dabei eng mit Betrieben zusammenarbeitet.

Bei einem digitalen Fachtag mit über 200 Teilnehmer*innen, darunter viele aus der Berliner Wirtschaft und den Senatsverwaltungen, geht es am Dienstag um die Frage, ob sich in der Hauptstadt neben einer Willkommenskultur in der Stadtgesellschaft – wie sie auch angesichts der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine wieder sichtbar wird –, in den letzten Jahren tragfähige Strukturen etabliert haben, die es Menschen mit Fluchterfahrung grundsätzlich ermöglichen, in der Region beruflich Fuß zu fassen.

Arrivo gilt in dem Zusammenhang als vorzeigbares Projekt: »Wenn es Arrivo nicht gäbe, müsste man es erfinden«, lobt Katja Kipping (Linke), Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales in ihrem Grußwort. Es ermögliche grundsätzlich ein »Win-Win«, also eine Situation, in der alle Beteiligten profitieren: Betriebe, die Auszubildende und Fachkräfte suchen und Menschen, die Ausbildung und Arbeit suchen, aber dabei auch die Schwierigkeiten der Fluchterfahrung und des Ankommens zu bewältigen haben.

Arrivo ist kontinuierlich gewachsen: Was 2015 mit einem Projekt zur Begleitung junger Geflüchteter während der Ausbildung begonnen hat, ist mittlerweile zu einem Verbund von zehn Teilprojekten mit unterschiedlichsten Angeboten angewachsen. Diese reichen von Berufsorientierung über Qualifizierung und Begleitung während der Ausbildung bis hin zur Vermittlung geeigneter Arbeitsplätze. Fast 5000 Menschen mit Fluchterfahrung hat die Initiative inzwischen unterstützt, auch während der vergangenen zwei Pandemie-Jahre. Einem Viertel von ihnen ist es gelungen, dauerhaft in eine Ausbildung und dann auch in einen Beruf zu kommen. Sie zählen zu den insgesamt 106 000 Menschen, die seit 2015 nach Berlin gekommen sind. 80 000 waren es allein im Jahr 2015, knapp 50 000 von ihnen sind geblieben – geflohen vor allem vor den Kriegen in Afghanistan und Syrien.

Zu ihnen gehört auch Zaid Al Rubaie. Der junge Mann ist seit sechs Jahren in Berlin, er absolviert inzwischen eine Ausbildung zum Glaser und ist sehr zufrieden damit. Sehr schwer sei ihm das Sprache lernen gefallen, vor allem die Fachausdrücke in der Berufsschule hätten ihm Probleme bereitet, berichtet er. Geholfen hätten ihm Privatunterricht und viel Sozialkontakt, erklärt Al Rubaie.

So einig sich viele Beiträger*innen des Fachtages sind, dass es mit der Kenntnis der deutschen Sprache stehe oder falle, ob ein junger Mensch die Ausbildungsanforderungen bewältigen könne: An der Fachsprache in der Berufsschule verzweifelten auch Muttersprachler*innen, sagt Karin Zauter von der Senatsverwaltung für Integration. Umso mehr müssten also diejenigen unterstützt werden, die eventuell schon die Alltagssprache beherrschen, aber für die die Fachsprache dann eine zu große Herausforderung darstelle. Einiges habe sich in der Hinsicht getan. So bieten Kammern und Innungen der Hauptstadt inzwischen branchen- und fachspezifische Sprachkurse an, die nachweislich die Zahl der erfolgreichen Abschlüsse erhöhen.

»Die Sprache ist ein Riesending. Es macht nicht so viel Sinn, Menschen mit dem Sprachniveau A1 oder A2 in Ausbildung zu drängen«, ergänzt Oliver Kurz von der Regionaldirektion der Agentur für Arbeit. Dies sei im Gegenteil »eine Belastung für alle – die Auszubildenden, die Lehrer. Es gibt eine hohe Abbruchquote und dann fängt alles wieder von vorne an«, so der Vertreter der Arbeitsagentur. »Es müsste längere Zeiten für Prüfungen geben, mehrsprachige Unterlagen in einfacher Sprache«, fordert Kurz.

Alexander Fourestié gibt grundsätzlich zu bedenken, in welcher komplizierten Lage sich Menschen mit Fluchthintergrund befinden und wie diese auf die hiesigen Voraussetzungen pralle: »Wir haben in Europa eine sehr westliche Sichtweise auf eine auf Zukunft ausgerichtete Berufsausbildung, aber sehr viele Menschen wollen und müssen jetzt Geld verdienen.« Zur Anstrengung in den Berufsschulen komme für viele die Situation in den Ländern, aus denen sie geflohen sind. »Gerade wenn man sich anschaut, was in Afghanistan passiert ist, mit der Machtübernahme der Taliban: Es fällt Menschen angesichts solcher Entwicklungen sehr schwer, sich beim Praktikum oder in der Ausbildung zu konzentrieren«, sagt Fourestié. Zumal nicht jede*r Azubi die Zeit habe für eine ausführliche Sprachbildung: »Es ist für viele eine Jetzt-oder-nie-Situation.«

Ausbildung bedeute: Viel Arbeit für wenig Geld. Und auch wenn das Land Deutschkurse bezahle: »Integration geht darüber hinaus, wir müssen als Gesellschaft dafür bereit sein – die Menschen mit offenen Armen empfangen«, betont Fourestié. Dann könne auch die Herausforderung Ausbildung gelingen.

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