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  • Linke und Oskar Lafontaine

Bruch nach jahrelanger Entfremdung

Oskar Lafontaine tritt aus der Linken aus und übt schwerwiegende Kritik an führenden Parteimitgliedern

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 4 Min.

Der große Knall erfolgte um 10.03 Uhr. »Heute bin ich aus der Partei Die Linke ausgetreten«, schreibt Oskar Lafontaine am Donnerstag in einer Erklärung auf seiner Internetseite. Was folgt, ist eine Abrechnung mit jener Partei, die der ehemalige Vorsitzende nach seinem Bruch mit der SPD selbst mitbegründet und aufgebaut hat. »Die Linke wurde gegründet, um den Sozialabbau und die Lohndrückerei der Agenda 2010 rückgängig zu machen«, so Lafontaine. Außerdem sollte »nach der Beteiligung Deutschlands am völkerrechtswidrigen Jugoslawienkrieg und am Krieg in Afghanistan eine neue Kraft entstehen, die sich wieder konsequent für Frieden und Abrüstung und die Beachtung des Völkerrechts einsetzt«.

Doch dieser Fokus sei verloren gegangen, so die Diagnose des Saarländers: »Spätestens 2015 allerdings begann die damalige Parteiführung der Linken, den politischen Kurs zu verändern.« Im Zuge dessen habe sich die Linke allmählich zu einer Partei gewandelt, die sich um dasselbe Wählermilieu bemüht wie die Grünen. »In der Folge wandten sich viele Arbeitnehmer und Rentner ab, gingen zurück zur SPD, wurden Nichtwähler oder stimmten aus Protest für die AfD oder sonstige Parteien«, ärgert sich Lafontaine.

Es sind Sätze, die zunächst nicht verwundern. Schon lange gehört Lafontaine innerhalb der Linken jenem Spektrum an, das eine Entfernung der Partei von den »einfachen Leuten« beklagt, weil man sich beispielsweise zu stark um den Schutz gesellschaftlicher Minderheiten kümmere. Andere in der Partei werfen diesem Spektrum vor, verschiedene Gruppen – zum Beispiel Geflüchtete und Arbeiter*innen – gegeneinander auszuspielen.

Seit Jahren kriselt es im Verhältnis zwischen Lafontaine und der Linken – auch im Saarland, wo ein Kleinkrieg mit dem Landesvorsitzenden Thomas Lutze dazu führte, dass es dort mittlerweile zwei Landtagsfraktionen gibt. Lafontaine wirft Lutze vor, ein Betrugssystem aufgebaut und sich mit bezahlten Mitgliedern für den Bundestag aufgestellt zu haben. Der Landeschef bestreitet die Vorwürfe. Weil Lafontaine obendrein dazu aufgerufen hatte, bei der Bundestagswahl im Saarland mit der Zweitstimme nicht die Linke zu wählen, hatten Mitglieder ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn angestrengt, dem dieser nun mit seinem Austritt zuvorkam.

Der Bruch erfolgte also nicht plötzlich, ihm zugrunde liegt ein langer Entfremdungsprozess. Bemerkenswerter ist der Zeitpunkt, an dem Lafontaine die Bombe platzen ließ und der für die Linke maximal ungünstig ist: In gut einer Woche wird im Saarland, wo Lafontaine seit 2009 als Fraktionsvorsitzender amtierte, ein neuer Landtag gewählt. Die Linke, die im kleinsten Flächenland einst – für westdeutsche Verhältnisse – große Erfolge feiern konnte, muss um den Wiedereinzug bangen. Zu vermuten ist, dass Lafontaine den Moment bewusst wählte, um der Linken maximalen Schaden zuzufügen.

Vorwürfe gegen Gysi und Hennig-Wellsow

Von der Spitze der Linken kam zunächst nur eine kurze Rückmeldung. Man bedauere den Austritt und halte ihn für falsch, so die Parteivorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler sowie die Fraktionschefs Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali in einem Statement: »Als Gründungsvorsitzender und langjähriger Fraktionsvorsitzender hat Oskar Lafontaine bleibende Verdienste.«

Es sind sehr vorsichtige, beschwichtigende Worte – dabei hat Lafontaine prominente Linke in seiner Erklärung frontal angegriffen. Vor der Sondersitzung des Bundestags nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, auf der Kanzler Olaf Scholz sein Aufrüstungsprogramm verkündete, hätten mehrere Fraktionsmitglieder – darunter der außenpolitische Sprecher Gregor Gysi und die Parteivorsitzende Hennig-Welsow – dafür plädiert, dem Antrag der Regierung für steigende Rüstungsausgaben zuzustimmen. »Sie konnten sich damit zum Glück nicht durchsetzen«, schreibt Lafontaine. Doch dabei soll es nicht geblieben sein: »Unmittelbar danach wurde aus dem Parteivorstand heraus öffentlich angekündigt, dass diejenigen, die für den sozialen und friedenspolitischen Gründungskonsens der Linken stehen, namentlich auch ich, aus der Partei gedrängt oder ausgeschlossen werden sollen.«

Ein schwerwiegender Vorwurf. Hennig-Wellsow wolle sich zunächst nicht dazu äußern, teilte ihr Büro auf »nd«-Nachfrage mit. Vor der Bundestagswahl war die Parteichefin noch ins Saarland gereist, hatte Lafontaine und dessen Ehefrau Sahra Wagenknecht für einen Wahlkampfauftritt in Weimar gewonnen. Doch alle Hoffnungen auf eine Entspannung der innerparteilichen Beziehungen währten nur kurz. Zudem stellt sich jetzt die Frage, wie es mit Wagenknecht weitergeht – auch die ehemalige Fraktionsvorsitzende steht wegen ihrer andauernden Alleingänge, beispielsweise in der Corona-Politik, innerparteilich in der Kritik.

Gysi: »Bleibe Gegner der Aufrüstung«

Was genau vor der Sondersitzung des Bundestags besprochen wurde, bleibt unklar. Bekannt ist aber, dass selbst Mitglieder der Ampel-Fraktionen von der 180-Grad-Wende des Kanzlers in der Rüstungspolitik überrascht waren. Es ist also schwer vorstellbar, dass Gysi und Hennig-Wellsow lange vorher von den Plänen wussten. Gregor Gysi sagte nur, er bedauere den Schritt von Lafontaine, »den ich für falsch halte. Entgegen seiner Darstellung bin und bleibe ich ein entschiedener Gegner der Aufrüstung.«

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