Es geht nicht um Ästhetisierung

Ein interessantes, merkwürdiges Buch: Hanns Cibulkas Naturbeobachtungen im Zweiten Weltkrieg auf Sizilien

  • Enno Stahl
  • Lesedauer: 4 Min.

Hanns Cibulka war ein wichtiger DDR-Autor - als Lyriker, aber auch als Tagebuchschreiber. Bei Letzterem boten oft Reisen den Schreibanlass - so auch bei »Nachtwache. Tagebuch aus dem Krieg. Sizilien 1943«, wobei das nun ganz und gar keine freiwillige Reise war: Cibulka war als Funker der Wehrmacht in Sizilien im Einsatz, quasi idyllisch untergebracht, in einem kleinen Steinhaus, zusammen mit zwei Kameraden.

Gefahr kommt nur dann auf, wenn sie im Freien Leitungen reparieren und so Ziel feindlicher Jäger werden könnten. Denn diese Idylle ist trügerisch. Die deutschen Truppen erwarten die Invasion des alliierten Afrika-Korps; Sizilien ist die letzte Verteidigungslinie vor dem italienischen Festland. Daher werden auf die sizilianischen Städte heftige und regelmäßige Bombenangriffe geflogen.

Doch Cibulka und seine Einheit bekommen davon wenig mit: »Wir leben als Nachrichtensoldaten im ruhigen Auge eines Taifuns (…) Noch geht der Krieg an uns vorüber, noch leben wir in einem Koordinatensystem, das wir nicht kennen, erst in der Stunde X, wenn die Alliierten wirklich auf der Insel landen, werden wir wissen, was auf uns zukommt.«

Bis dahin, in der Verlassenheit des Außenpostens, widmet sich Cibulka ausgiebig der Insellandschaft und ihrer Vegetation: »Wir gehen durch den verwilderten Garten. Das Gras steht hoch, Sträucher blühen in der erhitzten Luft, da und dort ein paar wilde Ähren mit langen Grannen, auch der Salbei hat sich eingefunden, der Lavendel, die Minze, am Rande des Gartens der flimmernde Schein einer Pinie.«

Und so versteht man, wieso dieser Band, der erstmalig 1989 im Mitteldeutschen Verlag publiziert wurde, also in der Rückschau auf die damaligen Erfahrungen, jetzt in der von Judith Schalansky herausgegebenen Reihe »Naturkunden« bei Matthes & Seitz wieder aufgelegt worden ist. Denn trotz der bedrängenden Kriegssituation handelt es sich bei Cibulkas Umweltwahrnehmungen um reinstes Nature Writing. In einer klaren, ruhigen und unprätentiösen Sprache beschreibt er die spröde mediterrane Vegetation.

In seiner Beobachterperspektive, gut getarnt in ihrem Häuschen, scheinen sich selbst die Kriegsereignisse in den natürlichen Kosmos einzupassen: »Wie ein großes trudelndes Blatt fällt ein Fieseler Storch aus dem Himmel herab, wird über dem Hain abgefangen, fliegt langsam über die Wipfel hinweg, von einer Senke zur anderen, und über ihm hoch im Raum, zwei englische Jäger, die ihn noch gar nicht ausgemacht haben. Vielleicht sind sie auf der Suche nach ein paar Lastkraftwagen, die sie in Brand schießen können.« Das klingt fast wie ein Ballett, doch ist es die Realität des Überlebenskampfes der Einzelnen im Krieg.

Um Ästhetisierung geht es denn auch nicht, denn die erbitterte Schlacht gegen den Faschismus, die im Hintergrund tobt, manifestiert sich im Bewusstsein des Lesers schon dadurch, dass Cibulka ans Ende jedes Kapitels den täglichen Bericht der Obersten Heeresleitung über die aktuellen Kriegsereignisse auf Sizilien setzt.

Dass der Autor keinerlei Sympathie für Krieg und Soldatentum hegt, daran lässt er keinen Zweifel. Die Erlebnisse des deutschen Weltkriegs haben ihn geprägt: »Ich bin auch heute noch bestürzt, wenn ich auf der Straße an einer Kompanie Soldaten vorbeigehe, wenn ich sehe, wie unter dem Stahlhelm die Individualität des Menschen in den Hintergrund tritt. Unter einem Stahlhelm gibt es keinen Himmel mehr, keine blühenden Blumen, da dominiert nur noch der Befehl.«

Die Atmosphäre dieser »Naturdichtung« ist also überaus ambivalent, das Sirren der Zikaden spricht von der Ewigkeit dieser Landschaft, und doch schwirrt dabei die beständige Spannung der Lebensgefahr untergründig mit. Cibulka befasst sich in dieser Lage mit Empedokles, mit Texten dieses Dichters, Philosophen und Naturforschers aus dem sizilianischen Agrigent; Zitate flechten sich immer wieder in den Tagebuchtext. Begeistert ist er zudem von Ernst Jüngers »Auf den Marmorklippen«, jener Parabel auf den Nationalsozialismus und seinen »Oberförster« Hitler. Jüngers Ich-Erzähler befindet sich in ähnlicher Weise wie Cibulka zwischen den Fronten, botanisierend und distanziert.

Das war Cibulka bei seinem Sizilien-Aufenthalt nicht dauerhaft vergönnt, er selbst kam in britische Kriegsgefangenschaft. Sein Buch, das diese eigentümlich stille, naturbelassene Zeit in der Erinnerung heraufbeschwört, ist eine tiefgründige Meditation über Mensch und Umwelt.

Hanns Cibulka: Nachtwache, hg. v. Sebastian Kleinschmidt u. Judith Schalansky. Matthes & Seitz, 160 S., geb., 20 €.

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