Sorge um den »gezähmten Riesen«

Mekong in Gefahr - neben einer wachsenden Zahl von Staudämmen bedroht der Klimawandel Südostasiens wichtigstes Flusssystem

  • Thomas Berger, Phnom Penh
  • Lesedauer: 5 Min.
Bedrohte Lebensader Mekong: Auch in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh führt der mächtige Fluss derzeit extremes Niedrigwasser – nun schon das vierte Dürrejahr in Folge.
Bedrohte Lebensader Mekong: Auch in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh führt der mächtige Fluss derzeit extremes Niedrigwasser – nun schon das vierte Dürrejahr in Folge.

Das große Wasser hat viele Namen. Sie wechseln mit den Ländern, durch dessen Gebiete es sich seinen Weg bahnt. Doch ob nun Lan-ts’ang Chiang (China), Maenam Khong in leicht unterschiedlicher Schreibweise in Thailand und Laos oder schließlich Mékôngk auf Khmer in Kambodscha, wovon sich die in Europa gebräuchliche Bezeichnung ableitet - es ist der gleiche Fluss, der landschaftsprägend ist und seit Jahrtausenden für die Menschen an seinen Gestaden eine oft lebensspendende, manchmal aber auch zerstörerische Macht darstellt. Seine je nach Berechnung 4350 oder sogar gut 4900 Kilometer machen ihn zum sechst- oder siebtlängsten Strom Asiens. Und zur Nummer 12 der globalen Rangliste. Hinzu kommt: Nur das Einzugsgebiet des Amazonas in Südamerika ist noch artenreicher als das Mekonggebiet. Zumindest bisher. Denn Wasserstand sowie lokale Tier- und Pflanzenwelt, die eng mit dessen jahreszeitlich wechselndem Verlauf verbunden sind, werden zusehends bedroht. Der Mensch setzt dem Fluss gleich zweifach zu. Zum einen, indem er künstlich in dessen Strömung eingreift. Zum anderen durch die Auswirkungen des von ihm verursachten Klimawandels. Beides zusammen ist eine besonders gefährliche Mischung, wie jüngste wissenschaftliche Erkenntnisse untermauern.

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Als die sogenannte Mekong-Entdeckungsmission unter Leitung des Entomologen Ernest Doudart de Lagrée (mit je einem Archäologen, Botaniker, Geologen als weitere Experten im Team) 1866 bis 1868 mit dem Segen der neuen französischen Kolonialherren Indochinas erstmals das Gebiet kartografierte und bei der Expedition über 9000 Kilometer Wegstrecke diverse Daten sammelte, war der Fluss noch ein ungezügelter Gigant. Damals wie heute entspringt er in der chinesischen Provinz Qinghai, nimmt im tibetischen Hochland Kraft auf, um sich dann jenseits der Südostflanke des Himalaya in die Weiten des Tieflands zu ergießen.

Doch der Mekong ist in gewisser Weise eben nicht mehr der gleiche wie im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Diverse Hydroenergieprojekte, darunter mehrere Megadämme, haben sein Fließverhalten bereits radikal verändert. Was das im Einzelnen schon jetzt bedeutet und was es an Risiken für die Zukunft ausweist, hat klarer als je zuvor der Anfang März vorgelegte erste Jahresbericht des Mekong Dam Monitor (MDM) gezeigt. Das Projektteam hat unter anderem Satellitenbilder im wöchentlichen Update, Angaben zu den Füllständen der Reservoirs an den Staudämmen, Analysen von Geografischen Informationssystemen und anderes mehr als Quellen herangezogen, um einen auf Echtzeit-Daten basierenden Report zum Zustand des Flusses zu erstellen. Zum Vergleich wurde wiederum die historische Datensammlung der Mekong River Commission (MRC) herangezogen.

Verschiedene wissenschaftliche Einrichtungen und Fachleute aus diversen Ländern sind bei MDM beteiligt, federführend bei dem Projekt sind das Stimson Centre und die Forschungsfirma Eyes on Earth, beide mit Sitz in den USA. »In einigen Teilen des Mekong-Beckens haben die Anstauung von Wasser und die unnatürlichen Ableitungen aus den Dämmen den natürlichen Flusslauf komplett verändert«, lautet die zentrale Erkenntnis aus der Datenanalyse. Verwiesen wird auf die besonders schädliche Wechselwirkung zwischen stetig voranschreitender »Zähmung« des Mekong durch immer mehr Dämme und der durch den Klimawandel zurückgehenden Wassermenge im Gesamtsystem. Gerade die drei Dürrejahre zwischen 2019 und 2021 seien ein Indiz dafür, wie selbst bei unveränderten Rückhaltemengen in den Staubecken dem Fluss in seinem Unterlauf gravierend Wasser fehlt. Vielleicht am deutlichsten sei das bisher im Gebiet nördlich von Vientiane in Laos spürbar, heißt es. Aber auch weiter stromab, in Kambodscha und Vietnam, sind die Auswirkungen zu sehen.

China hat zwischen 1995 und 2019 am Oberlauf ein riesiges Kaskadensystem mit bereits elf Staustufen fertiggestellt. Die Becken haben ein Fassungsvermögen von 47 Milliarden Kubikmeter, die zugehörigen Energieanlagen können bis zu 21 310 MW Strom erzeugen. Ein zwölfter Damm befindet sich im Bau, ein weiterer in der Planung. Schon dieser mächtige Eingriff hatte seinerzeit reichlich Kritik bei den Anrainerstaaten stromab ausgelöst, bei denen somit per se weniger Wasser ankommt als früher. Doch hat auch von ihnen jeder seine ganz eigenen, egoistischen Projekte. So komplettierte Laos inzwischen die Staudämme Xayaburi und Don Sahong. Wobei der erstgenannte in seinen Kapazitäten vor allem den energiewirtschaftlichen Interessen des Nachbarn Thailand zugutekommt. Drei weitere Vorhaben in Laos haben die Freigabe der MRC, mit ihrem Bau könnte also jederzeit begonnen werden. Ziemlich genau zwei Jahre ist es wiederum her, dass Kambodscha seine beiden Dammprojekte in der Umsetzung auf den Zeitraum nach 2030 verschob.

Die Kritiken an dem, was der Mensch im Flusssystem schon angerichtet hat und dem Mekong weiter anzutun gedenkt, häufen sich in diesen Märztagen 2022 wie kaum je zuvor. Die MRC hat ihrerseits gerade zur Monatsmitte einen 174-Seiten-Bereich vorgelegt und fordert dabei ihre Mitgliedsländer auf, derzeit unter dem Vorsitz Thailands, die zugespitzte Lage neu zu bewerten und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Gerade die drei jüngsten extremen Dürrejahre, denen nun ein viertes folgt, haben zur größten Gefährdung seit sechs Jahrzehnten geführt, heißt es alarmierend von verschiedenen Seiten. 66 Millionen Menschen sind direkt vom Fluss abhängig. Es geht um die Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen, die Effekte auf den Fischfang gerade in Kambodscha. Und jede Menge einzelne Ökosysteme, die massiv in Gefahr geraten. »Die Folgen des Klimawandels stellen im unteren Mekongbecken eine gravierende Bedrohung und damit eine echte Herausforderung für die politischen Entscheidungsträger dar«, so Prawit Wongsuwan, Thailands Vizepremier und aktueller Vorsitzender der MRC.

Während die chinesische Regierung noch immer nicht alle relevanten Daten zu ihren Dämmen freigegeben hat, sieht sich das Monitoring-Team des MDM mit seinem Bericht zumindest auf gutem Weg. Nicht zuletzt, was neben den längerfristigen Implikationen der Analysen für politisches Handeln konkrete Warnungen für Flussanrainer im kleineren Maßstab betrifft. So sei es 2021 durch die Echtzeitverfolgung möglich gewesen, in 22 Fällen Strömungseingriffe durch die chinesischen Dämme als Warnhinweis an lokale Gemeinschaften im laotisch-thailändischen Grenzgebiet weiterzugeben. Der Schock durch die kurzfristig stark geänderten Wasserstände fiel damit etwas geringer aus. Zumindest die Menschen am Fluss können so reagieren. Pflanzen und Tieren in den Feuchtgebieten und Biotopen fällt das schwerer.

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