Schwung und Antischwung

Egal, ob das nun Pop, Genre oder Unterhaltung sein soll: Mit »Müll« bleibt Wolf Haas weiterhin obenauf

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 5 Min.

In Wolf Haas’ Roman »Das Wetter vor 15 Jahren« erzählt ein fiktiver Autor namens Wolf Haas einer Journalistin, wie er früher mit seiner Tante Schnulzenfilme im Fernsehen geguckt habe. Wenn dem kleinen Wolf die Plots allzu unwahrscheinlich gestrickt erschienen, habe die kluge Dame seine Kritik stets mit der gleichen Begründung abgeräumt: »Sonst wär’s kein Film.«

Ein Satz, der sich auch auf Haas’ Brenner-Reihe beziehen ließe, weil sich diese Kriminalromane ihrer eigenen Genrezugehörigkeit so gewiss sind, dass sie diese gerne auch selbst reflektieren. Es sind Metakrimis, die voraussetzen, dass bereits alle Mordfälle erzählt wurden, das Besondere also weniger über die - wenngleich bei Haas häufig skurril bis grotesk verlaufenden - Fälle zu erreichen ist, sondern eher über die Art, wie diese berichtet werden.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Dieser spezielle Haas-Sound bringt nun regelmäßig die Kritiker so ins Schwärmen, dass sie ihrerseits das Objekt ihrer Verehrung nur ungern als Kriminalschriftsteller gelten lassen wollen. Für gewöhnlich handelt es sich bei Genre-Romanen nicht um Literatur, geschweige denn um Schöne Literatur. Zeichnet sich diese durch eine freie Form aus, die ihre eigenen Regeln und ihre Poetiken in sich selbst formuliert, besteht die Güte von Unterhaltungsliteratur lediglich in der originellen Anwendung der ihr Sujet definierenden Regeln.

Ein Liebesroman braucht zwei Figuren, die sich am Ende kriegen oder nicht. Ein Krimi muss die Frage »Whodunit« stellen und sie auf möglichst spannende Weise beantworten. Nur wenn sie Klassiker- oder Kultstatus erlangen, finden Genre-Romane Eingang in den bürgerlichen Kanon, was bedeutet, dass ihre Autoren einen langen Atem benötigen.

Bei Wolf Haas liegt die Sache ganz anders. Der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler zählte seine Brenner-Reihe schon Anfang der Nullerjahre zur Popliteratur. Im »Literarischen Quartett« bezeichnete ihn kürzlich der Kritiker Ijoma Mangold gar als einen avantgardistischen Schriftsteller. Seine Bücher seien viel eher der experimentellen Poesie verpflichtet denn der schnöden Frage, wer denn nun wen um die Ecke gebracht habe.

Was ist an Haas’ Krimis so besonders? Es sind die Sprache und die Sprachspielerei. Ein allwissender Erzähler berichtet bei ihm von Mord und Totschlag, richtet sich direkt an die Leserschaft, plaudert eher, als dass er erzählt. Einen Brenner-Krimi aufzuschlagen, ähnelt der Begegnung mit einem Fremden im Wirtshaus, der - Ist hier noch frei? - sofort anfängt, eine Geschichte zu erzählen. Der Stil gleicht dem eines hoch konzentrierten Plaudertons, Schmäh trifft auf intellektuelle Gewissenhaftigkeit. Das klingt dann zum Beispiel so: »Mord verjährt nirgends auf der Welt, und finde ich vollkommen richtig so. Für den Ermordeten gibt es auch kein Verjährt, da kannst du auch nicht daherkommen und sagen, ich hab jetzt das Totsein vorzeitig hinter mir, weil gute Führung im Jenseits.«

Der so abwägende und auf Abwege führende Erzähler ist die eigentliche Hauptfigur, während der Ermittler Brenner fast nur eine Nebenfigur darstellt, wenngleich eine äußerst liebenswerte. Zu Anfang der Reihe ist er noch Kriminalbeamter, später quittiert er den Dienst, schlägt sich als Privatdetektiv, Chauffeur und Rettungssanitäter durch, von der Ermittlungsarbeit will er sich möglichst fernhalten. Er hat privat schon genug um die Ohren: Liebeskummer, Migräne, Suchtanfälligkeit, psychische Probleme.

Die erfolgreichen Verfilmungen mit Josef Hader in der Hauptrolle fallen denn auch deutlich melancholischer aus. Im neuesten Roman »Müll« zeigt sich Simon Brenner nun in erleichternd guter Verfassung. Er hat zwar, nachdem ihn seine Freundin rausgeschmissen hat, keine eigene Wohnung, findet aber als sogenannter Schlafgänger Obdach in Wohnungen, deren ihm fremde Mieter netterweise verreist sind.

Auch beruflich hat er sich noch etwas weiter von den Leichen entfernt, mit denen er erklärtermaßen nichts mehr zu tun haben will. Er ist als Angestellter auf einem Wiener Mistplatz untergekommen, wo aber - sonst wär’s kein Krimi - auf einmal ein Toter auftaucht. Die Müllmänner puzzeln die über mehrere Container verteilten Teile eines Mannes zusammen. Brenner tippt auf die Ehefrau als Täterin, deren Tochter glaubt, dass die Organhandel-Mafia ihre Finger im Spiel hat. Wie gewohnt eher unfreiwillig nimmt Brenner die Spur auf, während ihm von anderer Seite ganz persönlich Ungemach droht. In seiner aktuellen Wohnung bekommt er ungewünschten Besuch der rechtmäßigen Mieter.

Zu viel sei in beiden Fällen nicht verraten, und es geht hier ja ohnehin nur um Verbrechen und ebenso sehr - sonst wär’s kein Haas-Roman - um eine Korrektur der Sprache im Verlauf des Parlierens. Wunderbar etwa, wie der Erzähler in der Szene, in der Brenner die Lösung des Falles aufgeht, zwischen »träge« und »faul« differenziert: »Im Prinzip ist faul dasselbe wie fleißig. Der Faule rudert eine Spur langsamer als der Fleißige, das ist der ganze Unterschied.« Trägheit sei etwas völlig anderes, in ihr träfen zwei gegenläufige Energien aufeinander: »Du erledigst es nicht gleich, du erledigst es vielleicht auch nicht später, aber du nimmst einmal einen Schwung, der gleichzeitig ein Antischwung ist. Du tust so, als würdest du es tun. Und Schwung und Antischwung, wenn du es richtig kombinierst, das ist eine Energie, damit zerreißt du die Welt.«

Es resultiert zwar keine weltumstürzende Kraft aus diesem Vorgang im Gehirn des Ermittlers, zumindest aber steht an dessen Ende die Aufklärung des Falles. Und wenn man, leise schmunzelnd, das Buch zuschlägt, sind dann auch alle Gattungsfragen geklärt. Müßig, ob man es nun Literatur oder Genre nennen mag - was Haas da abliefert, gehört schlicht zur besten und intelligentesten Unterhaltung, die man zwischen zwei Buchdeckeln vorfinden kann.

Wolf Haas: Müll. Hoffmann und Campe, 288 S., geb., 24 €.

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