»Rape Tapes«: Sie jagen Vergewaltiger

In ihrem Doku-Podcast »Rape Tapes« decken zwei Journalistinnen ein international organisiertes Verbrechen auf

Isabel Ströh (l.) und Isabell Beer mit ihrem hochverdienten Grimme-Preis.
Isabel Ströh (l.) und Isabell Beer mit ihrem hochverdienten Grimme-Preis.

Die öffentlich-rechtlichen Sender erkunden neuerdings die geheimnisvolle Welt des effizienten Wirtschaftens, wozu offensichtlich auch die Zweitverwertung von bereits versendetem Material in anderen Medien gehört. Geht es dabei um ein wichtiges Thema wie in diesem Fall, sollen sie gern so weitermachen: Für den fünfteiligen Podcast »Rape Tapes« greift der NDR auf Material und Recherchen zurück, die bereits vor einem Jahr als Fernseh-Doku gelaufen sind (»Das Vergewaltiger-Netzwerk auf Telegram«) und die Eindruck gemacht haben, es gab auch einen verdienten Grimme-Preis dafür. Tatsache ist in diesem Fall: Man kann das gar nicht oft genug senden.

Im Rahmen einer Investigativrecherche sind die Journalistinnen Isabell Beer und Isabel Ströh im Netz auf verstörendes Bildmaterial gestoßen: Immer wieder fanden sie auf Pornoseiten Bilder und Filme, auf denen Frauen offenbar betäubt und bewusstlos sind und diese in diesem Zustand sexuell missbraucht werden.

Bei solchem Material lässt sich dabei natürlich nicht immer mit Sicherheit sagen, ob es echt oder inszeniert ist. Beer und Ströh finden aber zu viele Beispiele solcher Gewaltpornos, die auf ungute Weise echt wirken. Also beschließen sie, sich den Leuten anzunähern, die sich solche Bilder und Filme ansehen und in den Kommentaren der Pornoseiten darüber austauschen. Sie beschließen, einen Köder auszuwerfen, indem sie eigenes Bildmaterial anfertigen, um damit in den einschlägigen Foren zu punkten.

Das Betäuben und Vergewaltigen von Frauen hat einen weltweiten Markt, und auf diesem Markt wird Geld verdient.

Der Vorteil des Podcast-Formats gegenüber der Fernseh-Doku ist es, dass das Audioformat den Erzählenden und den Protagonist*innen mehr Anonymität bietet und weniger dazu angetan ist, die Zuhörenden in den Strudel des eigenen Voyeurismus zu reißen. Wenn Beer sich selbst als Bewusstlose inszeniert, so kann sie ihr Bild selbst beschreiben, ohne sich unseren Blicken ausliefern zu müssen. Wenn ein langjähriges Missbrauchsopfer ausführlich interviewt wird, kommt der Podcast ohne Perückenverkleidung und Rücken-Abfilmen aus: Die Stimme der Frau genügt uns hier, sie soll durch KI verfremdet sein, und sie bietet jedenfalls einen besseren, direkteren Zugang zu ihrer Person und ihrer Geschichte, ohne ihr Bild zu verkaufen.

Die Geschichte dieser Zeugin, die hier Marlene genannt wird, ist das Gravitationszentrum dieses Podcasts. Über viele Jahre ist sie von ihrem Partner, der hier unter dem Pseudonym »Nils« läuft, regelmäßig missbraucht worden: Nils hat sie mit immer größerem Geschick alle paar Tage unter Betäubungsmittel gesetzt, er hat die Bewusstlose ausgezogen, fotografiert, gefilmt, hat die Filme und Bilder in einer Telegram-Gruppe geteilt, hat Handlungsanweisungen aus der Gruppe aufgegriffen, was mit dem bewusstlosen Körper als Nächstes anzustellen sei, hat Beifall dafür bekommen, wenn er seine Partnerin wieder und wieder missbraucht hat.

Es ist stark, mit welcher Nüchternheit und Professionalität die Journalistinnen ihr Thema verfolgen und aufbereiten; ebenso, mit welcher Souveränität der Podcast zwar dramaturgischen Erfordernissen folgt, inklusive Cliffhangern und Hintergrundmusik – wie er das aber tut, ohne jemals in die Sensationslust abzurutschen.

Nachdem der erschütternde Fall von Marlene und Nils beleuchtet ist und die Polizei mit großer Verspätung eingegriffen und Nils’ Treiben beendet hat, wissen Beer und Ströh, dass ihre Aufgabe noch lange nicht beendet ist. Sie suchen das Gespräch mit der Polizei, die ein Jahr lang nutzlos auf ihren Ohren gesessen hat. Sie suchen den Austausch mit Politiker*innen, die sich zuständig fühlen müssten. Sie forschen einem angeblichen Betäubungsmittel hinterher, das in einer Tarnverpackung als Haarpflegemittel im Internet bestellt werden kann. Sie legen das Mittel einem Toxikologen vor, der zunächst keine Wirkstoffe nachweisen kann und die Sache nicht recht ernst zu nehmen scheint. Sie bleiben aber am Ball und bitten um eine zweite, intensivere Untersuchung – der Toxikologe wird fündig und erkennt ein Betäubungsmittel, dessen Perfidie ihn dann selbst erschüttert.

Das Betäuben und Vergewaltigen von Frauen hat einen weltweiten Markt, und auf diesem Markt wird Geld verdient. Wie zielstrebig und aufrecht Isabell Beer und Isabel Ströh hier ihrer Spur nachgehen, bis ein internationaler Ring von Vergewaltigungsfans zumindest erst mal erkannt wird, und bis Polizei und Politik so langsam in Bewegung kommen – das ist schlicht vorbildlich. Dieser Podcast ist einer der doch leider viel zu selten erlebten Gründe, an Sinn und Existenzberechtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu glauben.

»Rape Tapes«, ARD-Audiothek

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