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  • Hemingways Jahre in Italien

Der Junge aus dem Piavetal

Wie Ernest Hemingway 1918 nach Italien kam und sich in eine ganze Region verliebte

  • Christian Schreiber
  • Lesedauer: 6 Min.

Vor gut 100 Jahren verschlägt es einen jungen US-Amerikaner ins italienische Piavetal bei Venedig. Mitten hinein in den Krieg. Er wird schwer verwundet und erleidet ein Trauma, das ihn ein Leben lang beschäftigt. Er verarbeitet es in Büchern und legt damit den Grundstein für seine Weltkarriere als Schriftsteller. Sein Name: Ernest Hemingway. Überall in Europa findet man seine Spuren, seine große Liebe zu Venedig ist weithin bekannt.

Aber nur wenige wissen, wie sehr er ausgerechnet an jenem Landstrich hing, in dem er um ein Haar sein Leben verloren hätte. Eine Spurensuche im Piavetal, die wirklich eine Spurensuche ist, weil die Region nie daran gedacht hat, das Hemingway-Potenzial zu nutzen. Mit böser Zunge könnte man auch sagen: eine Region, die es verschlafen hat. Aber das dürfte sich ändern. Zumindest erste Hemingway-Rundtouren gibt es mittlerweile.

Tipps

Anreise: Flüge nach Venedig ab verschiedenen Airports in Deutschland.

Zug: Von Berlin in 12 Stunden mit zwei Umstiegen (München und Villach) nach Venedig. www.bahn.de

Übernachten: Hotel Villa Leon d’Oro (Noventa di Piave): ab 85 Euro pro Person im DZ/F. www.leondorohotel.com

Essen und Trinken: Monegaldo (Monastier): ausgezeichneter Fisch zu fairen Preisen. www.trattoriamenegaldo.it

Touren »Hemingways Krieg«: Mit Audioguide/QR-Code ab Fossalta auf den Spuren des Schriftstellers. Rundtour/Halbtagestour (rund 10 km) auch mit dem Fahrrad machbar. U.a. Infopunkte mit Fotos/Erklärungen. Zudem Fußtour durch Fossalta. www.bellapiave.it

Radverleih für Piave-Touren (Jesolo): www.ambientbikejesolo.it

Die Recherche wurde unterstützt von Venezia Dolomiti.

Und zwar in Fossalta im Piavetal. Es ist ein typisches italienisches Dorf mit 4114 Einwohnern, die in angestaubten Häuschen wohnen, Wein anbauen und in der Osteria Rialto den schönen Dingen des Lebens nachgehen. Dieser Ort war zum Ende des Ersten Weltkriegs Schauplatz grausamer Schlachten. Hüben Österreicher, drüben Italiener, der Fluss Piave als Grenze und Trennlinie. Hemingway, der selbst gern als Soldat gekämpft hätte, aufgrund eines Augenleidens aber ausgemustert war, hatte sich in den USA als Rot-Kreuz-Mitarbeiter gemeldet und trifft im Frühsommer 1918 im Piavetal ein. Er geht näher ans Geschehen, als ein Helfer eigentlich dürfte, versorgt die italienischen Soldaten im Schützengraben mit Zigaretten und Essen. Das wird ihm in der Nacht vom 7. auf den 8. Juli zum Verhängnis, als die Österreicher plötzlich das Granatenfeuer eröffnen. »Ich wusste, dass ich verwundet war, und ich beugte mich vornüber und fasste mit der Hand nach meinem Knie. Mein Knie war nicht da. Meine Hand ging hinein und mein Knie war unten, wo mein Schienbein war«, schreibt Hemingway rückblickend. Er schleppt sich ins Dorf, wird später in ein Hospital nach Mailand verlegt, wo er sich der Krankenschwester Anges von Kurowksy nähert. Die unglückliche Liebe ist Grundlage für sein Buch »In einem anderen Land«, das 1929 erscheint.

Es gibt noch weitere Werke wie »So wie du niemals sein wirst« und »Über den Fluss und in die Wälder«, in denen Hemingway die (Kriegs-)Zeit im Piavetal aufarbeitet. Und das ist das Glück für Bruno Marcuzzo. Als Kind wühlte er vor dem elterlichen Haus in Fossalta in der Erde und fand Patronenhülsen. Seither wollte der rundliche Italiener alles über die Vergangenheit seiner geliebten Heimat wissen. Und so las er nach und nach die Bücher des US-Schriftstellers. »Ohne Hemingway hätte ich kaum etwas rausgefunden.« Was dabei alles ans Tageslicht kam, hat Marcuzzo in zwei Rundkurse gepackt. Die große Hemingway-Tour ist mehr als zehn Kilometer lang, mit dem Auto, aber auch gut per Fahrrad, zu bewältigen.

Die kürzere führt durch das Dorf und zeigt die Stationen Hemingways an jenem verhängnisvollen Juliabend 1918. Bruno Marcuzzo hat erstaunlich viele Details ausgegraben und auch einige interessante Fotos. Etwa jenes, das Hemingway mit Fahrrad und Gewehr zeigt - beides hätte ihm als Rot-Kreuz-Helfer nicht zugestanden. »Er hat sich Dinge einfach rausgenommen und wollte wie ein Soldat sein«, erzählt Bruno.

Die Chance zur Begegnung mit dem Schriftsteller hatte der Italiener nicht. Er ist 55 Jahre alt und war noch nicht auf der Welt, als sich Hemingway 1961 das Leben nahm. Aber immerhin hat Bruno mit Zeitzeugen gesprochen, die registriert haben, wenn Hemingway zu Ausflügen und langen Spaziergängen in späteren Jahren ins Piavetal zurückkehrte. Das war 1948 der Fall, als der Autor einige Monate auf der Insel Torcello in der Lagune von Venedig lebte.

1950 und 1954 besuchte er die Region nochmals. Damals hat er jenen berühmten Satz in Briefen an Freunde formuliert, der auf dem Hemingway-Denkmal in Fossalta verewigt ist: »Io sono un ragazzo del basso Piave.« (»Ich bin ein Junge aus der Piave-Ebene.«) Es handelt sich nur um einen schlichten Stein, auf der Rückseite ist festgehalten: »AUF DIESEM DAMM WURDE ERNEST HEMINGWAY - FREIWILLIGER IM AMERIKANISCHEN ROTEN KREUZ - IN DER NACHT DES 8. JULI 1918 VERLETZT.«

Die Einheimischen nennen den Ort »buso de burato« (Loch des Burato). Dahinter fließt friedlich die Piave, als hätte es an ihren Flanken nie die schrecklichen Gemetzel gegeben. Radfahrer sind an den Ufern unterwegs. Es hat einen ganz eigenen Charme, dem Fluss mit Mountain- oder Trekkingbike zu folgen und so die Region zu erkunden. Zwar ist der Piave-Radweg ein offizielles Tourismusprojekt, aber man darf hier im Süden nicht mit Asphalt rechnen. Die Reifen holpern über Feldwege, die mal mehr, meist aber weniger ausgeschildert sind.

Zwischen Fluss und Weg wachsen Mais, Kartoffeln oder Weizen. Weiter im Norden tauchen erste Hügel auf, irgendwann schlängelt sich die Piave durch Weinberge des Prosecco-Landes. Wer ausdauernd ist und mehrere Tage Zeit hat, folgt ihr bis nach Belluno oder hinein in die Dolomiten, wo sie ihren Ursprung hat. Man passiert viele alte Kirchen und Klöster und ganz in der Nähe von Fossalta auch die alte Benediktiner-Abtei von Monastier, in der die Helfer des amerikanischen Roten Kreuzes während der Kriegszeit untergebracht waren. Hemingway soll hier wochenlang Verletzte aufgepäppelt haben, ehe er beschloss, sich der Kampflinie zu nähern. Heute firmiert die Anlage als Freilichtmuseum, beliebt ist sie vor allem bei Hochzeitsgesellschaften, die dort rauschende Feste feiern können. Außerdem finden in den Sommermonaten Konzerte statt.

Zum Gedenken an Hemingways Verwundung sollte es eigentlich auch Lesungen geben. Corona hat das Projekt allerdings zurückgeworfen. In diesem Sommer könnte es aber endlich klappen. Bruno Marcuzzo hat schon ein Wunschdatum: »Natürlich der 8. Juli.« Es ist langsame, aber stete Annäherung der Region an Hemingway. Mit Marcuzzos Hilfe könnte von Fossalta ausgehend ein zaghafter Hemingway-Tourismus etabliert werden. Der 55-Jährige hat das schon öfter angestoßen. Diesmal könnte er Erfolg haben, und das hängt mit der schlichten Erkenntnis hiesiger Politiker zusammen, die endlich verstanden haben, dass man die Touristenströme in Venedig besser kanalisieren muss. Vor Corona galt die Lagunenstadt mit rund 60 Millionen Besuchern pro Jahr als total überlaufen. Und so existierten bereits Pläne, Eintrittskarten für den Markusplatz zu verkaufen. Auch wurden alternative Angebote für Besucher geschaffen. So gibt es seit einiger Zeit täglich organisierte Bustouren von Venedig in die Dolomiten, die besonders gut bei Asiaten ankommen. Und nun will man vor allem US-Gäste zu einem Ausflug nach Fossalta und ins Piavetal bewegen. Raus aus der heißen, dicht bevölkerten Stadt. So wie es Hemingway gemacht hat, wenn ihm der Trubel in Venedig zu viel wurde: »Io sono un ragazzo del basso Piave.«

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