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Sánchez in Erklärungsnot

Pegasus-Spionageskandal bringt spanische Minderheitsregierung in die Bredouille

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 4 Min.
Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez muss sich am 27. April vor dem Parlament in Madrid über den Spionageskandal erklären.
Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez muss sich am 27. April vor dem Parlament in Madrid über den Spionageskandal erklären.

Der Spionage-Skandal »CatalanGate« zieht weitere Kreise. Spaniens Premierminister Pedro Sánchez und seiner Regierung ist es bei der Parlamentssitzung am Mittwoch nicht gelungen, ihre Unterstützer zu besänftigen, die teils direkt zu den Opfern der massiven Spionage über das Ausspäh-Programm Pegasus gehören. Einen Tag zuvor hatte Unidas Podemos (UP), der Koalitionspartner der Sozialdemokraten (PSOE) in der Minderheitsregierung, gemeinsam mit praktisch allen tolerierenden Unterstützern Aufklärung über die Vorgänge gefordert. Bei der Ausspähung wurden mindestens 65 hochrangige Politiker, darunter die vier bis dato letzten katalanischen Präsidenten ab 2016 massiv ausspioniert, aber auch der Chef der baskischen Linkskoalition EH Bildu sowie zivilgesellschaftliche Aktivisten, Anwälte und Journalisten.

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Der Juniorpartner UP verlangt mit den Unterstützern der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) und Bildu eine »juristische und politische« Untersuchung. »Verantwortlichkeiten« müssten geklärt und übernommen werden. Der Rücktritt verantwortlicher Minister wird auch aus Reihen der Opposition wie von »Gemeinsam für Katalonien« (JxCat), der linksradikalen katalanischen CUP, dem »Bloque« (BNG) aus Galicien, »Compromís« aus Valencia oder der spanischen »Más País« gefordert.

Statt den Forderungen nachzukommen, verstrickt sich die Regierung immer weiter, allen voran die angeschlagene Verteidigungsministerin Margarita Robles. Ihren Rücktritt fordert der ausgespähte katalanische Regierungschef Pere Aragonès. Er hat den ohnehin schwächelnden Dialog zwischen der katalanischen und der spanischen Regierung derweil eingefroren. Robles verteidigt die Spionage sogar. Sie warf ein, dass auch andere staatliche Organe Pegasus nutzen und verweist auf das Innenministerium. »Was soll ein Staat tun, wenn gegen die Verfassung verstoßen wird?«, fragte Robles, die kaum noch in ihrem Amt zu halten sein wird. Die ehemalige Richterin sollte aber wissen, dass man gegen die Verfassung verstößt, wenn man Politiker mit parlamentarischer Immunität ausspioniert oder auch Journalisten oder Anwälte. Nur mit Genehmigung des Obersten Gerichtshofs ist Ausspionieren legal möglich, indes auch nur eingeschränkt. Doch dieser wurde nie eingeschaltet, berichten spanische Medien mit Bezug auf höchste Richter.

Auch Sánchez versinkt immer tiefer im Spionage-Skandal, da auch er sich hinter den Geheimdienst CNI stellt. Der CNI halte sich stets »genauestens« an Gesetze, behauptete er am Mittwoch im Parlament ohne jede Untersuchung. Die hat er vage versprochen, um das schwer erschütterte »Vertrauen« wiederherzustellen. Zunächst hatte die Regierung die Spionage geleugnet. Die Beweise wurden aber erdrückend, denn zwischenzeitlich wurde geklärt, dass Spanien Pegasus von der israelischen NSO Group schon 2016 für mehr als sechs Millionen Euro erstanden hat. NSO verkauft die Software nur an Staaten, um Terrorismus und Schwerstkriminalität zu bekämpfen. Deshalb wurde derweil das Narrativ angepasst.

Das inoffizielle PSOE-Organ »El País« behauptete am Dienstag, der CNI habe nur »individuell, nicht wahllos und immer unter gerichtlicher Kontrolle« spioniert. Die Liste der Betroffenen sei deutlich kürzer, behauptet »El País« mit Bezug auf den Geheimdienst. Kürzer als es die Untersuchungen des IT-Sicherheitslabors Citizen Lab an der Universität von Toronto ergaben, die von IT-Experten von Amnesty International bestätigt wurden. Citizen-Lab-Experte Elies Campo, der an der Aufdeckung beteiligt war, meint dagegen, es gebe »mindestens« doppelt so viele Opfer, denn bisher seien nur iPhones untersucht worden, Android-Geräte noch nicht. Doch 80 Prozent aller infizierten Geräte verfügten nach NSO-Angaben über Android. Es seien »breit« zivilgesellschaftliche Organisationen ausgespäht worden.

Die Partner wenden sich wegen der Ausweitung des Skandals von der PSOE ab. Bildu und ERC wollen dem neuen Krisenpaket der Minderheitsregierung nun die Zustimmung verweigern, weshalb die PSOE nun ihre Hände nach rechts in Richtung der Volkspartei (PP) ausstreckt. Der Partnerwechsel würde zum definitiven Bruch mit linken Kräften führen. Die PP würde ihrerseits die Regierung zum gegebenen Zeitpunkt fallen lassen.

Im bevölkerungsreichen Andalusien hat der PP-Präsident nun am Dienstag die Wahlen auf den 19. Juni vorgezogen. Das ist die Generalprobe: Gewöhnlich gewinnt in Spanien die Partei, die zuvor in Andalusien gewinnt. Neuwahlen in Spanien rücken näher.

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