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  • Berlin
  • Menschen mit Behinderung und Inklusion

Beats bitte barrierefrei

Viele Musikveranstaltungen sind nicht inklusiv gestaltet

  • Lola Zeller
  • Lesedauer: 4 Min.
Für Rollstuhlfahrer und Menschen mit anderen Behinderungen sind Konzerte, hier eines der Beatsteaks im "SO36" in Berlin-Kreuzberg, wegen vieler Barrieren oft kaum zu genießen.
Für Rollstuhlfahrer und Menschen mit anderen Behinderungen sind Konzerte, hier eines der Beatsteaks im "SO36" in Berlin-Kreuzberg, wegen vieler Barrieren oft kaum zu genießen.

»Wir wollen Inklusion durch Musik schaffen, denn Musik ist ein verbindendes Mittel für alle«, sagt Peter Mandel. Er ist Mitbegründer von Handiclapped – Kultur Barrierefrei, einem Verein, der es sich auf die Fahne geschrieben hat, Konzerte inklusiv zu veranstalten für Menschen mit und ohne Behinderung. An diesem Samstag organisiert der Verein anlässlich des Europäischen Protesttages zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung ein großes Konzert mit Quiz und Modenschau im Bildungs- und Kulturzentrum »Peter Edel« in Berlin-Weißensee. Mandels wichtigste Forderung anlässlich des Protesttages: »Alle Menschen müssen gleichberechtigt an Musik teilhaben können, niemand darf davon ausgeschlossen sein aufgrund einer Behinderung.«

Bis dahin sei aber noch viel zu tun, sagt Mandel. Denn die meisten Musikveranstaltungen seien nicht allzu inklusiv. Barrieren seien etwa fehlende Zugänge zu den Räumen und zur Bühne, zu hohe Tresen oder unangemessene Beleuchtung, so Mandel. »Wir bieten auch Beratungen für Veranstalterinnen und Veranstaltungsorte an, um Barrieren abzubauen. Viele haben sich da noch gar nicht genug Gedanken gemacht, weil Menschen mit Behinderungen gar nicht erst zu den Veranstaltungen kommen«, sagt Mandel. Auch sei wenig bekannt, dass Mittel zur Finanzierung vom Abbau von Barrieren beantragt werden können.

Kern der Arbeit von Handiclapped ist die Musik. Schon seit fast 15 Jahren veranstaltet Mandel mit dem Verein ein- bis zweimal im Monat Konzerte mit inklusiven Bands in Berlin. »Wir haben auch zwei Bands, die vom Verein selbst gefördert werden, also unter anderem Instrumente, Probenräume und musikalische Anleitung von uns finanziert bekommen«, so der Vereinsgründer.

Die Handiclapped-Band, die sich inzwischen in Rock Antrieb umbenannt hat, spiele zum Beispiel ganzjährig auf vielen Festen in Berlin und Brandenburg. Auch am Samstag wird die Band beim Konzert zum Protesttag für Gleichstellung von Menschen mit Behinderung auftreten. »Wir haben ein großes Programm auf die Beine stellen können«, so Mandel. Neben Bands und DJanes werde eine Modenschau des Labels »Auf Augenhöhe« stattfinden, das Mode für kleinwüchsige Menschen präsentieren wird; außerdem werde es ein Inklusionsquiz geben, so Mandel. Das Wichtigste bei allem sei der Spaß an der Musik für alle, die teilnehmen. »Wir haben einen Saal, in den 300 Leute passen, und hoffen, dass etwa 150 Leute vorbeikommen«, sagt er.

Der Protesttag selbst findet jährlich am 5. Mai, also an diesem Donnerstag statt. Der Berliner Behindertenverband organisiert zusammen mit zahlreichen weiteren Organisationen eine Demonstration unter dem Motto »Tempo machen für die Inklusion – barrierefrei zum Ziel«. Erwartet werden um die 1000 Teilnehmende, so Christiane Müller-Zurek von der Berliner Lebenshilfe zu »nd«. Die Demonstration findet inzwischen zum 30. Mal statt, in den vergangenen Jahren nahmen bis zu 5000 Menschen teil, sagt sie.

Ein brennendes Anliegen der Verbände sei es, dass Berlin endlich die Barrierefreiheit umsetze. »Einerseits geht es um physische Barrierefreiheit für mobilitätsbehinderte Menschen in Bezug auf Wohnraum sowie Mobilität. Im Land Berlin fehlen 40 000 bis 100 000 barrierefreie Wohnungen«, so Müller-Zurek. Aber auch in der Kommunikation müssten Barrieren abgebaut werden, zum Beispiel durch mehr Gebärdensprache und die Verwendung Leichter Sprache auf den Webseiten des Landes oder bei den BVG-Ticketautomaten.

Weiterhin müsse es mehr Beteiligungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung in den politischen Prozessen auf allen Ebenen geben. »Wir fordern die aktive Unterstützung des Berliner Behindertenparlaments mit einem eigenen Budget und einer Geschäftsstelle«, so Müller-Zurek. Das Parlament startet an diesem Samstag mit einer digitalen Auftaktveranstaltung ins zweite Jahr, teilnehmen können alle Berlinerinnen. Die tatsächliche Sitzung soll dann im Dezember im Abgeordnetenhaus stattfinden, sagt Müller Zurek.

»Das Zweite Berliner Behindertenparlament will Politik inklusiv gestalten, mehr Partizipation und mehr Gehör für Menschen mit Behinderung schaffen«, sagt sie. Weitere wichtige Themen für den diesjährigen Protesttag seien Gewaltschutz für Frauen mit Behinderung, die zum Beispiel einen erschwerten Zugang zu Frauenhäusern haben, und bessere Inklusion in den Schulen Berlins.

Die Demonstration wird um 14 Uhr am Brandenburger Tor starten und dann über den Straßenzug Unter den Linden bis zum Roten Rathaus ziehen. Dort soll um 15.30 Uhr die Abschlusskundgebung stattfinden. »Was Barrierefreiheit angeht, gehen die Organisatorinnen mit gutem Beispiel voran«, so Müller-Zurek. So gebe es Dolmetscherinnen für Gebärdensprache auf der Bühne, und für Menschen, die nicht die ganze Strecke laufen können, gebe es die Möglichkeit, Teile des Weges in Rikschas mitzufahren. Außerdem sei die Bühne auch für Rollstuhlfahrerinnen zugänglich, und bei allen Redebeiträgen werde darauf geachtet, dass die Sprecher*innen sich leicht verständlich ausdrücken, so Müller-Zurek.

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