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Solidarische Mieterrettung

Das Berliner Bündnis Zwangsräumung verhindern kämpft dagegen, dass Menschen ihre Wohnung verlieren – immer wieder mit Erfolg

  • Lola Zeller und Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 7 Min.
Das Bündnis Zwangsräumung verhindern gibt Mietern Halt, selbst wenn sie ihre Wohnung verlieren.
Das Bündnis Zwangsräumung verhindern gibt Mietern Halt, selbst wenn sie ihre Wohnung verlieren.

In der Küche des Kreuzberger Familien- und Nachbarschaftszentrums »Kiezanker 36« bereiten Fatima B. und ihr Mann gerade das Essen für den Grill vor, ihre sechs Kinder spielen in der Nähe und malen im Kunstraum, Aktivist*innen vom Bündnis Zwangsräumung verhindern tauschen sich über aktuelle Fälle von räumungsbedrohten Menschen in Berlin aus. Die Stimmung ist gut. Kein Wunder, der Anlass des Zusammenkommens ist die erfolgreich verhinderte Räumung der Wohnung einer Familie in Berlin-Spandau in der Woche zuvor. »Wir haben es geschafft, wir können bleiben«, sagt Fatima B. glücklich. Zumindest vorläufig bleibt die Sechs-Zimmer-Wohnung in der Obstallee in der Großwohnsiedlung Heerstraße Nord im Ortsteil Staaken das Heim der Familie, weil die Vermieterin, das landeseigene Wohnungsunternehmen Gewobag, die Räumung ausgesetzt hat. »Ich hätte nicht gewusst, wo ich mit den sechs Kindern, meinem Mann und meiner Mutter hingekonnt hätte«, so B.

Noch in der vergangenen Woche war die Situation brenzlig. Der für Donnerstagfrüh angesetzte Räumungstermin wurde erst wenige Stunden vorher von der Gewobag abgeblasen. Vorangegegangen war am Mittwochvormittag eine Aktion von Zwangsräumung verhindern, etwa 30 Unterstützer*innen der Familie B. statteten der Gewobag-Zentrale in Moabit dabei einen Besuch ab. Die gut 2000 Euro Mietschulden, die von der Gewobag als Grund für die Kündigung genannt wurden, waren bereits durch eine solidarische Spende über das Bündnis beglichen worden. Trotzdem blieb eine verbindliche Absage der Räumung bis dahin aus – Mittwochnachmittag lenkte das landeseigene Unternehmen dann doch ein.

Ein Aktivist von Zwangsräumung verhindern, er nennt sich David Schuster, führt den Erfolg auf den öffentlichen Druck auf Landespolitik und Unternehmen zurück, der durch die Arbeit der Unterstützer*innen aufgebaut werden konnte. »Politiker*innen waren schon vorher involviert und informiert über die Situation der Familie. Aber ohne öffentlichen Druck machen die nichts, deshalb braucht es den Druck von der Straße«, sagt Schuster.

Die jüngste Aktion liegt erst wenige Tage zurück. Aktivist*innen das Bündnisses besuchten an diesem Donnerstag einen Luxus-Schuhladen am Kurfürstendamm, weil zwei der drei Geschäftsführer ein Räumungsurteil gegen einen 62-jährigen BVG-Beschäftigten erwirkt hatten, der seit 40 Jahren in seiner Steglitzer Wohnung lebt. Umgehend nach dem Kauf der Eigentumswohnung im Jahr 2018 hatte einer der Geschäftsführer Eigenbedarf für seine 75-jährige Schwiegermutter angemeldet. »Eine stark sanierungsbedürftige Wohnung im dritten Stock ohne Fahrstuhl in einem 50er-Jahre-Bau. Dabei wohnt die Frau nachweislich in einer Villa«, erläutert eine Aktivistin von Zwangsräumung verhindern; sie nennt sich Anna Lobeck. »Die Richterin meinte, dass jeder mit Eigentum machen könne, was er wolle«, empört sie sich. Besonders geschmacklos findet sie, dass der Gerichtsgutachter wegen des psychischen und physischen Stresses eine Liste von Medikamenten empfahl.

»Was uns bei der Aktion im Laden überrascht hatte: Die Betreiber waren darauf vorbereitet und hatten Security engagiert«, sagt Lobeck. Das hätte es noch nie gegeben. Vorbereiten konnten sie sich, weil sich das Bündnis Zwangräumung verhindern vor Aktionen vor Ort stets per Brief an jene wendet, die eine Wohnung oder auch eine Gewerbefläche räumen lassen wollen. »Wir strecken die Hand aus zum Dialog und machen unmissverständlich klar, dass wir aufseiten des Mieters stehen. Und dass unser Schreiben nur der erste Schritt ist«, sagt Lobeck. Als die Truppe zur Büroadresse der Unternehmer weiterziehen wollte, habe dort bereits Polizei vor der Tür gestanden: »Offenbar hat es ein Gefährdungsgespräch gegeben.« Dabei tue man den Leuten nichts. Man sorge nur für Aufmerksamkeit. »Es hat zugenommen, dass die Repression schon nach dem ersten Brief von uns zuschlägt«, beobachtet Lobeck.

Hätte der Steglitzer Mieter sich vor dem Prozess an das Bündnis gewandt, wäre auch eine solidarische Prozessbegleitung möglich gewesen. Die Gerichtsverhandlungen sind zwar öffentlich, doch meist bleiben die Prozessbeteiligten unter sich. Mieter*innen denken oft, dass sie allein kämpfen; gegen diese Vereinzelung stemmt sich Zwangsräumung verhindern. »Es war wirklich berührend, als der Steglitzer Mieter uns gesagt hat, wie sehr wir ihn aufgefangen haben. Und wie viel Kraft ihm das gibt, obwohl er immer noch nicht weiß, wie es weitergeht«, sagt Aktivistin Lobeck. Die »Anpolitisierung«, wie sie es nennt, komme in solchen Fällen von selbst. »Jeder Einzelne merkt, dass er nicht allein ist, sondern dass es ein Massenschicksal ist. Und dann können die Leute erkennen: Das liegt am Kapital«, so Lobeck. »Für den Mieter ist es unfassbar, dass Menschen, die so viel Geld verdienen, ihn wegen der Rendite aus der Wohnung rausschmeißen wollen«, berichtet sie. Und kündigt an: »Wir werden auch seine Wohnungssuche politisch begleiten.«

Trotz aller Kritik an den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, zum Beispiel daran, dass sie nicht sozial genug ausgerichtet seien und überhaupt Räumungen durchführen, seien sie immer noch besser zu beeinflussen als Private, sagt Aktivist David Schuster. »Wir hatten in letzter Zeit etwa ein Dutzend angesetzte Zwangsräumungen bei den Öffentlichen, und bis auf eine konnten alle verhindert werden«, sagt er.

Der Umgang mit Familie B. in Staaken sei indessen nicht in Ordnung gewesen, so Schuster. Die Mietschulden der Familie seien aufgrund einer Unklarheit mit dem Jobcenter zustande gekommen, erzählt Fatima B. »Die Miete bezahlt das Jobcenter jeden Monat direkt an die Gewobag. Das war unsere Abmachung, als wir im Juni 2017 hier eingezogen sind«, sagt B. Nur die Miete für Oktober 2021 und teilweise für September 2021 sei laut Aussage des Jobcenters direkt auf das Konto der Familie überwiesen worden und nicht an die Gewobag. »Ich wusste das nicht, dass das Geld für die Miete war. Wir hatten auch mit Nachzahlungen des Jobcenters gerechnet, weil die manchmal zu wenig Leistungen bezahlen«, so B. zu »nd«.

Dass die Gewobag dann innerhalb kürzester Zeit im Dezember 2021 die fristlose Kündigung schickte und kurze Zeit später die Räumungsklage einreichte, widerspräche der Kooperationsvereinbarung der landeseigenen Wohnungsunternehmen mit dem Land Berlin, sagt David Schuster. Diese sieht vor, dass die Unternehmen sich vor einer Räumung darum bemühen, alle anderen Möglichkeiten zur Klärung der Situation und zur Unterstützung der Mieter*innen auszunutzen.

Grund für die Räumung seien, wie die Gewobag schließlich der Familie mitteilte, nicht nur die Mietrückstände von knapp über 2000 Euro, sondern auch Beschwerden von Nachbar*innen aus dem Haus. »Ich bin bereit, mit den Nachbar*innen darüber zu sprechen«, sagt B. »Die Räumung ist vorerst ausgesetzt. Wir werden die Familie auch weiterhin mit unseren Angeboten und entsprechend unseren Möglichkeiten unterstützen«, teilt Gewobag-Sprecherin Anne Grubert mit. Es liege nun auch an der Familie, sich »im Sinne eines nachbarschaftlichen Zusammenlebens an geltende Regeln und Gesetze zu halten«, sagt sie zu »nd«.

»Das ist schon ein krasser Druck, der durch die Gewobag auf die Familie aufgebaut wird«, sagt Tom Liebelt. Er ist Sozialarbeiter beim Gemeinwesenverein, der seit 40 Jahren Stadtteilarbeit im Kiez Heerstraße Nord in Spandau leistet. Liebelt unterstützt Familie B. im Konflikt mit der Gewobag und freut sich, dass die Räumung nicht stattgefunden hat. Das Gebiet Heerstraße Nord liegt nicht nur geografisch am Rande Berlins, sondern auch sozial. Viele Menschen sind auf Geld vom Jobcenter angewiesen und auf günstige Mieten. »Hierher ziehen die Menschen, die schon aus dem Rest Berlins verdrängt worden sind«, so Liebelt. Allerdings gebe es auch eine äußerst engagierte Anwohner*innenschaft und viele Initiativen, die den Stadtteil sehr lebendig machten.

Das Bündnis Zwangsräumung verhindern bleibt weiter auch an den landeseigenen Wohnungsunternehmen dran. Schließlich haben diese allein im vergangenen Jahr 314 Räumungen durchgeführt, wobei die Stadtentwicklungsverwaltung mitteilte, dass über zwei Drittel der Wohnungen davon zum Zeitpunkt der Räumung bereits unbewohnt gewesen seien. Das größte Problem auf dem Berliner Wohnungsmarkt seien aktuell aber Eigenbedarfskündigungen, sagt David Schuster. »Das hat in letzter Zeit stark zugenommen, und dagegen muss etwas unternommen werden.« Letztendlich helfe aber nur eine Organisierung des Wohnraums außerhalb der kapitalistischen Verwertungslogik.

Die Räumungszahlen in Berlin sind hoch, aber leicht rückläufig. Laut Statistik der Berliner Zivilgerichte wurden 2020 von 3111 Räumungsaufträgen 1703 tatsächlich durchgeführt, 2021 waren es 2936 Aufträge und 1660 erfolgte Räumungen, davon 1423 Räumungen von Wohnräumen. Für Schuster ist klar, dass es überhaupt keine Zwangsräumungen mehr geben darf. »Bei unserer Arbeit fällt auf, dass die Leute inzwischen wirklich alles tun, um in ihrer Wohnung zu bleiben. Denn bei der Situation auf dem aktuellen Wohnungsmarkt ist klar: Wer jetzt rausfliegt, findet nichts mehr«, sagt er.

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