Keine Garantie fürs Längerleben

Sachsens Linke drängt auf Neustart der Partei / Warnung vor »mutlosem« Umgang mit Sexismus-Vorwürfen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn Markus Pohle über den Zustand der Partei Die Linke nachdenkt, erinnert er sich an den Wimpel eines 1913 gegründeten proletarischen Radsportvereins, den er unlängst bei einer Parteiversammlung sah. Wäre die Partei ein Fahrrad, sagte der Meißner Genosse bei einem Parteitag des sächsischen Landesverbands am Samstag in Annaberg-Buchholz, würde man gern darüber nachdenken, wohin man das Gefährt steuert: in der Frage von Krieg und Frieden, von neuer Armut und »Faschisten in den Parlamenten«. Derzeit aber sei das Fahrrad nicht bereit, irgendwohin aufzubrechen. Vielmehr, sagt Pohle, »geht es darum, es zu reparieren«.

Die Debatte in der Erzgebirgsstadt ließ keinen Zweifel daran, dass es nicht nur um ein klapperndes Schutzblech oder flackerndes Licht geht, sondern um eine Art drohenden Totalschaden. Man stehe, sagte Co-Landeschefin Susanne Schaper, vor der »größten Zerreißprobe unserer Parteigeschichte«. Das Debakel bei der Bundestagswahl, als nur drei Direktmandate haarscharf den Einzug ins Parlament sicherten; die jüngsten Wahlpleiten im Saarland und in Schleswig-Holstein; der Wirbel über verbreiteten Sexismus in einer Partei, die sich als feministisch versteht; schließlich der Rücktritt von Bundeschefin Susanne Hennig-Wellsow – all das hat sich zur existenzbedrohenden Krise verdichtet. Schaper zitiert die Toten Hosen (»Steh auf, wenn du am Boden liegst!«) und den Spruch, wonach Totgesagte länger leben – fügt aber warnend hinzu: »Eine Garantie dafür gibt es nicht.«

Es geht nicht um Gewinnen oder Verlieren von Macht

Angesichts der schwierigen Lage hatte die sächsische Landespartei kurzfristig das Programm für ihren Parteitag geändert. Ursprünglich hatte es nur um die Reform interner Strukturen und eine letzte Einstimmung auf die Wahl von Landräten und Bürgermeistern in vier Wochen gehen sollen. Nun stand ein Dringlichkeitsantrag auf der Tagesordnung. Der mit gut 7000 Mitgliedern drittgrößte Landesverband der Linken spricht sich darin unter anderem gegen eine »vielstimmige Beliebigkeit nach außen« aus, die Wähler irritiere und vergraule. Zu einem geschlosseneren Bild soll beitragen, dass vor allem Mitglieder mit Amt und Mandat »abweichende Meinungen als persönliche Auffassungen« darstellen. Bei der notwendigen Diskussion um programmatische Kernfragen dürfe es nicht nur um »das Gewinnen oder Verlieren innerparteilicher Macht« gehen.

Dieser Punkt ist Stefan Hartmann, der den Landesverband seit der 10,4‑Prozent-Niederlage bei der Landtagswahl 2019 gemeinsam mit Schaper führt, besonders wichtig. Es sei »das dümmste Signal«, wenn die Klärung von programmatischen Streitfragen genutzt werde, um unliebsame Genossen aus der Partei zu drängen: »Auf unserer Seite der Barrikade sind wir wenig genug.« Hartmann rief auf zu mehr Gemeinsamkeit, die aber »immer wieder produziert werden« müsse: »Sie entstehen aus Widersprüchen und Differenzen, die vernünftig verhandelt werden.« Dass dies möglich ist, stellt nach Ansicht ihrer beiden Vorsitzenden der sächsische Landesverband unter Beweis, der früher als notorisch zerstritten galt, seit Einführung der Doppelspitze aber nicht mehr durch öffentliche Querelen aufgefallen sei, wie Hartmann betont.

Das Thema Sexismus ist kein Nebenschauplatz

Zeitig hat sich die sächsische Linke auch mit dem Thema Sexismus befasst – und warnt jetzt davor, das Thema in der Krise als Nebenschauplatz zu begreifen oder »mutlos« anzugehen. Vielmehr sei es prägend für die gesamte Außenwahrnehmung der Partei: »Wie wir miteinander umgehen, so sehen uns die Anderen«, mahnt Uta Gensichen. Sie ist seit gut einem Jahr Vertrauensperson in Fällen von Sexismus im Landesverband, der dazu auch ein Grundsatzpapier und einen Sanktionskatalog beschlossen hat.

Für den Bundesparteitag, der Ende Juni in Thüringens Landeshauptstadt stattfindet, drängen die sächsischen Genossen darauf, eine »programmatische Selbstverständigung« sowie eine Parteireform zu beginnen. »Beides muss in Erfurt auf den Weg gebracht werden«, sagte Hartmann. Auf dem Parteitag wird auch der Vorstand neu gewählt. Als Bewerber für den Parteivorsitz wird Sören Pellmann gehandelt, der in Leipzig bei der Bundestagswahl das dritte und für den Verbleib der Partei im Bundestag entscheidende Direktmandat gewonnen hatte. Er sagte auf Anfrage des »nd«, er wolle eine Kandidatur »nicht ausschließen«, habe sich aber noch nicht entschieden. Er führe derzeit zahlreiche Gespräche mit Landes- und Kreisvorsitzenden sowie Basismitgliedern der Partei. In der Woche um Himmelfahrt wolle er sich dazu äußern, ob er sich um den Parteivorsitz bewirbt.

Pellmann weist Vorwurf von »Materialschlacht« zurück

Pellmann äußerte sich auch zu Kritik an seinen Ausgaben für den Wahlkampf und einem Auftritt mit dem russischen Generalkonsul. In der aktuellen Ausgabe des »Spiegel« war von einer »Materialschlacht« die Rede gewesen. Unter Berufung auf Politiker von SPD, Grünen und FDP wird eine Summe von 120 000 Euro genannt. Der Leipziger Politiker betonte, die Summe sei »deutlich geringer« gewesen. Neben Geldern der Partei hätten 161 Genossinnen und Genossen gespendet, teils auch größere Beträge. Jedoch sei »kein einziger Euro aus irgendeinem Unternehmen« dabei gewesen, sagte er dem »nd«. Auch habe es keine Spenden russischer Staatsbürger gegeben. Die Ausgaben würden bis Ende des 2. Quartals in einem turnusmäßigen Rechenschaftsbericht des Landesvorstands transparent aufgelistet.

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