Behutsamer klotzen

Linksfraktion wendet sich gegen Nachverdichtung in Rambo-Manier

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

»Was mir auffällt: dass Dichte und Attraktivität sich nicht ausschließen. Und dass wir uns in der Stadt befinden und es dann völlig normal ist, dass man die Fassade des gegenüberliegenden Hauses sieht«, sagt Berlins Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD). Man könne zusätzliche Häuser »sehr attraktiv hineinplatzieren, ohne dass im Gesamteindruck irgendein Verlust entsteht. Und das ist das, was wir brauchen: auf landeseigenen Flächen bezahlbaren Wohnungsbau«, so Geisel weiter.

Der Senator sagt das am vergangenen Freitag bei einer Tour der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land durch Hellersdorf. Nur jeweils wenige Hundert Meter voneinander entfernt rund um die Zossener Straße führt die Route zu rund 1000 Wohnungen, die in den letzten Jahren entstanden oder gerade noch im Bau sind.

»Es geht mir nicht nur um die Häuser, es ist auch das Wohnumfeld. Es gibt hier keine Brachen zwischen den Häusern, sondern attraktiven Wohnungsbau und ein gestaltetes Wohnumfeld. Und das zeigt: Wir entwickeln hier Quartiere«, lobt Geisel einerseits das Landesunternehmen. Andererseits sind diese Sätze auch eine Replik auf einen Beschluss, den die Berliner Linksfraktion in der vergangenen Woche einstimmig gefasst hat.

Die Linksfraktion sehe »die dringende Notwendigkeit, die Zielzahlen des Stadtentwicklungsplans Wohnen und damit verbundene Zielzahlen für die Nachverdichtung bestehender Quartiere fundiert zu diskutieren«, heißt es in dem »nd« vorliegenden Beschluss. Es müssten städtebauliche Konzepte entwickelt werden, »die die tatsächlichen Bedarfe anerkennen und einer ernsthaften Wahrnehmung der hoheitlichen Aufgabe einer geordneten Stadtentwicklung Ausdruck verleihen«, heißt es weiter.

Die Linke will eine Absage an die Nachverdichtung, wie sie derzeit oft in Quartieren praktiziert wird. Zum Teil sehr große Bäume werden gefällt; wo bisher Grünflächen waren, wachsen neue Häuser in die Höhe. Das führt immer wieder zu beträchtlichem Unmut der Bewohnerinnen und Bewohner.

»Den Ausschlag für unsere Initiative hat die Tatsache gegeben, dass bei mehreren Projekten Baumfällungen nur unter Polizeischutz möglich waren«, sagt Niklas Schenker, Mietenexperte der Berliner Linksfraktion, zu »nd«. Einer dieser Fälle war ein Nachverdichtungsvorhaben der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte in der Friedrichshainer Pintschstraße. Die WBM fällte dafür 13 teils sehr mächtige Schwarzpappeln. Auch mehrere Linke-Abgeordnete beteiligten sich an dem Protest.

Die Linksfraktion fordert in ihrem Beschluss »Respekt vor gewachsenen städtebaulichen Strukturen und den langfristigen Folgen städtebaulicher Entwicklungen«: Konzepte aus der Entstehungszeit der Kieze und Wohnanlagen seien »zu bewahren und, wo nötig, so weiterzuentwickeln, dass gute und gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse befördert werden«. Grünflächen seien »weder Luxus noch Brache, sondern wertvolle Ressource für die städtische Anpassung an den Klimawandel und als solche in Zeiten der Klimanotlage zu qualifizieren«, heißt es weiter.

Außerdem, so die Linksfraktion, müssten Bewohnerinnen und Bewohner als »Mehrwert für die Planung« einbezogen werden, deren Beteiligung zu Planungsbeginn sei sicherzustellen und sei »transparent und ergebnisoffen zu gestalten«. Die Landesunternehmen müssten bei Nachverdichtungsprojekten »mit den Anwohner*innen auf Augenhöhe über die Planziele und die Sinnhaftigkeit von Projekten diskutieren«.

Diese oder ähnliche Forderungen sind auch von zahlreichen Umweltverbänden wie dem BUND Berlin und auch der Berliner Architektenkammer aufgestellt worden. »Anstelle einer nachlaufenden Umweltreparatur müssen Wohnungsneubau und Umweltbelange zwingend von Anfang an zusammen gedacht, geplant und umgesetzt werden«, heißt es auch in einem Beschluss des Sachverständigenbeirats für Naturschutz und Landschaftspflege von Ende März. Die Linksfraktion will nun einen Entwurf für einen gemeinsamen Koalitionsantrag erarbeiten und den Fraktionen von SPD und Grünen vorlegen. Linke-Politiker Niklas Schenker stellt klar: »Es geht uns nicht darum, dass überhaupt nicht mehr gebaut wird, aber so wie bisher darf Nachverdichtung nicht betrieben werden.«

Es ist äußerst fraglich, ob die SPD bei dem Vorhaben mitgehen wird – »In einer Zeit, in der wir einen extrem angespannten Wohnungsmarkt haben, Berlinerinnen und Berliner zu wenig bezahlbaren Wohnraum finden. In einer Zeit, in der wir Verdrängung haben, brauchen wir Wohnungsneubau«, sagt Senator Andreas Geisel. Geschwindigkeit sei einer der wichtigen Faktoren, um günstig bauen zu können. »Jedes Jahr, das wir verlieren, lässt die Baukosten um zehn Prozent steigen«, so Geisel.

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