• Berlin
  • Landeseigene Wohnungsbaugesellschaften

Bauen um jeden Preis

Landeseigene Stadt und Land pfeift bei Nachverdichtung auf Vereinbarung mit Bezirk

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 6 Min.

»Das war ein ziemlich mieses Foul der Stadt und Land«, sagt Claudia Leistner zu »nd«. Die Grünen-Politikerin ist Stadträtin für Stadtentwicklung und Umwelt im Bezirk Treptow-Köpenick. Anlass für ihren Unmut ist das Verhalten der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land bei einem Nachverdichtungsprojekt in Plänterwald.

Denn wenige Stunden nach der Erteilung der Baugenehmigung für die Errichtung von sechs zusätzlichen Gebäuden mit 95 Wohnungen im Carré zwischen Neuer Krugallee, Galileistraße, Am Plänterwald und Dammweg wollte das Landesunternehmen laut Bezirksamt von einer Absprache mit ihm nichts mehr wissen. »Es gab eine im September 2021 unterzeichnete Absichtserklärung und engmaschige Gespräche mit der Stadt und Land, dass die strittigen drei Häuser im Innenhof nicht gebaut werden«, erläutert Leistner.

»Die Zeitverzögerung, die mit der Umsetzung des geplanten Grundstückstauschs einherginge, führe zu hohen Kostensteigerungen«, habe die Stadt und Land laut Bezirk erklärt. Nun werde das Bauvorhaben wie ursprünglich geplant umgesetzt.

Auf nd-Anfrage erläutert die Stadt und Land ihre Beweggründe genauer. »Nach über sechs Monaten gemeinsamen Bemühens um den Ersatzstandort haben wir die Situation aktuell neu bewertet. Ein Neubau auf dem Ersatzgrundstück hätte aufgrund der zwischenzeitlich weiter gestiegenen Baukosten Mehrkosten in siebenstelliger Höhe zur Folge«, heißt es. Weitere Kosten, beispielsweise auf dem bisher noch nicht auf Bodenqualität und Altlasten untersuchten Grundstück, seien dabei noch nicht berücksichtigt. Die geringfügig höhere Anzahl an Wohnungen am Ersatzstandort rechtfertigten die hohen Mehrkosten laut Stadt und Land nicht. »Mit diesem Geld können wir Fremdmittel aufnehmen und an anderer Stelle circa 100 Wohnungen errichten. Unser Auftrag ist es, baurechtlich mögliche Neubauvorhaben zügig zu realisieren – so auch im Fall Plänterwald«, erklärt das Landesunternehmen.

Für Leistner ist das Verhalten unverständlich. »Es war von Anfang an klar, dass das Verfahren mit dem Ersatzgrundstück mehr Zeit kosten würde«, sagt sie. Dafür hätten auch 13 Wohnungen mehr als ursprünglich geplant gebaut werden können. Die Besitzeinweisung für das Ersatzgrundstück hätte noch diese Woche erfolgen sollen. »Es gab noch Mitte Januar ein Gespräch zu offenen Fragen, die sehr schnell geklärt werden konnten. Es gibt nichts, was wir uns vorwerfen könnten in dem Sinne, dass wir nicht schnell gearbeitet hätten«, so Leistner weiter. Die Baugenehmigung musste vom Bezirk erteilt werden, da es bereits im April 2021 einen positiven Bauvorbescheid gab, erläutert die Stadträtin.

Die Lösung mit dem Alternativgrundstück war aufgrund des in der Bürgerinitiative Plänterwald organisierten Protests der Anwohnerinnen und Anwohner entwickelt worden. »Alle haben gesehen, dass es sich um ein Grundstück mit sehr hoher Baumqualität sowie hoher Aufenthaltsqualität handelt«, sagt Stadträtin Leistner. »Bauen, bauen, bauen kann eben nicht immer die Antwort sein«, unterstreicht sie.

»Das ist eine Kampfansage gegen die eigenen Mieter*innen und Bürger*innen«, kommentiert die Bürgerinitiative das Verhalten der Stadt und Land. »Auf dem Rücken der Anwohnenden und der zukünftigen Generationen wird hier nicht nur ein sozialer Begegnungspunkt zerstört. Vielmehr wird durch die Zerstörung eines funktionierenden Stückes Stadtnatur die potenzielle Lebensgrundlage für zukünftige Generationen genommen«, heißt es von der Initiative. »Der Preis für das Bauen wird begrenzt, doch der Preis für die Anwohnenden wird ein hoher sein!«

Bauen wird die Stadt und Land allerdings nicht gleich können. »Es gibt noch offene Fragen beim Artenschutz bezüglich des Innenhofs«, sagt Leistner. Dafür seien noch Kartierungen erforderlich. »Vor Beginn der Vegetationsperiode im März werden die nicht abgeschlossen sein können, so dass Baumfällungen zunächst nicht erfolgen können«, so die Stadträtin.

»Auch wenn die landeseigenen Wohnungsunternehmen unter starkem politischen Druck stehen, ist es schädlich für die Akzeptanz von Nachverdichtungsprojekten, wenn schriftlich getroffene Absprachen zwischen einem Unternehmen und den Bezirken einseitig aufgekündigt werden«, sagt Grünen-Mietenexpertin Katrin Schmidberger zu »nd«. Zudem schade ein solches Vorgehen dem Miteinander aller Akteure, um die großen Herausforderungen für bezahlbaren und nachhaltigen Wohnungsbau zu stemmen. »Ich fordere den Senat auf, hier eine schnelle Korrektur vorzunehmen«, so Schmidberger weiter.

Auch der Marzahn-Hellersdorfer Linke-Kreisvorsitzende Kristian Ronneburg fordert gemeinsam mit seiner Parteifreundin, der Bezirks-Stadtentwicklungsstadträtin Juliane Witt, Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) dazu auf, die Reißleine zu ziehen. Der Senator solle die Stadt und Land anweisen, ihr Bauprojekt auf einem Hellersdorfer Innenhofgrundstück in der Bodo-Uhse-Straße 10 nahe dem U-Bahnhof Kaulsdorf-Nord zurückzuziehen. Dort soll eine Parkfläche nebst angeschlossenem Garagenkomplex mit 156 Wohnungen bebaut werden. Da weder Arten-, noch Umwelt- und Naturschutz gegen eine Bebauung gesprochen hätten, musste das Bezirksamt einen positiven Bauvorbescheid erteilen, berichtet Ronneburg, der Mitglied der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus ist. Das Bezirksamt habe das Landesunternehmen allerdings auf die »vielfältigen Problemlagen« am Standort hingewiesen und die Bebauung eines alternativen Grundstücks mit weniger Konfliktpotenzial angeboten. Die Stadt und Land habe aber wenige Wochen später mitgeteilt, dass sie dieses für den geplanten Wohnungsbau als nicht geeignet erachte. Am 22. Dezember sei der Bauantrag für die Bodo-Uhse-Straße eingereicht worden.

Ungeeignet sei das Ersatzgrundstück laut Stadt und Land, »da das Bauvorhaben dort weder im erforderlichen Maß der baulichen Nutzung, noch bezüglich der entstehenden Kosten umsetzbar ist. Die Schaffung von dann weniger und teurem Wohnraum hätte sich zudem um viele Monate verzögert.« Zudem festige sich die Erkenntnis, dass auch an Ersatzstandorten mit vergleichbaren Reaktionen aus der dort betroffenen Nachbarschaft zu rechnen ist. »Dies birgt eine potentielle Auseinandersetzung zwischen den Nachbarschaften über die Frage, wer die Veränderung eher hinzunehmen hat«, so die Wohnungsbaugesellschaft. Eine solche Diskussion diene »weder dem dringend erforderlichen Neubau von Wohnraum noch dem gutnachbarschaftlichen Miteinander«.

»Kein Zweifel besteht darüber, dass Stadt und Land den Auftrag hat, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Das kann jedoch kein Blankoscheck dafür sein, dass jede bebaubare Fläche am Ende auch bebaut wird«, erklärt Kristian Ronneburg.

Dass mit der Übernahme der Stadtentwicklungsverwaltung durch die SPD ein neuer Wind weht, vermutete die Friedrichshain-Kreuzberger Linke-Bezirksverordnete Gaby Gottwald bereits bei einer Fällaktion für ein Nachverdichtungsprojekt der landeseigenen WBM in der Friedrichshainer Pintschstraße vor einem Monat. »Das ist wohl gleich das erste Beispiel in der neuen Legislatur, wie es bei der Nachverdichtung laufen soll. Mit Sicherheitsdienst, Polizei und Fälltrupp setzten die städtischen Unternehmen den Wohnungsbau gegen die Anwohnerinnen und Anwohner durch«, sagte sie zu »nd«.

Man sehe in Plänterwald im Augenblick »keinen Anlass zur Intervention«, heißt es von der Stadtentwicklungsverwaltung auf nd-Anfrage. Zum Thema Hellersdorf sei man wegen fehlender Informationen noch nicht aussagefähig.

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