Bundespolizei weitet Kontrollen aus

Linksfraktion kritisiert diskriminierende Maßnahmen der Beamten – Akbulut fordert Polizeirechtsreform

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer in Deutschland mit dem Zug im Grenzgebiet oder an einem Flughafen unterwegs ist und keine weiße Hautfarbe hat, muss in manchen Fällen damit rechnen, in eine Personenkontrolle zu geraten. Diese Zahl der verdachtsunabhängigen Personenkontrollen in Zügen, Bahnhöfen und Flughäfen auf Grundlage des Bundespolizeigesetzes hat sich nun offensichtlich sogar von 263 000 im Jahr 2020 auf 512 000 im vergangenen Jahr nahezu verdoppelt. Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linke-Abgeordneten Gökay Akbulut hervor.

»Zwar wäre noch zu prüfen, welche Auswirkungen dabei pandemiebedingte Änderungen in der Kontrollpraxis auf die Statistik haben«, teilte die Politikerin dem »nd« mit. Von Stichprobenkontrollen könne angesichts dieser Zahlen aber keine Rede mehr sein. »Diese verdachtsunabhängigen Massenkontrollen zur Verhinderung rechtswidriger Migration sind absolut unverhältnismäßig«, kritisierte Akbulut. Sie wirft dem Innenministerium und der Bundespolizei vor, immer noch nicht über ein nachvollziehbares, dem verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbot genügendes Kontrollschema bei Personenkontrollen zu verfügen.

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Die Bundesregierung schreibt hingegen in ihrer Antwort, dass das Oberverwaltungsgericht Koblenz im Jahr 2016 festgestellt habe, dass der entsprechende Paragraf des Bundespolizeigesetzes verfassungsrechtlich und europarechtlich nicht zu beanstanden sei. Auch das Verwaltungsgericht Dresden sehe in seinem Urteil vom 18. Januar dieses Jahres keinen Anlass zu Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit oder der Europarechtskonformität. Ein diskriminierendes »Racial Profiling« sei schon nach geltender Rechtslage rechtswidrig und verbiete sich in der polizeilichen Praxis. Allerdings stellt sich angesichts der zahlreichen Kontrollen die Frage, ob diese Praxis nicht doch zum Alltag der Bundespolizei gehört. 

Nach der Klage eines Mannes mit einem sogenannten Migrationshintergrund hatte das Verwaltungsgericht Dresden in einem Urteil festgelegt, dass die Kontrolle eines Bahnreisenden durch die Polizei aufgrund seiner Hautfarbe nicht erlaubt ist. Wenn also Personen aufgrund ihres Verhaltens oder anderer Auffälligkeiten keinen Anlass zur Kontrolle geben, sondern offensichtlich nur wegen ihrer Hautfarbe von der Bundespolizei angesprochen werden, können sie die Herausgabe ihrer Papiere verweigern. Dass sich etwas ändert an dieser polizeilichen Praxis, ist trotzdem eher unwahrscheinlich. Denn im Koalitionsvertrag der Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP kommt Racial Profiling nicht vor. Immerhin steht in dem Papier, dass das Bundespolizeigesetz novelliert werden müsse. Doch nach Angaben der Bundesregierung ist der Meinungsbildungsprozess hierzu noch nicht abgeschlossen.

Gökay Akbulut sieht das Problem auch in der Gesetzeslage. »Tatsächlich sind die polizeilichen Befugnisse zum Zwecke der Migrationskontrolle im Bundespolizeigesetz so unbestimmt formuliert, dass diskriminierende, auf äußere Merkmale fokussierende Kontrollen kaum verhindert werden können«, monierte sie. Hier bedürfe es daher einer grundsätzlichen Reform des Polizeirechts, »denn nach meiner Auffassung darf es in einem Rechtsstaat anlasslose Personenkontrollen gar nicht geben«, erklärte Akbulut.

Auffällig ist in der Antwort der Bundesregierung, dass es kaum Beschwerden über die Kontrollen der Polizei gibt. In den vergangenen Monaten wurden lediglich 44 registriert. Diese niedrige Zahl an Beschwerden wegen diskriminierender Kontrollen reflektiere in keiner Weise die Lebensrealitäten und Diskriminierungserfahrungen der Betroffenen, so Akbulut. »Beim Afrozensus hat über die Hälfte der Befragten angegeben, bereits mindestens einmal im Leben ohne erkennbaren Grund von der Polizei kontrolliert worden zu sein«, konstatierte sie. »Von Studien wissen wir, dass rechtswidrig empfundene Personenkontrollen erst gar nicht reklamiert werden, weil Betroffene kein Vertrauen in eine faire Aufarbeitung des Vorgangs durch die Polizei haben. Auch deshalb ist es enorm wichtig, eine unabhängige Beschwerdestelle für polizeiliches Fehlverhalten zu schaffen.«

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