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  • Kooperation in der Sicherheitspolitik

Dänen stimmen über mehr EU ab

Befürworter der Abschaffung der militärischen Nichtbeteiligung haben vor Plebiszit Rückenwind

  • Andreas Knudsen, Kopenhagen
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Teilstreitmacht Dänische Heimwehr erhält mehr Zulauf von freiwilligen Reservisten.
Die Teilstreitmacht Dänische Heimwehr erhält mehr Zulauf von freiwilligen Reservisten.

Vor 30 Jahren wurden die vier dänischen Vorbehalte als Zusatzprotokoll zum Maastricht-Vertrag durch einen Volksentscheid angenommen. Damals war es ein politischer Ausweg, um den Übergang des Landes von der EG zur EU doch noch zu ermöglichen, nachdem der Vertrag über die Gründung der Europäischen Union im ersten Versuch vom Volk abgelehnt worden war.

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Zwei Wochen nach dem Beginn des Ukrainekrieges mit dem russischen Angriff am 24. Februar hielt die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen zusammen mit den Parteivorsitzenden der Konservativen, Liberalen, Radikalen und der Sozialistischen Partei eine Pressekonferenz ab, in der ein Referendum zur Abschaffung des Vorbehaltes der militärischen Zusammenarbeit innerhalb der EU angekündigt wurde. Bisher nimmt Dänemark nicht an der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik oder an militärischen Operationen der EU teil. Mit der Volksabstimmung am Mittwoch soll sich das ändern. »Stimmst du für oder gegen den Beitritt Dänemarks zur europäischen Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung?«, lautet die Frage auf den Wahlzetteln.

Für die dänischen Anhänger verstärkter EU-Zusammenarbeit stehen die Zeichen so günstig wie noch nie. Diese ungleiche Koalition umfasst nicht nur die traditionell EU-freundlichen bürgerlichen Parteien und die sozialdemokratische Partei, sondern auch die Volkssozialisten, die einst die Vorbehalte politisch anstießen. Selbst die links-grüne Einheitsliste, in deren DNA der Widerstand gegen die EU eingeschrieben ist, modifizierte auf ihrem kürzlichen Jahreskongress das Parteiprogramm dahingehend, dass der Austritt aus der EU kein Ziel an sich mehr ist. Den Austritt aus der Nato will die Einheitsliste zwar »auf Sicht«, aber nur, sobald neue Sicherheitsstrukturen für Europa vorhanden sind. Das zielt auf den alten Gedanken einer nordischen Verteidigungszusammenarbeit ab, die aber mit dem angestrebten Nato-Beitritt von Schweden und Finnland keine realistische Perspektive mehr hat.

Eine Verunsicherung in der Bevölkerung, welche Gefahren von Russland noch ausgehen könnten, ist spürbar, auch wenn keine Panik herrscht, dass Putins Panzer demnächst an Dänemarks Stränden anlanden. Auch die mögliche Wiederwahl von Donald Trump als unberechenbarer US-Präsident spielt bei der Stimmungslage mit hinein. Mit dem Szenario ist die Befürchtung verbunden, Trump könnte in diesem Fall Ernst machen und die USA Europa den Rücken kehren lassen.

Das Misstrauen gegenüber Russlands Absichten wird noch verstärkt durch Medienberichte über Luftraumverletzungen durch russische Kampfjets besonders über der dänischen Insel Bornholm und die martialischen Äußerungen des russischen Botschafters über »Konsequenzen«, die durch den angestrebten bilateralen Sicherheitspakt mit den USA oder die Anschaffung von Raketen für die beiden dänischen Fregatten für Dänemark entstehen könnten. Die Heimwehr, die aus freiwilligen Freizeitsoldaten zur Territorialverteidigung besteht, konnte seit dem Februar dreimal mehr Bewerbungen registrieren als in den vergangenen Jahren normal war.

Angesichts der günstigen Ausgangslage ist die Kampagne der Ja-Parteien äußerst bescheiden. Abgesehen von wenigen Annoncen, einer Informationshomepage und einer einzelnen Fernsehdebatte gehen sie alle auf Samtpfoten. Dies geschieht in dem Wissen, dass zu viel Propaganda die Stimmung schnell umschlagen lässt und unsichere Wähler dann eher zum Nein als zum Ja tendieren. Auch wüchse damit die Gefahr, dass letztlich viel Frust über die Regierungspolitik abgelassen wird, die mit der Abstimmung nichts zu tun hat. So verhielt es sich im Jahr 2000, als der Beitritt zum Euro abgelehnt wurde, und fünfzehn Jahre darauf, als die Teilnahme an der Europol-Zusammenarbeit nicht den Beifall der Mehrheit der Wähler fand.

Nur die nationalkonservative Dänische Volkspartei kämpft mit voller Kraft für ein Nein – in der Hoffnung, ihre reduzierte Wählerschar wieder zu vergrößern. Der Volkspartei-Vorsitzende Morten Messerschmidt schreckt dabei auch nicht vor demagogischen Argumenten wie der Warnung vor dem Aufbau eines EU-Heeres zurück. Messerschmidt baut dabei auf das verbreitete Unwissen in der Bevölkerung darüber, wie die Verteidigungszusammenarbeit der EU funktioniert und welchen Inhalt sie hat.

Die etablierten Medien geben sich zwar Mühe, die Leser und Zuschauer über den Unterschied zwischen über- und zwischenstaatlicher Zusammenarbeit, den Modus von Abstimmungen und über Vetorechte aufzuklären. Verschiedene Untersuchungen zeigen jedoch, dass insbesondere Wähler unter 30 Jahren große Wissenslücken haben. Sie sind gleichzeitig die Bevölkerungsgruppe, die von den traditionellen Medien am wenigsten erreicht wird.

Das erklärt auch die etwa 22 Prozent der Wahlberechtigten, die sich nach Umfragen in ihrer Entscheidung noch unsicher sind. Der Ausgang der Volksabstimmung wird stark vom Sicherheitsgefühl jedes einzelnen abhängen. Der Anteil der unentschlossenen Wähler ist seit März langsam, aber stetig gefallen, während die Nein-Seite stabil bei um die 28 Prozent Wählerzuspruch liegt. Bei aller gebotenen Vorsicht können die Befürworter auf eine Mehrheit setzen und dürften am 1. Juni den Sieg einfahren.

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