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Toxisches Umfeld

Linksjugend Treptow-Köpenick trennt sich vom Landesverband der linksparteinahen Jugendorganisation

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 5 Min.
Parteinah, aber keine Parteigliederung – Linksjugend Solid, nun ohne die Genossinnen und Genossen aus Treptow-Köpenick
Parteinah, aber keine Parteigliederung – Linksjugend Solid, nun ohne die Genossinnen und Genossen aus Treptow-Köpenick

Erst der Konfrontationskurs gegen die Jugendverbände von Grünen und SPD, dann die massiven Angriffe gegen die eigene Linke-Landesspitze, dazu ein immer rabiaterer antiisraelischer Kurs: Der Basisgruppe Treptow-Köpenick der Linksjugend Solid Berlin reicht es. Wie jetzt bekannt wurde, hat die Linksjugend im Südosten der Hauptstadt am Wochenende ihren Austritt aus dem ursprünglich Linke-nahen Solid-Landesverband beschlossen.

»Vielen Mitgliedern innerhalb der Linksjugend Solid Berlin geht es mittlerweile nur noch um Symbolpolitik«, begründet die Linksjugend Treptow-Köpenick ihren Schritt schriftlich gegenüber »nd«. »Statt reale Veränderungen zu erkämpfen, ist der Verband ein Selbstbeschäftigungsladen politischer Theorie geworden. Dass theoretisches Gerede in unserer Bubble der alleinerziehenden Mutter, die für Mindestlohn arbeitet, nicht hilft, wird komplett verkannt«, so die Sprecher*innen Elias Hildebrandt und Maren Böning in ihrer gemeinsamen Antwort.

Den Auseinandersetzungen vorangegangen war ein Führungswechsel im Landessprecher*innenrat der Berliner Linksjugend Solid im Oktober vergangenen Jahres. Hatte man zuvor noch die Zusammenarbeit mit der Grünen Jugend und den Jusos gesucht, stehen die Zeichen seither auf Krawall. So wurde im Herbst nach den Abgeordnetenhaushauswahlen von der Landesvollversammlung, dem höchsten Entscheidungsgremium der Linksjugend Solid Berlin, ein Kooperationsverbot »mit den bürgerlichen Parteien« beschlossen, wobei namentlich und »insbesondere« die Grünen und die SPD und deren Jugendverbände hervorgehoben wurden. Schon diesen Beschluss hat die insgesamt 63 Mitglieder zählende Basisgruppe Treptow-Köpenick nicht mitgetragen. Hildebrandt und Böning sprechen von einem »Signal an andere linke Jugendgruppen, das wir als Gruppe nicht aussenden möchten«.

Einen Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen »Lagern« auf der letzten Landesvollversammlung im April. Unter anderem hatte die Versammlung mehrheitlich für einen Antrag gestimmt, in dem »die konsequente Benennung Israels als Apartheidsstaat« und »die konsequente Benennung des Zionismus als reaktionäre, bürgerliche Ideologie« gefordert wird (»nd« berichtete). »Ein Beschluss, der klar antisemitisch war und gegen das verstößt, wofür wir als Linke einstehen«, schreiben jetzt die Sprecher*innen der Linksjugend Treptow-Köpenick.

Auch als Konsequenz aus dem Israel-Beschluss entzog der Landesverband der Linken dem ihm offiziell nahestehenden, inzwischen aber eher recht entrückt wirkenden Jugendverband wenige Wochen darauf die Pauschalzuweisung in Höhe von 15.000 Euro im Jahr. Vor allem palästinasolidarische Berliner Linke-Politiker wie der Abgeordnete Ferat Koçak protestierten. Allein, es half nichts. Gelder für die Nachwuchsorganisation werden künftig nur noch projektbezogen ausgezahlt. »Wir begrüßen diesen Schritt und unterstützen den Landesvorstand bei dieser Entscheidung«, hieß es auf Twitter als Reaktion von der israelsolidarischen Linksjugend Treptow-Köpenick.

Letztlich hätten die Vollversammlung im April und die hier gefällten Beschlüsse den Ausschlag dafür gegeben, dass man nun – mit reichlich Verspätung, aber dennoch – den Landesverband verlassen habe, sagen Hildebrandt und Böning.

Folgt man den Schilderungen der beiden, so ist das Klima für sie zunehmend unerträglich geworden: »Uns gegenüber hat man sich sowohl auf den Landesvollversammlungen als auch im verbandsübergreifenden Telegram-Chat mehrfach unsolidarisch verhalten. Es sollten ›Reformerlocken gestutzt werden‹, regelmäßig wird mit ›Geht doch zur SPD!‹ um sich geworfen und Genoss*innen werden als rechts diffamiert. Allgemein kann man von einem sehr toxischen Umfeld sprechen.«

»So richtig wohl« hätten sich die Vertreterinnen und Vertreter der Linksjugend Treptow-Köpenick im Landesverband nie gefühlt. »Dass es so schlimm wurde, war allerdings ein Prozess.« Auf den Landesvollversammlungen seien die als »Rechte«, »Reformisten« und »Parteibürokraten« abgekanzelten Mitglieder ausgelacht worden, es seien Sätze gefallen wie »Dafür stimme ich nicht, das kommt aus TK«, also Treptow-Köpenick. »Offensichtlich geht es also nicht nur um politische Differenzen, sondern auch um persönliche Abneigung«, so Hildebrandt und Böning.

Man werde nun als Jugend-Basisorganisation der Berliner Linken weitermachen. Organisatorisch heißt das: als eigene Gliederung in der Mutterpartei und nicht mehr – wie bisher im Rahmen der Linksjugend Solid – nahe der Partei, aber faktisch unabhängig. »Unser Hauptziel ist es, die Verjüngung der Partei aktiv voranzutreiben«, erläutern die Sprecher*innen. »Wir stecken als Partei in einer Krise und die jungen Genoss*innen werden diejenigen sein, die die Partei aus dieser hinausführen müssen. Junge Menschen, vor allem junge Frauen, müssen viel stärker gefördert werden, sie müssen gehört werden und man muss sie aktiv mitgestalten lassen. Das fehlt aktuell an vielen Stellen noch.«

Die Treptow-Köpenicker Linksjugend konzentriere sich jetzt »auf eine berlinweite Vernetzung, die sich genau das zum Ziel gemacht hat: Konkrete Politik für und mit jungen Menschen, statt Warten auf die Revolution«. Letzteres darf dann freilich noch einmal als Breitseite gegen die ehemaligen Genossinen und Genossen im Landesverband der Jugendorganisation verstanden werden.

In der Berliner Linken sieht man den Austritt der Basisgruppe mit gemischten Gefühlen. »Natürlich haben wir ein Interesse an einem starken Jugendverband, der uns nahesteht«, sagt Linke-Landesgeschäftsführer Sebastian Koch zu »nd«. Gleichwohl, sagt Koch, will und kann er den Treptow-Köpenickern ihren Austritt aus dem Jugendverband nicht zum Vorwurf machen. Zumal die Gruppe im Südost-Bezirk als Jugend-Basisorganisation eben weiterhin an die Linkspartei angedockt sein wird. Generell, so Koch weiter, müsse man aber auch feststellen: »Die Tatsache, dass das Klima in der Linksjugend Solid auf Landesebene so ist wie beschrieben, schwächt die Jugendarbeit insgesamt.« Dem Landessprecher*innenrat sollte insbesondere die Begründung der Treptow-Köpenicker »ein Weckruf« sein.

Der Landessprecher*innenrat selbst teilt auf nd-Anfrage ebenfalls schriftlich mit, dass man von dem Austritt der Basisgruppe am Wochenende überrascht worden sei und diesen sehr bedauere: »Selbst diejenigen Mitglieder des Landessprecher*innenrates, die Mitglied der Basisgruppe Treptow-Köpenick sind, wurden über das Vorhaben der Abstimmung nicht vorab informiert«, so Landessprecherin Maya Eckes.

Zugleich gibt man sich mit Blick auf die Ursachen des Bruchs gewissermaßen ratlos. Ja, es gebe »hin und wieder politische Differenzen« im Landesverband: »Dass ein angemessener Ton darin verloren geht, haben wir entschieden versucht zu verhindern.« Generell gelte laut Eckes für die Linksjugend Solid Berlin: »Im Landesverband leben wir ein pluralistisches Selbstverständnis und tragen unterschiedliche politische Positionen und Beschlüsse mit – bei der Linksjugend Treptow-Köpenick scheint das aber leider nicht mehr der Fall zu sein.« Dem ist wohl in der Tat so.

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