Vonovia: Immer wieder Mietspiegeltricks

In Berlin-Charlottenburg wehren sich Mieter gegen rechtswidrige Mieterhöhungen durch den Wohnungsriesen

Nur rechtswidrige Mieterhöhungen. Elif Eralp (Linke) überprüft Mieterhöhungen von Vonovia.
Nur rechtswidrige Mieterhöhungen. Elif Eralp (Linke) überprüft Mieterhöhungen von Vonovia.

Marion G., die ihren vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, hat eine Mieterhöhung bekommen. Nach der Vorstellung ihres Vermieters, des Wohnungsriesen Vonovia, soll sie in Zukunft 7,49 Euro pro Quadratmeter zahlen. »Den bisherigen Mieterhöhungen habe ich immer zugestimmt«, sagt sie im Gespräch mit »nd«. Dieses Mal ist das anders. Deswegen ist die Charlottenburger Mieterin am Dienstagabend in das Stadtteilzentrum »Ulme35« in Westend gekommen.

Die Linke hat zu einer Mieter*innenversammlung eingeladen. Denn viele Mieter*innen in der Siedlung an der Reichsstraße haben Mieterhöhungsverlangen bekommen. Das Besondere: In vielen Fällen begründet Vonovia die höhere Miete nach Mietspiegel mit dem Merkmal »überdurchschnittliche Nahversorgung«. Bloß gibt es das Merkmal im Mietspiegel gar nicht.

Es ist nicht der erste Fall, in dem Vonovia Mieterhöhungen auf erfundene Mietspiegel-Merkmale stützt. Zuletzt hatte das Landgericht Berlin am 30. September geurteilt, dass Vonovia das nicht darf. »Die Qualität der ÖPNV-Anbindung und der Nahversorgung ist beim Berliner Mietspiegel im Rahmen der Wohnlagenausweisung abschließend berücksichtigt worden«, heißt es in der Urteilsbegründung. Schon vorher gab es zahlreiche Urteile von Amtsgerichten mit dem gleichen Inhalt. Auf nd-Anfrage teilt ein Vonovia-Sprecher mit: »Wir haben das Urteil analysiert und sind weiterhin von unserer Rechtsauffassung überzeugt.« Weitere Verfahren seien noch anhängig. Alle weiteren Fragen beantwortet das Unternehmen nicht.

Insgesamt sind rund 60 Mieter*innen aus der Siedlung zu der Versammlung gekommen, zu der kurzfristig eingeladen wurde. Auslöser war, dass eine Mieterin in die offene Sprechstunde von Niklas Schenker gekommen war. In der Folge hat die Charlottenburger Linke die Versammlung organisiert. Um die Betroffenen einzuladen, haben die Linken über ein Wochenende an allen 400 Haustüren der Siedlung geklingelt.

Nach einer Einführung von Niklas Schenker, wohnungspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, und Marcel Eupen vom Alternativen Mieter- und Verbraucherschutzbund (AMV) lässt Marion G. ihr Mieterhöhungsverlangen überprüfen. Neben Schenker und Eupen machen das in der »Ulme35« Johannes Kolleck von der Charlottenburger Linken und Elif Eralp, die Spitzenkandidatin der Linken für die Abgeordnetenhauswahl 2026.

Für Marion G.s Wohnung liegt die ortsübliche Vergleichsmiete ohne das erfundene Mietspiegel-Merkmal bei 6,60 Euro pro Quadratmeter – also fast einen Euro unter dem von Vonovia begehrten Preis. Zu diesem Ergebnis kommt Eralp mit Hilfe des Mietspiegelrechners der Senatsverwaltung. »Wieder eine rechtswidrig hohe Miete«, sagt Eralp. G. hatte schon vor der Versammlung ein Schreiben aufgesetzt, in dem sie sagt, dass sie nicht zustimmt, wollte sich aber nochmals versichern.

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Am Ende der Veranstaltung wird Eralp in allen von ihr überprüften Mieterhöhungen auf eine wesentlich niedrigere zulässige Höchstmiete kommen, als von Vonovia verlangt. »Teilweise ging es da um 60 Euro pro Monat. Wenn man das auf ein Jahr hochrechnet, ist das schon fast ein Urlaub«, so die Linke-Politikerin zu »nd«. Vonovia sei einer der dreistesten Vermieter Berlins. »Dem Senat ist schon lange bekannt, dass Vonovia mit falschen Merkmalen trickst, um illegal die Mieten anzuheben. Aber passiert ist nichts.«

Vorher hat Marcel Eupen vom AMV von der Bühne das Vorgehen des Wohnungsriesen dargestellt. Wenn man dem Verlangen nicht zustimme, dann klage Vonovia. »Selbst wenn es um 5,15 Euro geht«, so der Rechtsanwalt. »Das ist eine sehr aggressive Strategie.« Dass Vonovia mit erfundenen Mietspiegelmerkmalen arbeite, sei kein Versehen, sondern Kalkül. Denn die meisten Mieter*innen würden diesen Erhöhungen ungeprüft zustimmen. Ein Problem: Wenn man einmal einer Mieterhöhung zugestimmt hat, dann ist es rechtlich schwierig, dagegen vorzugehen, selbst wenn die Miete über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt.

»Das ist kein Versehen, das ist Kalkül.«

Marcel Eupen
AMV

Viele würden zustimmen, weil sie Angst hätten, ansonsten ihre Wohnung zu verlieren, oder weil sie sich dem Stress eines Gerichtsverfahrens nicht aussetzen wollten, so Eupen. »Es wird mit der Unwissenheit und der Angst der Menschen gespielt. Das finde ich unverschämt.« Dass Vonovia alle Verfahren verliere, sollte es zu solchen kommen, kümmere das Unternehmen nicht, sagt Eupen. »Weil sie mit der Quote im Gewinnbereich bleiben.« Eine weitere Folge: Die neuen Mieten fließen in den Mietspiegel ein. »Das treibt in ungesetzlicher Weise den Mietspiegel nach oben.«

Eine, die der Mieterhöhung schon zugestimmt hat, ist Eugenia H. Jetzt ärgert sie sich darüber, wie sie im Gespräch mit »nd« sagt. Angst, ihre Wohnung zu verlieren, hatte sie aber nicht. Sie wollte das schnell erledigen und hatte keine Lust auf den ständigen Briefverkehr, sagt sie. Was sie jetzt noch macht, ist, einen Protestbrief zu unterschreiben, den die Linke vorbereitet hat. In diesem wird Vonovia aufgefordert, die Mieterhöhungen mit den erfundenen Mietspiegelmerkmalen zurückzunehmen.

»Sie werden alle über den Tisch gezogen«, sagt Linke-Politiker Niklas Schenker. Er legt den Anwesenden nahe, eine Initiative in der Siedlung zu gründen. »Wenn Sie sich zusammentun, können Sie sehr viel erreichen«, sagt er. Sollte Vonovia weiter mit dieser Begründung Mieten erhöhen wollen, überlege er eine Strafanzeige gegen das Unternehmen zu stellen. Schenker übt auch grundsätzliche Kritik an diesem. »Von jedem Euro Miete gehen ungefähr 40 Cent an Aktionäre«, sagt er. Deswegen macht er sich für die Umsetzung des Volksentscheids »Deutsche Wohnen und Co enteignen« stark. »Vonovia muss vergesellschaftet werden.«

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