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Brandenburger Unfallstatistik: Alle 13 Stunden ein Triebwerk
Brandenburger Gesundheitsministerium veröffentlicht Unfallstatistik 2024 in Rolls-Royce-Werk in Dahlewitz
»Sie können mit einem Flieger nicht rechts ranfahren«, sagt Jens Baumeister am Mittwoch, als er vor einer Hochdruckturbinenscheibe steht. Darum sei die Produktsicherheit beim Triebwerkhersteller Rolls Royce, wo Baumeister Vizepräsident der Business Aviation Operations ist, besonders wichtig. Das Unternehmen mit Hauptsitz in London ist für die Herstellung von Luxusautos sowie Triebwerken für die zivile und militärische Luftfahrt international bekannt.
So viel wie ein »schwäbischer Sportwagen« sei die Hochdruckturbinenscheibe wert, vor der Baumeister steht. Wie ernst man die Sicherheit bei Rolls Royce Germany mit einem Umsatz von 2,4 Milliarden Euro im Jahr 2024 nehme, zeige sich auch in den niedrigen Unfallzahlen. Die guten Zahlen nahm das Brandenburger Gesundheitsministerium zum Anlass, in den Dahlewitzer Produktionshallen der Gemeinde Blankenfelde-Mahlow die jährliche Unfallstatistik bekannt zu geben. Demnach gab es in Brandenburg im vergangenen Jahr 21 300 meldepflichtige Unfälle an einem Arbeitsplatz – der niedrigste jemals erfasste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen 2010.
2024 wurden rund 300 Arbeitsunfälle weniger als im Jahr zuvor registriert. Neun Menschen starben bei Unfällen auf der Arbeit – drei Menschen weniger als im Jahr zuvor. In der Land- und Forstwirtschaft, der Bauwirtschaft und im Nahrungsmittel- und Gastgewerbe starben jeweils zwei Menschen. In den Bereichen Logistik, Holz und Metall sowie Verwaltung ereignete sich jeweils ein tödlicher Arbeitsunfall. Dabei ist nicht die Auto- und Luftfahrtindustrie, sondern die Holz- und Metallverarbeitung die gefährlichste Branche, wie der Staatssekretär für Arbeitsschutz Patrick Wahl (BSW) sagt.
Die meisten Unfälle am Arbeitsplatz geschehen durch den Einzug oder das Einklemmen von Körperteilen in Maschinen oder durch Abstürzen und Fallen von erhöhten Flächen. Und die meisten Unfälle wären durch einfache Schutzmaßnahmen vermeidbar gewesen. Zu den Unfallfaktoren gehörten fehlende Absturzsicherung, fehlende Sicherung gegen das Wiedereinschalten von Maschinen sowie der Aufenthalt in Gefahrenbereichen. Das Risiko für Unfälle am Arbeitsplatz steige durch Arbeitsverdichtung: weil immer mehr in kürzerer Zeit zu produzieren sei.
16 »bedeutsame und tödliche Arbeitsunfälle« im Jahr 2024 hat sich das Gesundheitsministerium genauer angeschaut. Davon seien sechs während Instandhaltungsmaßnahmen zustande gekommen. »Instandhaltung ist das Gegenteil von Normalbetrieb«, so Wahl. Die Beschäftigten stünden unter starkem Zeitdruck, da die Produktion stillstehe. Nicht selten werden zudem Fremdfirmen für die Instandhaltung herangezogen.
Ob und inwiefern Firmen den rechtlichen Anforderungen an den Arbeitsschutz gerecht werden, überprüft das Ministerium überwiegend durch angekündigte Kontrollen. Teils auch, wenn sich Angestellte über das Arbeitsschutztelefon melden. Eine unternehmensbezogene Auswertung zum Thema Arbeitsschutz macht das Gesundheitsministerium nicht.
Rolls Royce gehört zu den größten Arbeitgebern im Land Brandenburg. In dem 1993 gegründeten Werk in Dahlewitz arbeiten 2500 Menschen. Insgesamt wurden hier mehr als 9000 Triebwerke montiert, vergangenes Jahr waren es mehr als 250. »Alle 12,7 Stunden ein Triebwerk«, so viel fertigten Beschäftigte laut Baumeister in Dahlewitz.
- 21 300 meldepflichtige Unfälle am Arbeitsplatz
- niedrigster Wert seit Beginn der Erfassung 2010, 300 Fälle weniger als 2023
- bundesweit ging der Wert um rund 30 000 Fälle auf etwa 812 500 zurück
- neun Menschen starben bei Unfällen am Arbeitsplatz
Im Dahlewitzer Werk ist laut Angaben des Unternehmens noch niemand tödlich am Arbeitsplatz verunglückt. Das liege laut Baumeister auch daran, dass man viel in den Arbeitsschutz investiere. 2024 habe es fünf meldepflichtige Unfälle gegegeben, dazu gehörten ein verletzter Finger und ein verletzter Fuß. »In der Regel nehmen aber eher die Produkte als die Menschen Schaden«, so Baumeister.
Eine neue Entwicklung im Werk sei der Fokus auf die psychische Gesundheit. Mentale Gesundheit am Arbeitsplatz schreibe man groß, so Baumeister. Hinter ihm ist ein Plakat zu sehen. »Der größte Feind der Qualität ist die Eile« ist darauf zu lesen. Außerdem sieht man das Gesicht des Zitatgebers Henry Ford.
In den Produktionshallen habe man viele Defibrillatoren, Augenduschen und Verbandskästen aufgestellt. Es gebe auch ein Ersthelfer-Konzept. Überall leuchten Bildschirme: Sie informieren über den angemessenen Schutz der Hände während der Arbeit oder über aktuelle Baustellen in den Hallen, die Einfluss auf die Produktionsprozesse nehmen.
Das Dahlewitzer Werk sei laut Baumeister eine beliebte Ausbildungsstätte. So kämen auf 14 Ausbildungsstellen pro Jahr 100 Bewerbungen. Von den 14 Auszubildenden seien zwei bis drei weiblich. Alle würden übernommen. Ein Manko sei jedoch die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr: Die Werkstore erreicht man nur mit dem Bus.
Im Brandenburger Dahlewitz werden die Triebwerke (noch) ausschließlich für zivile Zwecke produziert – für Privat- und Geschäftsflugzeuge. Wobei die Grenzen fließend sind: Einige der in Brandenburg produzierten Triebwerke landen in den Maschinen der Flugbereitschaft des Bundesministeriums für Verteidigung, wie der Pressesprecher von Rolls Royce Stefan Wriege »nd« erklärt. Demnach produziere das Unternehmen weltweit zu 50 Prozent für zivile Zwecke und zu 25 Prozent für militärische Zwecke. Der Rest entfalle auf sogenannte Power Systems für Geräte verschiedenster Art. »In Zukunft werden kleine Atomkraftwerke in Frankreich, Tschechien und Großbritannien eine Rolle spielen«, sagt Wriege.
Kunden der brandenburgischen Produktion seien etwa Flugzeuggesellschaften aus den USA und Frankreich. Von den US-Zöllen sei man laut Dahlewitzer Vizepräsident der Business Aviation Operations Jens Baumeister nicht betroffen, da die Zölle die Luftfahrtteile grundsätzlich nicht betreffen.
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