Aus der Lostrommel ans Ruder im Dorf

Modellprojekt will Bürgerbeteiligung in Kommunen verbessern

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine zusammengewürfelte Runde: Die Mitglieder der Bürgerräte in zehn deutschen Kommunen werden vom Zufall bestimmt.
Eine zusammengewürfelte Runde: Die Mitglieder der Bürgerräte in zehn deutschen Kommunen werden vom Zufall bestimmt.

In Leupoldsgrün wie in jedem anderen Ort in der Bundesrepublik gibt es diejenigen, die mitmischen: die für den Gemeinderat kandidieren, in Vereinen aktiv sind oder sich anderweitig ehrenamtlich um das Dorfleben kümmern. Und es gibt die, die abseits stehen, murren und kritteln und »sich nirgendwo aufgehoben fühlen«, wie Annika Popp sagt. Die 35-Jährige ist Bürgermeisterin der 1200 Einwohner zählenden Gemeinde im bayerischen Vogtland, und sie will jetzt auch die Grantler einladen mitzuwirken. Gelegenheit dazu gibt ein Bürgerrat: ein Gremium von zwölf zufällig ausgelosten Leupoldsgrünern, die über ein besseres Zusammenleben im Dorf nachdenken sollen, an einem Wochenende im Juli in Klausur gehen und dem Gemeinderat danach konkrete Vorschläge unterbreiten.

Der Bürgerrat von Leupoldsgrün ist Teil eines bundesweiten Modellprojekts namens »Losland«, das vom Verein »Mehr Demokratie« und dem Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam konzipiert wurde. In insgesamt zehn unterschiedlich großen Kommunen sollen dabei Bürgerräte zeitweilig die Geschicke ihres Ortes mitbestimmen und die Kommunalpolitik beraten. »Unser Anliegen ist, Menschen zu beteiligen, die bei politischen Themen sonst nicht mitreden«, sagt Rosa Hoppe vom »Losland«-Team. Dieses begleitet die Kommunen bei der Einsetzung der Bürgerräte und der konzeptionellen Vorbereitung ihrer Arbeit, und es moderiert die Veranstaltungen, zu denen auch eine Art Bürgerversammlung zur Präsentation der Ideen gehört.

Die Frage, wie Bürger für mehr Beteiligung zu begeistern sind, treibt Kommunalpolitiker teils schon lange um. Norbert Morkes träumte bereits vor 15 Jahren davon, Menschen in seiner Heimatstadt Gütersloh mehr für kommunale Angelegenheiten zu interessieren, jenseits der etablierten und oft längerfristiges Engagement voraussetzenden Gremien. »Auch Menschen, die sonst keine Lobby haben, sollen ihre Ideen für die Zukunft der Stadt einbringen können«, sagt der Musikproduzent. Seit anderthalb Jahren ist er Oberbürgermeister der Stadt in Nordrhein-Westfalen, in der jetzt mit Hilfe von »Losland« ebenfalls ein Bürgerrat etabliert wird. Gütersloh ist mit gut 100 000 Einwohnern die größte der beteiligten Kommunen, zu denen in Ostdeutschland Augustusburg und Rietschen in Sachsen sowie Ludwigsfelde in Brandenburg gehören. Ausgewählt habe man Kommunen, in denen das Thema Bürgerbeteiligung schon vorab stärker als anderswo diskutiert worden sei, sagt Daniel Oppold vom IASS. Insgesamt seien 50 der 11 000 deutschen Kommunen angesprochen worden.

Wenn es darum geht, Bürgerbeteiligung zu fördern, sind Bürgerräte kein neues Instrument. Sie seien seit einigen Jahren sogar »ziemlich en vogue«, sagt Claudine Nierth, Vorstandssprecherin von »Mehr Demokratie« und Autorin eines Buches zum Thema. Die Politik erhofft sich durch derlei Gremien, einer Legitimationskrise der Demokratie entgegen zu wirken. Bürgerräte könnten »das Vertrauen in die Politik stärken und der repräsentativen Demokratie neue Impulse geben«, sagte der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), als im Januar 2021 der zweite bundesweite Bürgerrat über »Deutschlands Rolle in der Welt« eingesetzt wurde. Die Ampel-Koalition will nach Angaben Nierths weitere solcher Gremien etablieren. Ihre Arbeit könne in ein Beteiligungsgesetz münden.

»Losland« will die besonderen Hürden untersuchen, unter denen Bürgerräte in Kommunen arbeiten. Es gehe um rechtliche, aber auch finanzielle Grenzen, sagt Oppold, etwa fehlendes Geld für Moderatoren. Im Modellprojekt ist dieses Problem, auch dank finanzieller Förderung durch die Bundeszentrale für politische Bildung, gelöst. Der erste der zehn Zukunftsräte tagt an diesem Wochenende im Flecken Ottersberg bei Bremen, der letzte im Oktober in Lindau am Bodensee. In Leupoldsgrün, sagt Annika Popp, ist es im Juli so weit. Erste Ideen habe die Zwölferrunde schon bei einem Dorfspaziergang entwickelt. Die Bürgermeisterin hofft auf »konkrete Vorschläge«, die man dann auch »möglichst schnell umsetzen« wolle – in der Hoffnung, dass hinterher nur wenige granteln.

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