Im Sonnenstaat wird´s dunkel

Kulturkampf in Florida: Die Republikaner gegen Disney. Es geht um Sexualaufkärung an Grundschulen

  • Anjana Shrivastava
  • Lesedauer: 7 Min.

Florida ist der »Sunshine State«. Die Bezeichnung kennt in den USA jedes Kind. Damit wird allerlei Hedonismus für jede Lebensphase assoziiert: Für die Kinder gibt es Micky-Maus-Vergnügungen in Disney World in Orlando, Studenten feiern bacchanalische Spring Break-Partys in Daytona Beach und wenn man dann irgendwann in Rente ist, freut man sich über das milde, warme Klima.

In der berühmten Utopie »Der Sonnenstaat« von Thomas Campanella (1602) bedeutete das Individuum noch sehr wenig, im heutigen »Sunshine State« Florida dagegen sehr viel. Die Frage ist nur: wieviel soll der Staat hier regeln? Und zwar in der Erziehung der Kinder. In Florida sollen Lehrer an der Grundschule in den ersten drei Klassen nicht mehr über Homosexualität sprechen. Sie sollen sie nicht leugnen, sie sollen sie nur mit keinem Wort mehr erwähnen. Was für Kinder fast auf dasselbe hinausläuft.

Das Gesetz trat am 1. Juni in Kraft. Unter Floridas Bürgern tobt darüber ein paradoxer Streit, der das politische Klima im Sonnenstaat verdüstert. Auf der einen Seite stehen die Konservativen unter Führung des republikanischen Gouverneurs Ron DeSantis. Eigentlich kämpfen sie für einen schwachen Staat, doch nun treten sie für einen starken Staat auf, der seine Lehrer befehligt. Und auf der anderen Seite steht keine politische Gruppe oder Partei, sondern ein Konzern: Disney. Denn die Demokraten sind dabei, das lang umkämpfte Florida aufzugeben. Die Befürchtung der Parteimanager: Florida unter DeSantis sei sowieso unanfechtbar republikanisch. Da ist nichts mehr zu gewinnen. Aus den Parteikassen fließt bis jetzt auch kein Geld in den Senats-Wahlkampf von Val Demings gegen Senator Marco Rubio im November.

Florida ist in den USA ein Machtzentrum. Der Bundesstaat hat die viertgrößte Wirtschaft und mit fast 22 Millionen Einwohnern die drittgrößte Bevölkerung. Im Sonnenschein-Staat wird das Thema LGBTQ in den Schatten gedrängt. Die Kontrahenten nennen diese Gesetzgebung das »Don’t Say Gay Gesetz«. So wie eine Mutter ihrem Kind sagt, es soll bitte zu den anderen Kindern nett sein und sie nicht beschimpfen: »Gay« (schwul) gilt immer noch als Verbalinjurie – nicht nur für Kinder. Die Anhänger von Gouverneur DeSantis finden es nicht nett, wenn Schulkinder mit Homosexualität konfrontiert werden. Sie behaupten, dass diejenigen, die das anders sehen, kleine Kinder »groomen« würden – in Zuhältermanier gefügig machen wollten. Eine Unterstellung, die alles andere als nett ist.

Disney ist erst spät in diesen Kulturkampf eingestiegen, um die Liberalität zu verteidigen. Zwar hat der Konzern das Gesetz nicht im Vorfeld kritisiert, doch seine Mitarbeiter haben es im Frühjahr getan. Und das sind immerhin 80 000 Menschen, die in Florida leben. Disney ist der größte Arbeitgeber im Bundesstaat. Seine Beschäftigten übten Druck auf die Konzernleitung aus, bis schließlich Disney-Vorstandschef Bob Chapek öffentlich erklärte, er habe Gouverneur DeSantis angerufen, »um unsere Enttäuschung und Sorge auszudrücken, dass – falls der Entwurf zum Gesetz wird – dieses LGTBQ-Kinder und -Familien ungerechtfertigt angreifen könnte.«

DeSantis reagierte beleidigt und autoritär, ganz so, als sei er der Victor Orbán von Florida, der seine Kritiker bestraft. Im April beschloss der von seiner republikanischen Partei dominierte Kongress von Florida in Windeseile ein weiteres Gesetz: Eins, das Disney World in Orlando seine rechtlichen und steuerlichen Privilegien entzieht. Prompt rief das »Wall Street Journal« US-Großfirmen auf, dem Beispiel Disneys nicht zu folgen, denn mit Kulturkämpfen lasse sich kein Geld verdienen.

Dass der Disney-Konzern nun als Verfechter von LGBTQ-Rechten auftritt, ist durchaus überraschend, wenn man die Firmengeschichte betrachtet. Anfang der 1980er mussten gleichgeschlechtliche Paare im kalifornischen Disneyland ihren Besuch vor Gericht einklagen. Wenn Paare, die nicht heterosexuell waren, tanzten, wurden sie rausgeworfen. Auch in Orlando wehrten sie sich mit den »Gay Pride Days«. 1991 kauften sich LGBTQ-Aktivisten lauter Einzeltickets, doch alle trugen rote T-Shirts als Zeichen der Solidarität. Gäste von Disney World, die sich davon gestört fühlten, bekamen von Disney ihr Eintrittsgeld zurück. 1992 gab es dann weiße T-Shirts für peinlich berührte Gäste, die zufällig ein rotes T-Shirt trugen.

Dieses Jahr stellten sich vier Neonazis vor den Haupteingang von Disney World und hielten ein Schild hoch auf dem stand, hier sei »DeSantis Land«. Doch in diesem Monat ging der »Gay Pride Day« in Orlando ganz ohne Querelen über die Bühne. Manche LGBTQ-Paare, die nun verheiratet und verbürgerlicht sind und die mit Kindern angereist waren, hegten sogar nostalgische Gefühle für eine vergangene Zeit, in der das Tragen eines roten T-Shirts auch ein Fanal war. Viele hatten den Spruch »Say Gay« auf dem Rücken.

Seit Jahren wollen Disney-Mitarbeiter die Konzerntochter Pixar antreiben, für ihre Animationsfilme mehr LGBTQ-Figuren zu entwickeln. In der alten Serie »The Proud Family«, die Anfang der Nullerjahre auf dem Disney-TV-Kanal lief, gab es eine camouflagierte homosexuelle Figur. Als die Serie im letzten Jahr auf Disney Plus in einer modernen Version als »The Proud Family. Louder and Prouder« zurückkehrte, sah es schon anders aus: Da gibt es ganz offiziell ein gleichgeschlechtliches Paar mit Baby. Und im neuen Disney-Pixar-Film »Lightyear«, ein Prequel von »Toy Story«, gibt es ein lesbisches Paar, das sich küsst – aber nur kurz. Deshalb darf der Film in mehreren arabischen Staaten nicht gezeigt werden.

Mit dem Streit zwischen DeSantis und Disney kamen erneut Gerüchte auf, dass Bob Iger, der Vorgänger von Konzern-Chef Bob Chapek, der 2020 in den Ruhestand ging, mit einer Kandidatur für die nächsten Präsidentschaftswahlen liebäugeln würde. Er ist Jahrgang 1951, stand 16 Jahre an der Spitze von Disney und hatte dabei ein Gespür für neue Geschäfte und Diskurse. So setzte er die Show von Komikerin Roseanne Barr sofort ab, nachdem sie rassistische Beleidigungen gegen eine Mitarbeiterin von Barack Obama getweetet hatte. In seinem Buch »Ride of a Lifetime« beschreibt Iger seine Verhandlungen mit Größen wie Steve Jobs, der Pixar finanzierte, und Rupert Murdoch, dem Fox 21 gehört. Alle hätten sich mit ihm treffen wollen, weil sie ihm Firmen verkaufen wollten. Und nebenbei fragten sie, ob er Präsident werden wolle. Oprah Winfrey würde das gut finden.

Ron DeSantis will auf jeden Fall Präsident werden. Er ist jetzt 43 Jahre alt. Unter allen Gouverneuren trat er am aggressivsten dafür ein, die Wahlbezirke für die Republikaner maßzuschneidern. Einen historischen schwarzen Wahlbezirk in Tallahassee hat er eingestampft und auch den Bezirk der afroamerikanischen Val Demings. Er möchte den »old south«, den alten Süden, zurück und wird dabei von Stephen K. Bannon, dem ultrarechten Ex-Trump-Berater, unterstützt. In seiner Sendung »War Room« hetzt Bannon sein Publikum auf, die Wahlinfrastruktur des Landes an sich zu reißen, um das Weiße Haus wiederzugewinnen.

Disneys Zentrale sitzt in Burbank bei Los Angeles, Kalifornien. In der Nähe befindet sich auch Disneyland, die Mutter aller Disney-Resorts, 1955 gegründet. 1971 wurde in Florida Disney World eröffnet. Das geschah eher zufällig, Walt Disney wollte dort einen Vergnügungspark bauen, wo die meisten Amerikaner wohnten. Dafür erwarb er über Strohmänner billiges Sumpfland. Bei der Eröffnung kostete ein Ticket 3,50 Dollar. Heute kostet ein Ticket weit über 100 Dollar. Untersuchungen zufolge verdienen die Besucher in Orlando rund 20 000 Dollar mehr im Jahr als der durchschnittliche Amerikaner. Irgendwann haben die Disney-Manager bemerkt, dass ihre Parks immer voll sind, egal, wie viel der Eintritt kostet. Es gibt Ticket-Pakete für »Wall Street Dads«, die möglichst viel Disney in möglichst wenig Zeit ermöglichen sollen. Daneben gibt es Cinderella-Merchandising, das auf wohlhabende Frauen zielt, die sich Stiletto-Schuhe für rund 5000 Dollar, ganz aus Swarovski-Kristall, kaufen können. Floridas Bürger haben, zugespitzt formuliert, zunehmend die Wahl zwischen der Welt des Stinkstiefels Stephen K. Bannon und einer Welt der Swarovski-Stilettos.

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