Eine Friedensstiftung und die Angst vor Protesten

Preisverleihung an russisch-deutsches Jugendprojekt abgesagt – Jury tritt zurück und kritisiert die Entscheidung

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.

Zumindest bis Montagnachmittag stand es noch so auf der Homepage des Göttinger Friedenspreises: »Die Verleihung des Friedenspreises 2022 wird am 10. September 2022 im Deutschen Theater Göttingen ab 11 Uhr Uhr stattfinden.« Doch der Eintrag ist Makulatur. Denn die Stiftung Dr. Roland Röhl, die den Preis seit 1989 jährlich vergibt, hat die Übergabe der Auszeichnung an das deutsch-russische Projekt »Musik für den Frieden« wegen Sicherheitsbedenken gecancelt beziehungsweise auf unbestimmte Zeit verschoben. Die dreiköpfige Preisjury unter Vorsitz des Journalisten Andreas Zumach protestierte gegen die Entscheidung und trat geschlossen zurück.

Nach Angaben der Jury hat in einer von Stiftungsvorständen kurzfristig angesetzten Online-Abstimmung eine Mehrheit der Mitglieder für die Absage der seit Langem angekündigten Verleihfeier gestimmt. »Wir haben als Mitglieder der Jury, die dieses Projekt im August letzten Jahres ausgewählt hatten, alle drei gegen diese Absage gestimmt. Wir halten Ihre Entscheidung für einen großen Fehler. Wir können sie nicht mittragen und nicht nach außen vertreten«, heißt es in einem am Montag bekannt gewordenen Schreiben der Jury.

Das Projekt »Musik für den Frieden« ist eine Initiative von deutschen und russischen Jugendlichen. Gemeinsame Aufführungen mit Musik, Tanz und Theater in beiden Ländern sollen zeigen, »dass es möglich ist, sich freundschaftlich und vertrauensvoll zu begegnen«, hieß es in der Begründung der Jury. Musik könne zu einem »Wegbereiter für eine friedliche Zukunft werden«. Initiatoren und Betreuer des Projekts sind Ulrike und Thomas Vogt von der Musical-Company eines Gymnasiums in Baden-Württemberg und Andrey Koryakov für das Jugendtheater »Premier« des Gymnasiums Nr. 12 im russischen Twer. Die Juror*innen würdigten ausdrücklich den zivilgesellschaftlichen Beitrag von »Musik für den Frieden« für die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland.

Weil sie Störungen der Verleihfeier durch Russland-Freunde oder »Kriegsgegner« befürchtete, wandte sich die Stiftung im Frühjahr an die Polizei. Während sich Stiftungssprecher Thomas Richter auf Anfrage nicht zu dem Vorgang äußern wollte und ein »allgemein gehaltenes Pressestatement« für Montagabend oder Dienstag ankündigte, bestätigte die Polizei die Unterredung.

Der Leiter des Staatsschutzkommissariats habe dabei aufgezeigt, »dass damit zu rechnen sei, dass die Veranstaltung angesichts der aktuellen Sicherheitslage in der öffentlichen Meinung thematisiert werden wird« und dass es »möglicherweise auch zu Störaktionen, Demonstrationen oder sonstigen Missfallensbekundungen kommen könnte«, sagte Polizeisprecherin Jasmin Kaatz. Zugleich sei der Stiftung versichert worden, dass die Polizei in jedem Fall einen störungsfreien Ablauf der Preisverleihung gewährleisten werde.

Nach Ansicht der – bisherigen – Jury spielt der Rückzug von der Preisverleihung der »derzeitigen massiven Feindpropanda der Regierung Putin und der staatlich gelenkten russischen Medien gegen den Westen in die Hände«. »Wir fürchten, dass Ihre Entscheidung zu großer Enttäuschung und Entmutigung bei den an dem Friedensprojekt beteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen führen wird.« Diese hätten sich sehr auf die Verleihfeier in Göttingen gefreut und sich bereits auf ihren dortigen Auftritt vorbereitet: »Insbesondere die russischen Mitbeteiligen, die trotz der Feindpropaganda aus Moskau an dem Projekt festhalten und zu einer Reise nach Deutschland bereit waren, hätten eine Ermutigung gebraucht.«

»Wie wollen wir von der unterdrückten russischen Zivilgesellschaft auch nur einen Hauch von Zivilcourage erhoffen, wenn wir Angst haben, in unserem sicheren Deutschland solches zivilgesellschaftliches Friedensengagement öffentlich zu würdigen?«, hieß es weiter. »Ihre Entscheidung ist ein Signal von mangelnder Zivilcourage, beschämender Feigheit und vorauseilendem Gehorsam vor einer ganz offensichtlich imaginären Bedrohung.«

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