Global denken und gemeinsam handeln

Clara S. Thompson über die Polarisierung durch die Klimakrise

  • Clara S. Thompson
  • Lesedauer: 4 Min.

Als der Philosoph Hans Jonas 1979 vom ökologischen Imperativ schrieb und nach dem Motto »global denken, lokal handeln« eine Welt ausmalte, in der globale, ökologische Probleme lokal gelöst werden, ahnte er nicht, wie relevant sein Werk bleiben würde. Inzwischen scheint es das Motto der Klimabewegung in Deutschland zu sein. Die meisten Klimaakteur*innen sehen die Klimakrise als globales Problem, das allerdings vor der eigenen Haustüre bekämpft werden muss. Gleichzeitig gibt es eine Tendenz, den Blick nicht wirklich über den Tellerrand zu richten.

Katalysiert wird das von Trends wie Flugskam, also die Scham, in den Flieger zu steigen – was quasi auch dazu führen kann, dass wichtige Begegnungen zwischen Aktivist*innen nicht mehr stattfinden.

Clara Thompson
Clara Thompson

Foto: privat
Clara Thompson, Klimaaktivistin und 
Autorin, ist in Schottland geboren und wuchs in Deutschland auf.

Zum anderen gibt es die Tendenz »Whataboutisms« vermeiden zu wollen, sprich zu zögern, andere Länder für ihre Klimapolitik zu kritisieren, solange im eigenen Land noch nicht genug gegen getan wurde. Gerade über in der Klimabewegung wohl bekannte Länder wie die USA wird erstaunlich wenig gesprochen. Dabei trug das Land im vergangenen Jahr mit 4,46 Milliarden Tonnen einen Anteil von rund 14,2 Prozent zum weltweiten CO2-Ausstoß bei – und es gibt wenig Hoffnung, dass sich das ändert. Wenn wir die Klimakrise angehen wollen, müssen wir darüber reden.

Als ich als Kind in den USA auf Familienbesuch war, habe ich stets einen kleinen Kulturschock bekommen. Im Vergleich zu Deutschland geht es in den USA sehr viel um Konsum. Die Mobilität steht sinnbildlich für das Land: Die meisten amerikanischen Städte wirken wie aus einem Werbefilm der Autoindustrie: breite Straßen, kaum Fußgängerzonen oder Fahrradwege. Wer kein Auto hat, bleibt immobil. Meine Großeltern, obwohl über 80 Jahre alt, wollen das Autofahren nicht aufgeben. Es ist Teil ihrer Identität geworden, wie im Übrigen auch für viele Deutsche.

Vor kurzem besuchte ich die US-amerikanische Stadt Buffalo, New York, die vor rund einem Monat Schauplatz eines furchtbaren Shootings war, bei dem zehn Menschen ums Leben kamen. Dort habe ich mich mit Aktivist*innen, Nichtregierungsorganisationen und Progressiven getroffen. Immer wieder habe ich die Problematik der Klimakrise angesprochen und bekam auch durchgehend das Feedback: ein wichtiges Thema. Aber vor allem realisierte ich: Die Menschen waren zwar interessiert, aber hatten schlichtweg keine Zeit, sich mit der Klimakrise zu beschäftigen, denn ein anderes Thema lauerte über der Stadt wie ein dunkler Schatten. Das tragische Massenshooting fand vor dem einzigen Supermarkt in einem Umkreis von mehreren Kilometern statt, in dem Viertel mit dem höchsten Anteil an People of Color. Es war ein rassistischer Angriff, der darauf abzielte, diese Community anzugreifen. Für die Menschen in Buffalo stand deshalb verständlicherweise die Polarisierung ganz oben auf der Tagesordnung, angetrieben von Rassismus und Armut und wie diese endlich gestoppt werden kann.

Diese Gespräche waren für mich zentral, um zu realisieren: Die Klimakrise, die so viele Menschen jeden Tag beschäftigt und betrifft, spielt für andere Menschen noch gar keine Rolle, weil sie mit dem alltäglichen Überlebenskampf im Angesicht von Armut oder Rassismus gefangen sind. Es ist zentral, dass eine global aufgestellte Klimabewegung diesen Punkt versteht.

Nun würde ich davor warnen zu glauben, dass wir in Deutschland viel fortschrittlicher sind. Hier mögen Politiker*innen zwar eine klimafreundlichere Rhetorik nutzen, aber ein Blick in die Reihen neoliberaler und rechter Politiker*innen zeigt, dass auch wir auf eine Polarisierung der Gesellschaft zusteuern. Zuletzt haben die Diskussionen über das Tempolimit und das Ende des Verbrennungsmotors gezeigt, dass manche Politiker*innen nicht mehr auf rationale Argumente und wissenschaftliche Erkenntnisse setzen, sondern auf Identität und Spaltung. Wir befinden uns auf dem besten Weg, die republikanische Partei aus den USA stolz zu machen.

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