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Wie entstehen männliche Kriegshelden?

Für viele Argentinier gehört die Frage der Souveränität der Malwinen zur nationalen Identität

  • Lisa Pausch
  • Lesedauer: 8 Min.

Wie nehmen Sie die Stimmung in Argentinien zum 40. Jahrestag des Kriegs um die Malwinen wahr?

Es gibt verschiedene Ansichten über die Rückforderung und eine argentinische Souveränität auf den Malwinen. Wohl am weitesten verbreitet ist die Auffassung, dass die Kämpfe vor 40 Jahren eine Heldentat darstellen. Allein die Tatsache, etwas als »Heldentat« zu beschreiben, hat ja schon Symbolkraft. Sich als »argentinisch« zu begreifen, bedeutet für viele, auch die Malwinenfrage als Teil ihrer Identität zu sehen. Natürlich gibt es auch komplett gegensätzliche Haltungen: Es gibt Menschen, die die britische Souveränität über die Malwinen anerkennen, oder jene, die diese zwar ablehnen, aber ansonsten keinen großen Bezug zum Thema haben.

Interview

Florencia Di Giorgio, 27, hat Politikwissenschaften, Internationale Beziehungen und im Master Gender Studies an der Nationalen Universität La Plata studiert. Dort war sie von 2016 bis 2021 Mitglied einer Forschungsstelle zu Öffentlichen Politiken in der Malwinenfrage mit Genderperspektive und hat einen Sammelband dazu herausgegeben. Heute arbeitet sie als parlamentarische Beraterin im argentinischen Senat. Mit ihr sprach Lisa Pausch.

Sie schreiben, dass die Malwinenfrage heute ein grundlegender Teil des »argentinischen Seins« darstellt. Können Sie das beschreiben?

Ich spreche nicht so gern von Identitäten, sondern lieber von Identifizierungen. Das scheint erstmal ein sehr subtiler Unterschied zu sein, aber ich mache ihn auf der theoretischen Ebene, um klarzustellen: Wir sind nicht so, wir werden nicht so geboren, wie wir sind, sondern werden es. Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Benedict Anderson spricht von »vorgestellten Gemeinschaften«: Das nationale Sein, dieses Gefühl der Zugehörigkeit zu den Malwinen, ist in Argentinien sehr stark. Das wird schon in der Schule deutlich, deine Eltern erzählen dir davon und man sieht es in sozialen Netzwerken. Ein Identitätsgefühl, das uns als Gemeinschaft zusammenhält, so wie Maradona, Messi, Dulce de Leche und das traditionelle Grillfest Asado.

Also wird eine Person auch als weniger argentinisch angesehen, wenn sie die Malwinen nicht eindeutig zurückfordert?

Die Malwinenfrage kann, wie auch andere Dinge, ausschließend wirken in der Hinsicht, dass man die kollektive Identität nicht so anerkennt wie der Rest der Bevölkerung und dann vielleicht weniger argentinisch ist. Ich bin grundsätzlich gegen so einen Ausschluss. Es ist aber wohl ein bisschen so wie mit dem Asado: Ich als Vegetarierin werde manchmal als weniger argentinisch wahrgenommen.

Sie und ihre Kolleginnen haben sich als Teil der Forschungsstelle zur Malwinenfrage an der Nationalen Universität La Plata insbesondere mit einer Genderperspektive auf das Thema konzentriert. Wie kam es dazu?

Als ich angefangen habe, mich wissenschaftlich mit den Malwinen auseinanderzusetzen, war ich noch Studentin. Ich erinnere mich, dass uns gesagt wurde, wir sollten zu ganz neuen Aspekten forschen. Ich hatte einen Artikel gefunden zu Frauen, die Teil des Kriegs waren. Das war im Jahr 2016 und ich verstand mich noch nicht als Feministin, ich kannte die Genderperspektive noch nicht. In meiner ersten Arbeit ging es um die Krankenpflegerinnen und um die Gründe ihrer Unsichtbarkeit. Die für mich beste theoretische Erklärung dafür war in der feministischen Theorie verankert. Danach beschäftigte ich mich mit dem Leben von Tahiana Marrone, einer Trans-Veteranin, und später dann auch grundsätzlich mit Männlichkeiten.

Sie haben für Ihre Arbeit zu Männlichkeiten mit Sekundärquellen gearbeitet, also mit Zeitschriften, Tageszeitungen, Briefen und Romanen. Was ist Ihnen dabei aufgefallen?

Die Entwicklung! Als ich mir die Quellen von 1982 bis heute angesehen habe, ist mir aufgefallen, dass sich die Idee vom Mannsein verändert hatte. Während des Kriegs und gerade in den letzten Tagen des Kriegs konnte man diese makellosen, unantastbaren Helden sehen. Sie weinten nicht und zeigten auch keine Angst. So titelten die Zeitungen 1982 auch die ganze Zeit »Wir sind dabei zu gewinnen«, und der Militär Leopoldo Galtieri rief von seinem Balkon aus: »Wenn er [der Feind] kommen will, dann soll er das doch tun.« Diese ganze konfrontative Haltung. Es durfte nicht publik werden, was viele betraf: Traurigkeit, Beklommenheit, Angst. Es gab in all den Jahren danach ja auch eine Menge Suizide. Ich finde, heute bestehen verschiedene Maskulinitäten nebeneinander. Und während die Veteranen um ihren Platz in der Öffentlichkeit kämpfen, trifft die stoische, die militärische, institutionalisierte Männlichkeit auf eine andere, vielleicht flexiblere. Eine, für die der Krieg im Alter von 18 oder 19 Jahren eine enorme Verletzlichkeit bedeutete.

Das sind Erfahrungen, von denen viele der Veteranen ihren Kindern bis heute nichts erzählt haben. Wie wird die Malwinenfrage an die Kinder der Veteranen weitergegeben? Einige von ihnen treffen sich regelmäßig als Teil einer Gruppe aus »Erben« der Malwinenfrage.

Meine Kollegin Agustina Reda hat zu diesem Thema geforscht und mit Kindern von Veteranen gesprochen. Es gebe, sagt sie, zwei große Gruppen: Jene, die die Rückforderung ihrer Väter vorantreiben, und andere, die vor allem um des Gedenkens willen dabei sind, damit die Namen der Väter nicht vergessen werden – nach dem Motto: Wenn ich das nicht mache, dann macht es keiner. Es gibt Väter, für die diese Kriegserfahrung zum Teil ihrer Identität wurde, und andere, für die sie mehr Teil eines abgeschlossenen Lebensabschnitts ist. Es gibt bei den Kindern auch diese Neugier: Der Vater war im Krieg, hat ihnen aber nie davon erzählt. Und es vergehen Jahrzehnte, bis vielleicht ein kleiner Moment alles ändert. Oder es bleibt ein Unverständnis seitens der Familien zurück nach so langem Schweigen. Auch wenn die Kinder den Mut und das Heldentum ihrer Väter hervorheben wollen, denke ich, dass sich alle darin einig sind, dass Krieg nie mehr passieren darf.

Bis heute fordern Veteranen, dass sie nicht mehr als die »Kriegsjungen« gesehen werden. Warum wurden sie nach dem verlorenen Krieg überhaupt »chicos de la guerra« genannt?

Während des Kriegs waren sie die tapferen, stoischen Helden, die gegen den Feind kämpften, ein fast gottgleiches Bild der Ex-Kombattanten als Verteidiger der Argentinier, wie Übermenschen. Als der Krieg dann verloren wurde, versuchte die Diktatur, alles zu verstecken; also quasi den Krieg zu verstecken. So wurden auch die Veteranen bei ihrer Rückkehr aufs Festland versteckt. Sie durften nicht mehr darüber sprechen und wurden öffentlich als »Kriegsjungen« etikettiert. Meiner Interpretation nach hat das mit einer Strategie der Diktatur zu tun, die Verbindung zu denen zu lösen, die sie als »Schuldige« für den Kriegsausgang sah. Um das Bild der Männlichkeit, das mit dem Militär, mit einer Idee von Heimat, Nation und auch dem Katholizismus verbunden ist, nicht zu verlieren, werden sie öffentlich verkindlicht als »Kriegsjungen« und damit zu unreifen Kindern, deretwegen wir diesen Krieg verloren haben.

Das hat sich inzwischen verändert, oder? Der Jahrestag wurde ja auch explizit unter dem Motto »Heldentat« gefeiert.

Es gibt auch unter Veteranen verschiedene Haltungen dazu. Ein Teil sieht den Krieg als tapfere Heldentat, ja, ohne dabei die Diktatur zu verteidigen. Nach meiner Analyse hat diese Lesart als Heldentat auch mit unserer Sozialisierung zu tun. Die Idee, für etwas so Abstraktes wie das Vaterland zu kämpfen, kommt daher, dass wir lernen, für dieses abstrakte Vaterland auch das eigene Leben zu lassen. Es gibt auch Veteranen, die die argentinische Souveränität der Malwinen befürworten, sich aber gleichzeitig als Opfer der Diktatur sehen. Warum erwähne ich das hier? Der Feminismus hat uns ermöglicht, den Begriff »Opfer« neu zu denken, also in einer Weise, die nicht bedeutet, am Boden zu liegen und traurig oder vergessen zu sein.

Seit einigen Jahrenauch mit den Debatten, die die Frauenbewegung anstößtwird in Argentinien die Rolle der Frauen in diesem Krieg immer sichtbarer. Was bedeutet das für die klassische Wahrnehmung als Veteran?

Frauen und diverse Geschlechter versuchen, die Kategorie als »Heldinnen« zu erweitern. Es gibt dabei sicherlich Menschen, für die diese Heldenkategorie so sehr Bestandteil ihrer selbst ist, dass sie sich gestört fühlen, wenn sie nun neu definiert wird.

In welchem Sinn kann die Kategorie »Held« denn erweitert werden?

Es gibt zum Beispiel die Idee, dass es positive und negative Gefühle gibt und man gerade im Krieg die negativen verstecken müsse. Ich glaube, dass negative Emotionen auch eine Kraft für Wandel sein können, hin zu etwas Positivem. Gefühle wie Empörung, Angst, Wut, Hass sind legitime Gefühle. Wenn ich selbst anerkenne, dass ich Angst habe oder traurig bin, dann kann ich das auch in meinem Gefährten sehen. Das erzeugt Verbundenheit und Solidarität, wenn man sieht: Ich bin nicht allein damit. Aber es fehlen mir immer noch Aspekte. Es gibt zwar Veteranen, die gesagt haben, dass sie eigentlich nicht in den Krieg wollten. Aber ich habe nie von einem Veteranen gehört, der gesagt hätte, er sei dort gewesen und habe davonlaufen wollen, sei wie versteinert vor Angst gewesen oder im Schützengraben geblieben, als alle anderen in die Offensive gingen. Vielleicht gab es solche Situationen gar nicht, weil dies als Vaterlandsverrat angesehen worden wäre. Es gibt eine Art Dreiecksverbindung zwischen Veteran, Männlichkeit und Vaterland. Letzteres wurde im Verlauf der Geschichte mit Symbolen aufgeladen, dazu zählen auch die Malwinen. Sie haben das Argentinisch-Sein und darin auch das Männlichkeitsbild geprägt. Vaterland kommt ja auch schon von »Vater«. Das Patriotische war oft männlich, so auch der Veteran.

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