Wo bleibt nur die Wut?

Eine linkskommunistische Gruppe aus London berichtet in einem Buch über die Entscheidung, die politische Arbeit wieder in die Fabriken zu verlegen – und über ihre Erfahrungen mit den Arbeitern

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 7 Min.
Hammer und Sichel – nur über den Zaun oder schon ganz an den Nagel gehängt?
Hammer und Sichel – nur über den Zaun oder schon ganz an den Nagel gehängt?

Im Jahr 2014 entschieden wir uns, in ein Arbeiterviertel West-Londons zu ziehen. Wir hatten das dringende Bedürfnis, aus der kosmopolitischen Blase auszubrechen und unsere Politik im Alltagsleben der Arbeiter*innenklasse zu verankern.« Mit diesem Bekenntnis leitet die Gruppe Angry Workers ihr kürzlich im Unrast-Verlag erschienenes Buch »Class Power! Über Produktion und Aufstand« ein. In Großbritannien sorgte es bereits 2020 für viele Diskussionen in der Linken. Denn die Angry Workers agieren gegen den linken Trend, was schon im Eingangsstatement deutlich wird. Sie verlassen mit den linken Szenebezirken nicht nur eine Komfortzone, sie grenzen sich auch von einer linken Identitätspolitik ab, die immer neue diskriminierte Minderheiten kennen, aber von Klassen nichts mehr hören will.

Dabei sind die Angry Workers keineswegs Anhänger*innen einer marxistisch-leninistischen Partei, wie es viele der Linken waren, die in den 1970er Jahren aus politischen Gründen in die Fabrik gingen. »Diejenigen, die Kategorien mögen, können uns als Linkskommunisten einordnen. Das mag wenigen etwas sagen, und es ist nicht wirklich wichtig, dass revolutionäre Politik unserem Verständnis nach auf der Selbstorganisation der Arbeiterklasse beruht«, beschreiben die Autor*innen den Ausgangspunkt ihres Engagements. Die Gestaltung dieses Ansatzes changiert im Buch zwischen zwei Polen.

Gemeinsam in der Verschiedenheit

Hier gibt es zum einen den »spontihaften« Blick auf den Politikansatz: Job suchen und Stress machen. Damit wird auch ausgedrückt, dass es für die Angry Workers kein großes Problem darstellt, einen Job wieder zu verlieren – womit sie sich unterscheiden vom Großteil ihrer Kolleg*innen, die (oft schlecht bezahlte) Lohnarbeit verrichten. Sie arbeiten nicht aus politischen Gründen, sondern weil ihnen ohne Job schlicht das Geld für die Miete fehlt. Viele Arbeiter*innen müssen außerdem noch Kredite abbezahlen, was es noch schwieriger macht, auf den Lohn zu verzichten, und sei er noch so gering.

Mit einer gewissermaßen elaborierteren Stoßrichtung sprechen die Angry Workers zum anderen davon, dass das Konzept der Arbeiter-Selbstuntersuchung im Mittelpunkt ihrer Bemühungen steht: »Als Arbeiter*innen müssen wir gemeinsam den Arbeitsprozess, die Spaltungslinien, die Position des Unternehmens in der Zulieferkette, die rechtliche Situation und den hierarchischen Gewerkschaftsapparat verstehen, um uns effektiv und selbstständig gegen die Bosse zu organisieren«, schreiben sie. Diesen Anspruch lösen die Angry Workers bei den drei Arbeiteruntersuchungen, die im Buch veröffentlicht sind, gut ein. Sehr detailliert beschreiben sie dort die jeweiligen Fabriken, ihre Rolle in der aktuellen Ökonomie und die Zusammensetzung der Belegschaft. Dabei geht es immer auch darum, Anknüpfungspunkte für Protest und Widerstand zu finden.

Proletarische Widerstände

Ihre achtjährige Fabrikintervention ist jedoch nicht von großen Erfolgen gekrönt – auch wenn sie im Fabrikalltag immer wieder kleine Verbesserungen gemeinsam mit den Kolleg*innen durchsetzen konnten. »Warum stehen die Menschen nicht für ihre Rechte ein?« Diese Frage stellt sich eine Angehörige der Angry Workers, die für längere Zeit in der Lebensmittelfabrik Bakkavor arbeitete. Viele der Kolleg*innen hatten einen indischen Migrationshintergrund. Dort startete die Kollegin der Angry Workers ihre Organisationsversuche, bei denen sie von ihren Genoss*innen außerhalb der Fabrik durch das Verteilen von Flugschriften unterstützt wurde. Die Arbeiter*innen lasen diese zwar durchaus, weil sie durch die präzisen Informationen der Kollegin aus dem Betrieb ganz konkrete Probleme in der Fabrik ansprachen. Trotzdem zogen die Angry Workers nach einem Jahr ein ernüchterndes Fazit: »Wir stießen mit unseren Aktivitäten … an eine Wand aus Beton. Weder die Flugblätter noch unser Mitteilungsblatt hatten viel bewirkt. Es war nach wie vor schwierig, mit Kolleg*innen zu sprechen und an Informationen zu kommen, die nicht auf Tratsch, Gerüchten und stiller Post beruhten.«

Daraufhin engagierte sich die Kollegin in der GMB, einer Gewerkschaft, die sich stark auf betriebliches Organizing stützt. Hier betonen die Angry Workers, dass sich an ihrer linkskommunistischen Kritik an Gewerkschaften, »die existieren, um zwischen Kapital und Arbeit zu vermitteln, nicht um diesen Gegensatz zu überwinden«, nichts geändert hat. Mit der Arbeit in der Gewerkschaft sollte erkundet werden, ob so bessere Verbindungen zu den Kolleg*innen hergestellt werden könnten. Aber auch hier waren die Ergebnisse ernüchternd. Das Problem bestand allerdings nicht – wie sonst häufig – in einem Gewerkschaftsvorstand, der die Basisaktivitäten hemmt. Vielmehr war der GMB-Vorsitzende für die Verhältnisse der Branche ein linker Gewerkschafter, der die Aktivitäten der Angry Workers ausdrücklich unterstützte und sogar deren Schriften als Anregung benutzte. Zum Konflikt kam es stattdessen mit einer Gruppe von männlichen Gewerkschaftern, die alle aus derselben Provinz in Indien kamen, sich also schon lange kannten und durch die linke Neueinsteiger-Gewerkschaft ihre Macht bedroht sahen. Zumal sich die Angry-Workers-Kollegin schnell mit ihnen anlegte und eine Neuwahl der gewerkschaftlichen Vertrauenspersonen erzwang, mit dem Vorwurf an einige dieser Kollegen, ihre Verwandten auf die Liste der gewerkschaftlichen Vertrauenspersonen gesetzt zu haben.

Ob es taktisch klug war, diesen Konflikt so früh zu suchen, darüber fehlt im Buch eine kritische Reflektion. Zudem wurde bei diesem Vorgehen nicht berücksichtigt, dass enge verwandtschaftliche Kontakte in migrantischen Communitys auch Teil von Widerstandsstrategien sein können, die nicht vorschnell mit dem Label der Vetternwirtschaft abgetan werden sollten. In dieser Auseinandersetzung zeigt sich auch, dass die Angry Workers natürlich ihre eigene, eben linkskommunistische politische Agenda haben, die auch mit der Selbstorganisation bestimmter Segmente der Arbeiter*innen in Konflikt geraten kann.

Schwachstellen im Produktionsprozess

Diese Agenda wird auch an an anderen Stellen im Buch deutlich, etwa in der Polemik gegen Linke, die Lebensmittelkonzerne ablehnen und auf die angeblich besonders gesunde und natürliche bäuerliche Subsistenzwirtschaft setzen: »In die Verteufelung der Großkonzerne stimmen wir nicht mit ein. Sie bieten auch Möglichkeiten. Anstatt von einer kleinbürgerlichen Schicht (Kleinunternehmer, Kleinhändler und Bauern) und ihrer konservativen politischen Lobby beherrscht zu werden, liegt die moderne Lebensmittelindustrie in den Händen von Abertausenden global verbundenen Arbeiter*innen, die unter denselben, immer schlechter werdenden Bedingungen arbeiten.« So verteidigen die Angry Workers die Großproduktion im Lebensmittelbereich gegen eine linke Romantik des Primitivismus. An anderer Stelle rechnen sie vor, dass noch mehr Menschen verhungern müssten, wenn weltweit wieder auf Subsistenzwirtschaft gesetzt würde.

Gerade im boomenden Lebensmittelsektor, aber auch in der Logistikindustrie sehen die Angry Workers die Basis für einen neuen weltweiten Aufschwung einer transnationalen Arbeiter*innenbewegung. »Wenn wir uns moderne Lagerhäuser und die Logistik des Lebensmittelhandels ansehen, … kommen wir auch zu der Frage der Automatisierung, und damit neben der Aufregung rund um die zunehmende Bedeutung des Dienstleitungssektors einen weiteren ideologischen Hype, der uns glauben machen will, das manuelle Arbeit im Kapitalismus in den nächsten zwei Generationen verschwunden sein wird«, argumentieren die Angry Workers gegen gängige linke Glaubenssätze.

Gretchenfrage Organisierungsform

Sehr fundiert nehmen die Linkskommunist*innen zudem die weitverbreitete Ideologie des demokratischen Sozialismus auseinander, die in Großbritannien vor allem in der kurzen Zeit, als der Sozialist Jeremy Corbin die Laborpartei führte, große Teile der parlamentarischen und außerparlamentarischen Linken in Großbritannien erfasst hatte. Im Kapitel »Revolutionäre Strategie« formulieren die Angry Workers ein kommunistisches Programm, das sehr an die Texte der Bolschewiki in ihrer Aufstandsphase erinnert. So beschreibt etwa der Abschnitt »Die Macht der Klasse und ihre ungleiche Entwicklung« sehr detailliert, welche Milieus der Mittelschicht in Zeiten des Aufstands gezügelt werden müssen. »Die Mittelschicht hat politisches Gewicht und kann sich eines repressiven Apparats bedienen. … Die beste Weise, ihren Einfluss zu minimieren, ist, sie von der essenziellen Produktion und Distribution abzukoppeln«: Etwas abstrakt wird hier beschrieben, dass diese kleinbürgerlichen Schichten in einem revolutionären Prozess gezwungen werden müssen, »sich gerne als Gleiche produktiv in die Gesellschaft einzubringen«.

Damit sind wir bei Problemen, mit denen sich Wladimir Iljitsch Lenin bereits 1917 auseinandersetzte. Doch es stellt sich sofort die Frage, wer denn die formulierten revolutionären Ziele gegenwärtig umsetzen soll – die zerklüftete Arbeiter*innenbewegung ist dazu jedenfalls aktuell nicht in der Lage. Klar scheint auch, dass es nicht – wie vor 100 Jahren in der Sowjetunion – eine zentralistische Partei sein kann. Hier drängt sich also die Organisationsfrage zwangsläufig wieder in den Vordergrund, die die Angry Workers eigentlich gerne umgehen wollen. Sie stellen dennoch die richtigen Fragen und benennen aktuelle Probleme für eine linke Theorie und Praxis – die Antworten müssen wohl unter anderem von den Leser*innen kommen.

Angry Workers: Class Power! Über Produktion und Aufstand. Unrast-Verlag, 528 S., br., 24 €.

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