Das »Unvorstellbare« bleibt aus

Die Grüne Eva Jähnigen verpasst die Überraschung, Oberbürgermeisterin von Dresden zu werden

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 4 Min.

Eva Jähnigen wählte bedeutungsschwere Worte: »Das Unvorstellbare«, so die Dresdner Grünen-Politikerin am Sonntagabend auf Twitter, sei fast gelungen. Tatsache ist: Am Ende fiel das Ergebnis der zweiten Runde der Oberbürgermeister-Wahl in der Elbestadt deutlicher als erwartet aus. Nach Runde eins vor vier Wochen hatte sich Jähnigen noch berechtigte Hoffnungen gemacht, ausgerechnet in Dresden, das nicht erst seit den Pegida-Aufmärschen keinen sonderlich progressiven Ruf hat, als erste Grüne ins Rathaus einzuziehen. Nun blieb sie allerdings mit 38,3 Prozent klar hinter Dirk Hilbert (FDP), der mit 45,3 Prozent in seine zweite Amtszeit steuert. Die Enttäuschung war Jähnigen anzumerken, dennoch versuchte sie, das Ergebnis in eine positive Richtung zu lenken: Als »Auftrag für mehr Klimaschutz« interpretierte sie den Ausgang der Wahl und kündigte an, als Umweltbürgermeisterin unter ihrem alten, neuen Chef weitermachen zu wollen.

»Unvorstellbar« wäre ein Sieg Jähnigens ob ordentlicher Ausgangslage also nicht gewesen, aber eine Überraschung zweifellos. In den nunmehr 32 Jahren seit der Wende hat es bisher nur einen einzigen Oberbürgermeister der Grünen in ganz Ostdeutschland (außerhalb von Berlin) gegeben: den Historiker Stefan Fassbinder, der seit 2015 in der Universitätsstadt Greifswald amtiert. In Dresden wäre ein Sieg gleich doppelt bemerkenswert gewesen, galt Sachsen doch bislang als Hochburg der CDU, die scheinbar nur von der AfD streitig gemacht werden kann. Doch bei dieser Kommunalwahl konnte das progressive Lager zumindest in einem Landkreis einen Keil in den Zweikampf zwischen Mitte und Rechts schieben: Vor einer Woche gewann der parteilose Dirk Neubauer, Bürgermeister von Augustusburg, mit rot-rot-grüner Unterstützung die Landratswahl in Mittelsachsen. Ein Erfolgsmodell, auf das nun auch Eva Jähnigen gesetzt hatte: Auch die Grünen-Kandidatin in Dresden hatte auf die Hilfe von SPD und Linken bauen können, da sich deren Kandidaten Albrecht Pallas und André Schollbach nach der ersten Runde zurückgezogen hatten.

Nun, selbst diese Dreierkombination reichte am Ende nicht aus, um die CDU-FDP-Dynastie im Rathaus von »Elbflorenz« zu brechen, was den sächsischen Linksfraktionschef Rico Gebhardt sichtlich entrüstete. Er habe »erstmalig jemanden von den Grünen gewählt«, schrieb er am Sonntag. »War gar nicht so schwer.« Am Abend dann die Ernüchterung: Der »notwendige Wechsel« sei ausgeblieben. »Kann man machen, muss man sich nur nicht wundern, dass die Stadt dann auch so bleibt, wie sie ist: Bräsig. Behäbig. Verstaubt.« Deutlich euphorischer zeigte sich der frisch vermählte Bundesfinanzminister Christian Lindner: »Dem alten und neuen Dresdner Oberbürgermeister gratuliere ich ganz herzlich zu seiner Wiederwahl. Auch für die kommenden Jahre viel Erfolg und alles Gute.«

Hilbert hatte sich vom Bündnis »Unabhängige Bürger für Dresden« aufstellen und von der CDU unterstützen lassen. Am Sonntagabend erklärte er, die Mitte habe in Dresden gewonnen: »Es ist die erste erfolgreiche Wiederwahl eines Oberbürgermeisters in Dresden seit 1994. Wir können stolz sein, dass wir das miteinander gerockt haben.« Nach dem ersten Wahlgang hatte er ein Zehn-Punkte-Programm für eine sichere Energieversorgung vorgelegt. Am Sonntag bekräftigte er sein Anliegen, die Wohn- und Lebenskosten zu dämpfen. In seiner ersten Ansprache stellte er auch klar, dass es mit ihm keine Neuverschuldung der Stadt geben werde: »Mit mir wird es nur das Thema Schuldenfreiheit geben.« Man müsse auf eine starke Wirtschaft und eine »ermöglichende Verwaltung« setzen statt auf eine Verhinderungspolitik.

Jähnigen hatte im Wahlkampf vor allem auf das Thema Klimaschutz gesetzt. Sie wolle Dresden klimaneutral machen, die Versorgung mit Strom und Wärme umbauen, sagte sie. Allerdings wurde sie nur in zwei Stadtteilen auf Platz eins gewählt: in der studentisch geprägten Neustadt, wo sie mit 69,2 Prozent ein zum Rest der Stadt vollkommen konträres Ergebnis erzeugte, und im angrenzenden Pieschen. Bemerkenswert und nachdenklich stimmend: Die Wahlbeteiligung lag bei nur 41,3 Prozent, in manchen Stadtteilen sogar deutlich darunter. Im Plattenbaugebiet Gorbitz-Süd gingen nur 22,2 Prozent zur Wahl. Immerhin: Die AfD hatte auch in der zweiten Runde keine Chance, ihr Kandidat Maximilian Krah kam nur auf 12,2 Prozent.

Und dennoch haben diese Wahlen gezeigt, dass auch das progressive Lager im Freistaat etwas erreichen kann – wenn es sich zusammenschließt. Es gibt allerdings auch ein empfindliches Gegenargument gegen diese Logik: Bezogen auf die Anzahl der Wähler*innen und im Vergleich zu allen Wahlen seit 2013 in Dresden erzielte Jähnigen das schwächste Ergebnis. Wenn alle progressiven Parteien getrennt voneinander antraten, kamen sie zusammengerechnet auf eine zum Teil deutlich höhere Stimmenzahl. Ob das etwas mit den Grünen als Partei zu tun hat, die im Osten insgesamt deutlich größere Probleme hat, bei den Menschen anzukommen? Jedenfalls dürfte ein solcher Zusammenschluss, unabhängig von der Partei, nicht bei allen Wahlen ein tragfähiges Modell sein. Bei Mehrheitswahlen wie dieser, wo einfach nur der Stärkste gewinnt, wirkt dieses Gegenargument aber nicht. Denn: Jede Partei für sich genommen wäre weit weniger imstande gewesen, Dirk Hilbert herauszufordern.

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