Im Bett mit dem Über-Boss

Joscha Bongards Dokfilm "Pornfluencer" gibt Einblick in das Leben zweier Selfmade-Pornostars

  • Anna Gyapjas
  • Lesedauer: 5 Min.
Nico Nice und Jamie Young – zusammen »Youngcouple9598« – sind seit 2018 auf einschlägigen Pornowebseiten für die Videos von ihrem Beischlaf bekannt.
Nico Nice und Jamie Young – zusammen »Youngcouple9598« – sind seit 2018 auf einschlägigen Pornowebseiten für die Videos von ihrem Beischlaf bekannt.

Mit dem Menschen, den man liebt, das tun, was man eh tut – mit dem Unterschied, dass es Geld dafür regnet: Klingt doch großartig! Oder? Genau diese Frage hat sich der junge Filmemacher Joscha Bongard gestellt. Seine Dokumentation »Pornfluencer«, die ab 14. Juli in den Kinos läuft, nimmt ein junges Pärchen unter die Lupe, das genau diesen Lebensentwurf lebt.

Nico Nice und Jamie Young (beim Dreh 25 und 22 Jahre alt) sind zusammen »Youngcouple9598« und seit 2018 auf einschlägigen Pornowebseiten für die Videos von ihrem Beischlaf bekannt. Los ging das alles mit Nicos Idee, selber Pornos zu drehen. Jamie war dafür offen, aber es spricht Bände über das Verhältnis der Geschlechter in diesem Land, dass sie dafür ihre Freunde verlor und er Bestätigung erntete.

Wie geht es wohl »hinter der Fassade« eines solchen Projekts zu? Diese Frage, mit der der Film beworben wird, ist durchaus berechtigt und vielversprechend. Das Private ist politisch – also rein ins Privatleben dieser zwei jungen Menschen Anfang 20, die es auf unkonventionelle Weise zu einem Vermögen gebracht haben und nun auf Zypern leben, um Steuern zu sparen.

Ursprünglich waren es die Produktplatzierungen auf den Social-Media-Profilen von Pornodarstellenden, die Regisseur Bongard – in der Rolle des Konsumenten, mit einer Faszination für Paarpornografie – neugierig machten: »Ist dies eine neue Generation Pornostars? Eine neue Generation Influencer? Und ist die Paar-Pornografie, die konsensuelle Pornoproduktion, die ethische Revolution der Pornoindustrie?« Mit solch großen Fragen im Gepäck machte sich das Filmteam auf nach Zypern.

Zurück kamen sie mit einem Film, der von Beziehungsdynamiken handelt und die ursprünglichen Fragen kaum beantwortet. Das Wort »Influencer« fällt nur einmal, als Jamie in einem Unterwäscheladen erklären muss, warum ihr ein Kamerateam folgt. Überhaupt verschleiert der Titel »Pornfluencer«, der bei zwei Beteiligten durchaus im Plural zu übersetzen ist, die Arbeitsteilung um einiges. Denn das Zugpferd des Pornoprojekts ist natürlich die Frau, die sich für ihr vorwiegend männliches Publikum objektiviert. Jamie Young ist diejenige, die auf Instagram über 56 700 Follower hat, die ihre Fans per Instagram-Live bei Laune hält und nach der der Fanshop benannt ist. Sie ist auch diejenige, die den Schnitt der Videos erledigt und sich bei einem morgendlichen Affirmationsritual im Spiegel selbst gut zuspricht: »Ich liebe Nico über alles. Ich tue alles, was er mir sagt, da ich ihn so sehr liebe.«

Und er? Nico ist der Executive Director of Male Gaze: Der Film zeigt ihn dabei, wie er Jamie anweist, sich körperbetontere Kleidung anzuziehen oder auf einem Parkplatz die Brüste zu zeigen, wie er die Kamera einstellt beziehungsweise hält und sie zu TikTok-Videos drängt. Es fällt einem ein regelrechter Stein vom Herzen, wenn Jamie Nein zu seinen Posing-Ideen sagt und sich damit auch durchsetzt. Aber es schnürt einem auch direkt wieder die Kehle zu, wenn Nicos Reaktion daraufhin lautet: Reiß dich zusammen.

Zum Glück schaltet der Film zwischendurch Experten wie die Kulturwissenschaftlerin Sylvia Sadzinski hinzu, die unter anderem zu (queer-)feministischen Themen rund um visuelle und künstlerische Widerstandspraxen forscht. Diese Pflichtelemente für etwas gesellschaftlichen Kontext werden unterhaltsam montiert, denn der Film wird im Stil gängiger Videoplattformen dargestellt. So wird automatisch zurückgespult, sobald etwa Nico mit seiner Begeisterung für die patriarchale Weltsicht der Pickup-Artists ein wenig den Bogen überspannt.

Die Helden des Paares sind Selfmade-Milliardäre wie Jeff Bezos oder Mark Zuckerberg, beide streben nach Reichtum, der ihnen »Freiheit« bedeutet. So mag es dem Film zwar nicht gelingen, das Phänomen Pornfluencer zu ergründen. Wohl aber zeigt er schlaglichtartig auf, wie junge Menschen Werte wie Erfolg und Berühmtsein verinnerlichen und verfolgen.

Ob Jamie den Traum ihres Freunds lebt oder ihren eigenen, darüber lässt sich nur spekulieren. In ihrem morgendlichen Ritual heißt es an anderer Stelle: »Ich werde alles dafür tun, um ihn glücklich zu machen: Nico ist der absolute Über-Boss«. Ob sie auch ein Bewusstsein für ihr persönliches Glück jenseits der Beziehung hat, bleibt offen. Aber wie Selbstbestimmung in einer Beziehung verhandelt wird, ist doch eine gänzlich anders gelagerte Frage als die nach Selbstbestimmung als Pornodarstellende. Erstere wird, auch wenn sie gesellschaftliche Strukturen spiegelt, individuell verhandelt; Letzteres weniger.

So löblich also Bongards Anliegen, unverkrampft mit Pornografie umzugehen und sexpositiv von diesem Metier zu erzählen, so unbedacht wird hier eine intime Beziehung unters Brennglas gezerrt und den Blicken des Publikums preisgegeben. Von dort ist es nur noch ein kleiner Schritt, über diese zwei jungen Leute zu urteilen – obwohl es doch eigentlich nur um einen Blick hinter die Fassade gehen sollte. Ein wenig mehr Feingefühl hätte Bongards erstem Dokumentarfilm durchaus gut getan, zum Beispiel, indem man den Fokus weitet und mehrere, auch alternative Konzepte von Porno-Darstellenden einbindet.

„Pornfluencer»: D 2022. Regie: Joscha Bongard. 73 Min. Start: 14. Juli.

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