Haben wir keine anderen Probleme?

Jeja nervt: Der mediale Umgang mit Sexismus

  • Jeja Klein
  • Lesedauer: 3 Min.

Veranstalter*innen, die den Schlager »Layla« nicht spielen wollen, eine nichtbinäre Person, die die Bahn darauf verklagt, dass Nichtbinäre sich nicht mehr als Männer oder Frauen registrieren müssen, oder Kindergärtnerinnen, die »Schaumkuss« sagen: Seit einiger Zeit fragen sich Millionen Bürger*innen immer wieder, ob wir »keine anderen Probleme haben« – und gefallen sich darin selbst verdammt gut.

Zuletzt war eine Häufung des Phänomens kaum zu übersehen. Kommentarspalten in sozialen Medien sind voll vom immer gleichen Ausspruch und seinen Derivaten. Allzu gern richtet sich der wütende Verweis dabei auf die Grünen, die vermeintlich den Ton angeben, wenn es darum geht, welche Pseudoprobleme die echten und wichtigen Probleme in den Hintergrund drängen.

Dabei hat die »Haben wir keine anderen Probleme?«-Erregung längst eine eigene Medienlogik geschaffen. Die führt eben nicht zu weniger Berichterstattung über die kleinen und kleinsten Anerkennungskämpfe marginalisierter Personen und ihrer Verbündeten auf einflussreicheren Posten. Umgekehrt versteckt sich hinter dem vermeintlichen Ruf nach den echten Problemen das Verlangen danach, noch viel mehr mit Informationen darüber beliefert zu werden, in welchem Freibad das oberkörperfreie Baden für alle erlaubt ist oder welcher C-Promi jetzt wieder auf einer Bühne in Castrop-Rauxel das »Gendern« (also das Entgendern gegenderter Formulierungen) als »Vergewaltigung der deutschen Sprache« verdammt hat. Die Aufmerksamkeitsökonomie der Medien und ihre kaum als Journalist*innen einzustufenden Erregungstexter*innen haben die Nachfrage erkannt und das Angebot aufgestockt.

Ein besonders ärgerliches Beispiel stellt die in Syke bei Bremen sitzende »Kreiszeitung« dar, die eigentlich eine Regionalzeitung ist. Die spielt in ihren Social-Media-Kanälen seit geraumer Zeit die immer selben Themen rauf und runter: Veganer machen dieses und jenes, fordern Extraessen im österreichischen Bundesheer oder ernähren ihre Hunde pflanzlich; Elektroautos bleiben liegen, weil einer kurz das Radio angemacht hat; irgendein Restaurant in Berlin erteilt Kindern Hausverbot; junge Leute wollen keine 40 Wochenstunden arbeiten und lieber zum Yoga; Aldi-Kunden sind »stinksauer«; Helikoptereltern verhätscheln ihren Nachwuchs. Abertausende Nutzer*innen dokumentieren ihre angesichts dieser Ungeheuerlichkeiten durch die Decke gehenden Gefühle über heiß laufende React-Knöpfe unter den völlig qualitätsfreien Müllartikeln oder verbalisieren ihre Wut in Kommentaren – und sorgen so dafür, dass der Algorithmus den Schund immer mehr Menschen unter die Nase reibt. Die »Kreiszeitung« und andere Produzent*innen von bloßem Content verdienen so Geld damit, die Axt an Öffentlichkeit und Demokratie zu legen.

Das Nachgeblöke des Satzes funktioniert dabei sogar auf Zuruf. Teasern Medien die neueste Meldung mit der Frage an, ob eigentlich keine richtigen Probleme vorliegen, führt das nicht etwa dazu, dass sich in den Kommentarspalten der Formulierung enthalten wird, sondern zum Gegenteil. Es ist, als würde das Lesen des Satzes all die tief sitzenden prekären Überlegenheitsgefühle der Einfältigen antriggern, denen unsere Gesellschaft jedoch die Anerkennung verweigert.

Erinnert sei an die Hoffnungen dieser Milieus und ihrer Wortführer*innen am Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine, dass sich nun vielleicht mal um echte Probleme gekümmert würde statt um Tampons auf dem Männerklo oder um Schwule. Denn: Nun würden die Linksgrünen doch einsehen, dass man wieder über wehrhafte Männer, Panzer und den internationalen Respekt vor unserem Land reden müsse. Die Medien verstanden – und lieferten die 100 kleinen täglichen Beweise, dass Deutschland sich zeitaufwendig mit Gendersternchen, Dreadlocks bei Weißen oder damit beschäftigt, dass Männer sich künftig per Selbsterklärung Zugang zum Frauenklo verschaffen würden, während das Land in Wahrheit kurz vor der zugleich gefürchteten wie wohlig herbeigesehnten Apokalypse steht.

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