»Frauen wird eher die Kompetenz abgesprochen«

Beruf und Familie lassen sich nur schwer mit Kommunalpolitik vereinbaren, sagt Sophia Kraft. Im Vorteil sei, wer keine Care-Arbeit leisten muss

  • Lisa Kuner
  • Lesedauer: 7 Min.
Ex-Stadträtin Sophia Kraft
Ex-Stadträtin Sophia Kraft

Frau Kraft, Sie haben vor Kurzem Ihr Amt als Stadträtin niedergelegt. Wie kam es dazu?

Interview

Sophia Kraft ist zweifache Mutter und arbeitet bei der Europäischen Energiebörse. Bis vor Kurzem saß die 33-Jährige noch ehrenamtlich für die Grünen im Stadtrat von Leipzig. Doch weil die Belastung mit Care-­Arbeit und Erwerbstätigkeit zu hoch wurde, legte sie das Amt nach drei Jahren nieder.

Ich habe schon vor einigen Monaten gemerkt: Es wird richtig, richtig viel. Als ich angefangen habe im Stadtrat, da hieß es: »Ja, man kriegt es schon mit Job und Familie gut unter einen Hut« und »Sophia, du bist nicht die Erste, die das gemacht hat«. Selbst meine Fraktionsvorsitzende hat fünf Kinder, befindet sich in ihrer Ausbildung zur Fachärztin und hat das geschafft.

Wie war Ihre Zeit im Stadtrat?

Für mich war ganz klar: Ich will sehr gute fachliche Arbeit machen. Daher brauche ich viel Zeit für die Vor- und die Nacharbeit, aber ich will natürlich auch Mutter sein. Gleichzeitig sind die Jahre zwischen 25 und 35 auch ein ganz wichtiger Zeitraum im Beruf, in dem sich entscheidet, welche Weichen man stellt. Ist man nur Sachbearbeiterin oder kommt man in Positionen, in denen man Verantwortung für Themen übernehmen kann? Das war mir beruflich ganz wichtig, denn in der Politik brauchen wir auch Fachleute.

Was ist dann passiert?

Es wurde zu viel. Mein Mann ist Musiklehrer und Musiker. Am Anfang der Pandemie hat er mir sehr gut den Rücken freihalten können, weil er auch musikalisch nicht viel unterwegs sein konnte. Aber inzwischen finden wieder Musikunterricht und Konzerte statt, und da wird seine Kapazität für Care-Arbeit zu Hause auch weniger.

Gab es im Stadtrat Verständnis für die Entscheidung, Ihr Mandat nach drei Jahren niederzulegen?

Es gab ganz viel Verständnis. Viele haben schon mal überlegt, ihr Mandat niederzulegen. Ich bin jetzt schon die zweite Mutter in dieser Wahlperiode, die ihr Mandat niederlegt. Der Stadtrat kannte diesen Fall schon, dass eine junge Frau aus der Privatwirtschaft sich aufgrund der Familie aus der Politik zurückzieht. Da musste ich nicht so viel erklären. Meine Fraktionskolleg*innen wollten mich erst mal davon abhalten, weil ich die Jüngste in der Fraktion bin und die Einzige, die in der Privatwirtschaft arbeitet. Viele im Stadtrat arbeiten in politischen Institutionen, und da fehlt einfach der Blick aus der Wirtschaft. Da habe ich dann eine Lücke hinterlassen, die nicht eins zu eins gefüllt werden kann.

Was machen Sie denn beruflich?

Ich arbeite bei der Europäischen Energiebörse und bin da in der Strategieabteilung unter anderem für die Umweltmärkte mit Wasserstoff und CO2 zuständig.

Sie arbeiten also, engagieren sich ehrenamtlich und kümmern sich gleichzeitig noch um Ihre Familie. Wie haben Sie denn da bisher Ihre Woche eingeteilt?

Vor der Pandemie habe ich noch Vollzeit gearbeitet. Ich habe dann irgendwann auf 80 Prozent reduziert, weil es einfach nicht mehr ging. Diese fehlenden 20 Prozent hat die Aufwandsentschädigung aus dem Stadtrat ausgeglichen, weshalb ich dann weiterhin bei einem vollen Gehalt war. Das ist für meine Familie auch notwendig gewesen, weil ich die Hauptverdienerin bin. Tagsüber habe ich meistens bei der Energiebörse gearbeitet. Dann bin ich rüber ins Rathaus zu den Ausschusssitzungen gehüpft, die um 17 Uhr losgingen und oft bis acht oder neun dauerten.

Wie oft gibt es denn im Stadtrat Sitzungen?

Normale Ausschusssitzungen sind alle zwei Wochen und dann in der Regel an zwei Tagen in der Woche. Für die Ratsversammlungen musste ich extra Urlaub nehmen. Das sind ganze Tage mit acht Stunden. Zusätzlich muss man seine Reden noch vorbereiten. Oft habe ich die Kinder ins Bett gebracht, meinen Laptop aufgeklappt und dann noch mal zwei Stunden gearbeitet: Mails beantworten, Ausschussunterlagen lesen und so weiter. Am Wochenende geht es natürlich weiter. Da sind dann Bürgerveranstaltungen, oder es wird eine Schule eingeweiht, wo man als Stadtteilbeauftragte mit dabei ist. Da habe ich meistens die Kinder mitgenommen, um ihnen zu zeigen, was gesellschaftlich passiert und wo ich aktiv bin.

Kam dabei irgendwann etwas zu kurz?

Auf jeden Fall! Freizeit habe ich gar keine: Ich mache keinen Sport, war seit zweieinhalb Jahren in keiner Kultureinrichtung mehr. Freundschaften laufen bei mir sehr viel schriftlich ab, über Messenger-Dienste. Und einen gemeinsamen Ausgehabend hatten mein Mann und ich auch seit zwei Jahren nicht mehr.

Haben Sie diese Probleme im Stadtrat angesprochen?

Ich habe im Stadtrat einen Antrag für Familienfreundlichkeit auf den Weg gebracht, mit konkreten Verbesserungsvorschlägen und Forderungen. Da hat sich aber seit mindestens einem halben Jahr nichts getan. Zudem habe ich das persönliche Gespräch mit dem Oberbürgermeister gesucht. Aber er hat da nicht wirklich drauf reagiert, nur mitleidig geguckt, als ich ihm gesagt habe, dass die Aufwandsentschädigung vom Elterngeld abgezogen wird. Als Mutter ist es wirklich schwierig im Stadtrat, sich auch finanziell abzusichern. Der Bürgermeister hat das zwar zur Kenntnis genommen und fand es auch nicht in Ordnung, aber gefolgt ist daraus nichts. Dabei ist es doch kein Zustand, dass wir Mütter immer weiter auf dem Zahnfleisch gehen. Im Ehrenamt entsteht eine Ungerechtigkeit dadurch, dass Menschen, die keine Care-Arbeit leisten, ganz anders agieren können. Schon allein, weil sie nicht zu einer bestimmten Zeit zu Hause sein müssen.

Wie haben Sie diese Ungerechtigkeit erlebt?

Dienstagnachmittags musste ich in meinen Wirtschaftsausschuss. Mein Mann arbeitet da in der Musikschule. Dann brauche ich für die zwei oder drei Stunden einen Babysitter. Das sind, wenn man nach Mindestlohn bezahlt und die Hin- und Rückfahrt mit einberechnet, auch gleich mal 50 Euro. Und das ist genau der Betrag, den ich als Sitzungsgeld bekomme. Das heißt: Am Ende leiste ich die Stadtratsarbeit umsonst.

Würden Sie sagen, Frauen sind strukturell in der Kommunalpolitik benachteiligt?

Auf jeden Fall. In Deutschland sind nur zehn Prozent unserer Bürgermeisterämter von Frauen besetzt. Wenn man sich Sachsen anguckt, fällt die niedrige Quote von Frauen bei Landräten oder Bürgermeistern auf. Und auch in Leipzig haben wir nur ein Drittel Frauen im Kommunalparlament.

Merkt man das auch bei der Arbeit?

Ja. Du brauchst eine echt dicke Haut im Stadtrat. Ich kann mich noch an meine erste Sitzung erinnern: So eine Atmosphäre habe ich auf der Arbeit noch nie erlebt. Es war sofort Gegenwind da. Sobald man etwas gesagt hatte, wurde das von der anderen Partei kritisiert. Das Miteinander fehlt einfach. Ich würde jetzt Frauen nicht mehr Emotionalität zuschreiben, aber ich glaube, Männer sind einfach öfters in Situationen, wo sie hart sein müssen – die lassen das dann einfach an sich abperlen.

Können Sie sich noch an weitere Vorfälle erinnern?

Frauen werden bei ihrer Arbeit oftmals diskreditiert. »Sophia Kraft ist hysterisch«, hat eine Leipziger Zeitung mal geschrieben, als ich im Stadtrat über die Ernsthaftigkeit der Klimakrise gesprochen habe. Ich glaube, dass solche Adjektive schneller bei Frauen ausgepackt werden als bei Männern. Auch wird dir die Kompetenz schneller abgesprochen. Und dann musst du eben noch mehr Zeit investieren, um gute Argumente zu finden oder an deinem Auftreten zu arbeiten. Das geht wiederum alles von der Familienzeit ab.

Was müsste sich konkret ändern?

Die Sitzungszeiten müssten begrenzt werden, sodass es mehr Planbarkeit gibt. Außerdem müsste es eine Erstattung der Betreuungskosten geben. Genauso wie Rückzugsräume im Rathaus für die Betreuung von Babys und Kleinkindern.

Wie fühlen Sie sich, nachdem Sie Ihr Amt niedergelegt haben?

Ich fühle mich auf jeden Fall befreiter. Tatsächlich ist es aber so, dass ich auch heute noch einige Stadtratstermine habe. Jetzt geht es erst mal darum, die Themen zu übergeben. Aber zukünftig werde ich weiterhin als Beraterin für die Fraktion tätig sein. Ich bin noch stark eingebunden, weil so ein Ehrenamt auch eine Berufung ist. Es erfüllt mich, und es ist eben auch ein Teil von mir. Das kann ich nicht einfach so in die Schublade legen. Dementsprechend schwer fiel mir die Entscheidung, das Amt niederzulegen. Unglaublich schwer.

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