Die wichtigere Debatte

Der Druck für die Energiewende muss mindestens so sehr steigen wie die Gaspreise, meint Clara S. Thompson

  • Clara S. Thompson
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine Sache ist gewiss: Dieser Winter wird durch das Ende des 9-Euro-Tickets, die Inflation, steigende Lebensmittel- und Energiepreise und die Folgen der Gas-Umlage hart – vor allem für diejenigen mit unterem und mittlerem Einkommen. Wir müssen nun alles tun, um dagegen zu steuern, dass Menschen am Ende des Winters eine Gas-Schockrechnung bekommen, die ihre Existenz gefährdet. Die geplante Mehrwertsteuersenkung, die am Donnerstag von Bundeskanzler Olaf Scholz verkündet wurde, ist ein erster Schritt – auch wenn gezielte Entlastungen von einkommensschwachen Haushalten noch effektiver gewesen wären.

Aber die Debatte nach der genauen Finanzierung der Entlastungen für die steigenden Gaspreise ist nicht diejenige, die wir jetzt auf Biegen und Brechen führen sollten. Sie ist notwendig, ja. Aber sie darf nicht als Vorwand dafür dienen zu vergessen, dass – selbst wenn die Auswirkungen der Preiserhöhungen für die einkommensschwächeren Familien durch die Politik angemessen abgefedert werden – dies immer noch bedeutet, dass das Land auf Gas angewiesen ist, das extrem umweltschädlich ist. Der Schock wegen der Gas-Umlage und die steigenden Gaspreise – das alles lenkt vom eigentlichen Problem ab, mit dem wir uns bereits jetzt vorbeugend befassen sollten, um nicht noch so einen Winter zu erleben: die blockierte Energiewende, die uns überhaupt erst in diese missliche Lage gebracht hat.

Denn wenn wir, sagen wir, bis Ende 2023 doppelt so viele Windkraftanlagen und Solarparks wie jetzt hätten, wären wir deutlich weniger abhängig von hohen Gaspreisen auf dem Spotmarkt, die wir nun bezahlen müssen, da wir die langfristigen Verträge mit Russland verloren haben. Das ist ein Problem, das wir ohne fossile Abhängigkeit nicht mehr hätten. Nebenbei hätten wir eine tolle Antwort auf die austrocknenden Flüsse, auf Ernteausfälle, kurz: auf die Klimakrise gefunden. Die Gaskrise ist langfristig lösbar, sie muss nur richtig angegangen werden. Und dazu müssen wir das „Weiter so» ein für allemal beenden.

Jetzt gibt es die Chance, diese Krise zu nutzen, um die Energiewende zu vollbringen. Die Wirtschaft zieht mit – gerade ist es für Energiekonzerne wirtschaftlich extrem attraktiv, einen Großteil des Energiemixes aus Erneuerbaren zu beziehen. Beispielsweise machte der Energiekonzern RWE im Gegensatz zu dem Gashändler Uniper im letzten halben Jahr Milliardengewinne. Während Uniper bisher vor allem auf russisches Gas gesetzt hat, konnte RWE große Gewinne im Bereich der Kohle und der Erneuerbaren Energien verzeichnen.

Aber: Wie absurd ist es eigentlich, dass Konzerne wie RWE und Shell gerade riesige Profite machen dürfen, während viele Menschen darüber nachdenken, wie sie überhaupt durch den Winter kommen? Aufgrund der Preisgestaltung am deutschen Strommarkt, bei der alle Kraftwerksbetreiber immer den höchsten Preis erhalten, der für Strombeschaffung in einem bestimmten Zeitintervall bezahlt wird (unabhängig davon, wie günstig sie eigentlich ihren Strom anbieten würden), macht RWE Übergewinne. Dagegen knabbert der Gashändler Uniper an der Insolvenz, weshalb die Konsument*innen nun für Unipers Verluste in Form der Gas-Umlage aufkommen sollen. Es ist die gleiche Krise, von der die einen sehr profitieren und die anderen so zu schaffen macht. Hier muss es als vernünftig gelten, eine Umverteilung zu vollziehen zwischen Übergewinnen und Menschen, die unter hohen Gaspreisen leiden (werden). Sie setzt das richtige Zeichen, dass Verluste nicht immer kollektiviert und Gewinne privatisiert werden, sondern dass auch (Über-)Gewinne in Notzeiten umverteilt werden können.

Es wird ein Krisenwinter werden, aber wir können kurzfristig mit den richtigen Entlastungen durchkommen. Unabhängig davon, wie wir die teuren Gaspreise im Detail finanzieren, ist es aber langfristig vor allem wichtig, alternative, klimafreundliche Energiequellen für den nächsten Winter zu erschließen – und zwar nicht solche, die darauf beruhen, dass wir umweltschädliches Fracking in den USA unterstützen. Anstatt Debatten über die kleinteilige Finanzierung des teuren Gaspreises zu führen, sollten wir darüber reden, wo wir den nächsten Windpark bauen. Hierfür muss der Druck aus Politik und Bevölkerung noch extrem steigen. Mindestens so sehr wie die Gaspreise.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal