»Wir haben ja aktuell Kapitalismus«

Gibt es noch etwas anderes jenseits der Ekelhaftigkeit dieser Welt? Ein Gespräch mit dem Musiker. Performer und Künstler Friedrich Liechtenstein

  • Jakob Buhre
  • Lesedauer: 8 Min.
Popkultur: »Wir haben ja aktuell Kapitalismus«

Herr Liechtenstein, Sie haben öfters in Interviews und auch in Ihrer Autobiografie von frühen Auftritten berichtet, bei denen sich das Publikum aus Unverständnis abwandte oder den Saal verließ. Waren das schmerzhafte Erfahrungen?

Interview

Friedrich Liechtenstein ist Künstler, Sänger, Schauspieler und Performer. Geboren 1956 in Stalinstadt, dem heutigen Eisenhüttenstadt, war er lange in der Berliner Off-Kultur unterwegs, bis er Mitte der Zehnerjahre als Werbeikone für eine große Supermarktkette bekannt wurde. Seit rund 20 Jahren macht er Popmusik. Gerade ist sein neues Album »Good « herausgekommen, die Weiterentwicklung seines Albums »Bad Gastein« von 2014.

Die Erfahrung des Scheiterns auf der Bühne hat man ja – wenn man Schauspieler werden will – vom ersten Tag an. Ich war aber immer relativ selbstbewusst und habe das vermeintliche Scheitern gerne in Lust umgewandelt – und fand es am Ende toll. Manchmal war es so, dass es für die erste Reihe im Saal ein großes Missverständnis war, ich aber vom Rest des Publikums eine große Liebe und Zuwendung spürte. Und wenn am Anfang ein paar Leute sagen: »Was will der Idiot von uns?«, dann finde ich das gar nicht so schlecht.

Das Unverständnis der Leute hat Sie also nie gekränkt…

Nein. Gekränkt hat mich auf dem langen Weg nur, dass ich damals kaum Geld dafür gekriegt habe, obwohl ich wirklich viel unterwegs war, ob an der Volksbühne, an der Oper in Bordeaux, bei Sasha Waltz, in Berliner Clubs oder im Fernsehen. Viele Leute sagten zu mir, »uns gefällt, was du machst« – aber es gab nie Geld.

(Ein Passant erkennt Friedrich Liechtenstein am Café-Tisch, begrüßt ihn mit »Hallo Holger« …)

Das war ein Freund, der mich noch von ganz früher kannte, als ich noch Hans-Holger war.

Gibt es diesen Hans-Holger Friedrich nicht mehr?

Nein, der existiert nicht mehr. Wenn ich einen Flug buche, steht auf dem Ticket Friedrich Liechtenstein. So heiße ich auch in meinem Ausweis.

Und doch sprechen Sie über Friedrich Liechtenstein manchmal in der dritten Person…

Ja, ich kann auch über ihn reden, das geht schon. Es ist eben oft so, dass ich einerseits ganz bei mir bin – und gleichzeitig neben mir stehe. Das habe ich als Puppenspieler gelernt, da musst du auch ganz tief in der Figur und in ihrem Charakter stecken, obwohl du neben ihr stehst.

Ist die Kunstfigur mit Ihnen verwachsen?

Ja, das machen doch viele Künstler so. Man kommt in eine Lebenskrise – die bei mir richtig krass war – und dann macht man einen neuen Entwurf. Das wurde Friedrich Liechtenstein, Popsänger mit Anzug, Gogo-Girls, ist gut drauf – ein cooler, glamouröser Typ. Der bin ich jetzt, das ist heute mein Lifestyle. Und die Figur wird immer wieder mit Anekdoten aus meinem Alltag angereichert, von Reisen, Shows usw. Außerdem bin ich jetzt Testimonial – und das liebe ich. Ich wollte schon immer mit Werbung zu tun haben. Weil ich verstanden habe: Im Kapitalismus gibt es keinen anderen Ort, wo so viel Energie zu finden ist wie in der Werbung.

Ihre Texte, schreiben Sie die alle selbst, oder arbeiten Sie dafür mit anderen Autoren zusammen?

Nur die eine Nummer, die alle kennen, stammt nicht aus meiner Feder. Ansonsten schreibe ich alles selbst.

Das Albumcover von »Good Gastein« zeigt Sie an einer Meeresküste. Geht es nicht mehr um den Erholungsort Bad Gastein, wie auf Ihrem Album von 2014?

Der Titel lautet jetzt »Good Gastein«, weil aus Bad Gastein »bad Gastein« geworden ist. In meiner eskapistischen Vorstellung entfliehe ich von einem goldenen Schloss in den Alpen und fahre runter nach Duino an die Adria. Ich habe Bad Gastein hinter mir gelassen und empfehle dem Ort, unvernünftig zu sein. »Unvernünftige Städtchen sind schön. Wenn du willst, dass wir uns wiedersehen, musst du unvernünftig sein«.

Sie machen Schluss mit Bad Gastein?

Ich war einst verliebt in den Ort. Nicht wegen des Après-Ski, sondern weil es eine Ruine war. Wir Berliner wissen: Nirgendwo ist so viel Hoffnung, wie in Ruinen und Leerstand. Berlin-Mitte, wo wir gerade sitzen, das war alles eine Ruine, so etwas fasziniert mich. Wenn dann die Gentrifizierung voranschreitet und irgendwann nur noch die faulen Leute mit Geld kommen, wird es uninteressant.

Sie erwähnten vorhin »die eine Nummer, die alle kennen«. Haben Sie die eigentlich mal live aufgeführt, bei einem Auftritt?

Nein, um Gottes Willen. Das würde sich für mich schmutzig anfühlen. Ich befürchte, da würde ein Tsunami aus Royal Doofness über mich hereinbrechen. Und von anderen würde ich vermutlich tiefe Verachtung dafür ernten.

Was wäre denn »schmutzig«, die Reaktion des Publikums?

Das ganze Event! Im Mainstream so einen »big splash« hinlegen zu wollen, fühlt sich für mich nicht gut an, das ist dirty. Klar, ich hätte mir ein kariertes Sakko kaufen und jeden Abend diesen bekloppten Song performen können. Aber dann wäre ich jetzt entweder tot oder in einer Irrenanstalt. Der Song war nicht von mir und ist auch ganz weit weg von dem, was ich sonst mache. Ich habe den lediglich als trojanisches Pferd genutzt, aus dem ich rechtzeitig herausgekrochen bin, bevor diese ganze Mainstream-Welt auf mich einstürzt.

Andererseits sagen Sie, dass Sie es lieben, Testimonial zu sein.

Auf jeden Fall! Für mich ist das kein Widerspruch. Ich hatte schon vorher in der Werbung zu tun, arbeite für HD+, Tele 5, Ahoi Brause, Cisco … – das mache ich alles gerne.

Manch anderer Künstler empfindet so etwas als Ausverkauf. Sie nicht?

Nein. Das ist ein Geben und Nehmen. Ich bin in dieser Welt total behütet und beschützt. Ich finde es viel schlimmer, wenn sich Menschen mit Musik prostituieren. Wenn man anfängt, seine Persönlichkeit als Künstler in der Musikindustrie zu verkaufen und sich zu verbiegen. Wenn Künstler Songs singen von irgendwelchen anderen Leuten, die dann am Ende viel mehr Geld damit verdienen – so etwas finde ich ekelhaft.

Wer prostituiert sich denn Ihrer Meinung nach?

Wir haben ja aktuell Kapitalismus. Deswegen gibt es bestimmte Gesetze, wie Mehrwert entsteht, und wenn ein Geschäft finanziell erfolgreich ist, dann wird das nächste auch so gemacht. Wenn in dieses System Musik reingepresst wird, ist das traurig, denn eigentlich ist Musik eine Herzensangelegenheit. Wenn Produzenten irgendwelche Kacksongs schreiben, die alle gleich klingen, dann in ihrem Stübchen sitzen und Gema kassieren, während die unglücklichen Interpreten von einem Dorfbums zum nächsten gescheucht werden – das finde ich tatsächlich unappetitlich. Die Musikindustrie kann sehr grausam sein. Die haben nicht nur Elvis Presley und Falco auf dem Gewissen, sondern auch noch ganz andere tolle Leute.

Das Foto vom »Good Gastein«-Cover hatten Sie vor einer Weile schon auf Instagram gepostet. Jetzt wurde noch etwas hineinretuschiert …

Eine Friedenstaube, richtig. Das Album ist ja zuerst in der Coronazeit entstanden und dann kam dieser Krieg. Wir hatten wirklich schlimme Zeiten und von dieser harten Melancholie ist auch etwas auf dem Album hängen geblieben. Das Foto ist in Syrakus entstanden, wo wir an vielen Häusern Fotos von Corona-Verstorbenen gesehen haben. Dann mussten wir dort in Quarantäne, durften das Haus nicht verlassen, eine hochmelancholische Zeit. Das Cover-Foto ist wie eine Flucht, ein Aufatmen: Good Gastein, das Meer, Frieden.

Wird die retuschierte Friedenstaube Ihr einziges Statement zum Ukraine-Krieg bleiben?

Ich finde, das ist ein besseres Statement, als zu sagen »wir besorgen jetzt ein paar Raketen, weil Aufrüstung das Einzige ist, was wir für den Frieden tun können«. Es ist auch nicht nur die Taube, sondern es gibt auf dem Album auch den Text »Verachtendste Abrechnung« von Arno Holz. Der endet mit der Zeile »Pfui, mein Hammer singt, dein feiges, feiles, fades, faul, verjauchtes, leeres Hirn bleibt unzerschmettert.« Das ist ein sehr krasser Text, »die Erde dröhnt, auf schäumenden, wiehernden, preschenden Hengsten«, es geht um Kriegstreiberei, Rache und Zerstörung – und dann bleibt die Bestie am Ende unzerschmettert. So ein Stück sehe ich als eine Möglichkeit, auf den Krieg zu reagieren. Mehr kann ich nicht beisteuern.

Sie bleiben lieber metaphorisch...

Ja, weil ich Künstler bin. Ich denke übrigens, dass – anders als es in der Coronazeit postuliert wurde – die Künstler jetzt in Kriegszeiten sehr systemrelevant sind. Weil von dort die Impulse für einen Frieden kommen. Man braucht ja eine Vision, was Frieden überhaupt ist und wie wir in Zukunft leben wollen. Wir Künstler sind dafür verantwortlich, sich einen Frieden vorzustellen. Wie gehen wir mit den Dingen um, die unser Leben lebenswert machen? Wollen wir uns mit Zerstören, Töten und Betrug aufhalten, oder gibt es da noch etwas anderes jenseits der Ekelhaftigkeit dieser Welt? – An der Stelle bin ich schon immer Eskapist und erfinde gerne Dinge, die das Leben lebenswert machen. Damit man überhaupt noch weiß, worum es am Ende geht auf diesem Planeten.

Friedrich Liechtenstein & The Octagon Pavillon: »Good Gastein« (Motor Entertainment/Edel)

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