Auch der Westen wird elektrisiert

Erster von 90 neuen Elektrobussen bei der BVG eingetroffen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 6 Min.

»Wir haben den Bus ohne Nachladung aus unserem Werk in Holland hierhergefahren«, sagt Peter Bijvelds stolz. Er ist Chef der Herstellerfirma Ebusco. Vom niederländischen Deurne bis zum Betriebshof Indira-Gandhi-Straße der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) in Alt-Hohenschönhausen sind es immerhin 637 Kilometer. »Der Akku hätte noch für weitere 100 Kilometer gereicht«, sagt Bijvelds zu »nd«.

Der neue Bus ist zwölf Meter lang und hat Platz für 70 Fahrgäste. So viele Kilometer wie bei der Anlieferung in die Hauptstadt soll er nicht täglich herunterspulen, aber der Hersteller sichert eine Fahrtstrecke von mindestens 290 Kilometern pro Akkuladung zu – ob die Sonne brennt oder im Winter eisige Temperaturen herrschen. Das ist doppelt so viel, wie die derzeit 120 im Einsatz befindlichen sogenannten Depotlader schaffen, ebenfalls zwölf Meter lange Stadtbusse, die in den letzten Jahren nach Berlin kamen. 116 lieferte der polnische Hersteller Solaris, 15 Stück Mercedes. Nicht nur bei Autos setzte die deutsche Industrie sehr spät auf Elektroantriebe.

Die Depotlader werden per Stecker hauptsächlich nachts aufgeladen. Das dauert einige Stunden. Mit den bisherigen 150 Kilometern Reichweite pro Ladung können ohne betriebliche Einschränkungen bei der BVG vor allem Verstärkerkurse zu den Hauptverkehrszeiten bestückt werden, denn Busse legen in Berlin teilweise pro Einsatz bis zu 500 Kilometer und mehr pro Tag zurück. Für den Einsatz auf regulären Linien wie dem bei Touristen beliebten 300er zwischen Warschauer Straße und Potsdamer Platz müssen die Fahrzeuge nach der Hälfte der Betriebszeit getauscht werden. Man benötigt also mehr Fahrer und Busse.

»Die Technik entwickelt sich rasant, die Reichweiten steigen«, sagt Berlins Mobilitäts-Staatssekretärin Meike Niedbal (parteilos, für Grüne) erfreut bei der Vorstellung des neuen Busses auf dem BVG-Betriebshof am Freitag. Bis Jahresende sollen 89 weitere folgen. »Es war viel Extraarbeit wegen Lieferkettenproblemen in der Pandemie, aber es klappt«, sagt Ebusco-Chef Peter Bijvelds zu »nd«. Erstmals in den Fahrgasteinsatz kommen soll das neue Exemplar Mitte September auf der Linie 300. Dann soll er, wie ein Dieselbus, das Tagespensum ganz ohne Nachladung absolvieren können. Die hohe Laufleistung resultiert nicht nur aus einer größeren Batterie, sondern auch aus einer optimierten Steuerung, bei der 40 Prozent weniger Strom pro Kilometer durch die Rückgewinnung der beim Bremsen anfallenden Energie verbraucht werden.

»Es ist auch wichtig, dass wir in Europa Kapazitäten, die Kompetenz, das Know-how haben, solche Technik in Zukunft auch mit möglichst vielen Komponenten hier in Europa, Deutschland oder im Großraum Berlin zu fertigen, zu warten und die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen«, sagt Stefan Wenzel. Der Grünen-Politiker ist Parlamentarischer Staatssekreatär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. »Das wird immer wichtiger, weil wir in den letzten Wochen und Monaten auch gesehen haben, dass es wichtig ist, dass wir Zukunftstechnologien auch im eigenen Land beherrschen und auch die entsprechenden Zugänge zu Rohstoffen haben«, so Wenzel weiter.

Im Falle des Ebusco 2.2 ist das allerdings nur die halbe Wahrheit. Zwar kommen viele Komponenten von europäischen Herstellern, die Eisen-Phosphat-Batterien stammen aber aus China, dort wird auch im Werk eines australischen Unternehmens die Karosserie montiert, nur die Endmontage findet im niederländischen Deurne statt. Drei Viertel der Komponenten stammten aus Europa und auch die Hälfte der Arbeitszeit werde dort in die Fertigung investiert, unterstreicht Unternehmenschef Bijvelds.

Anders sieht es beim Nachfolgemodell Ebusco 3.0 aus, das komplett in den Niederlanden gefertigt wird. Die tragende Konstruktion ist nicht mehr aus Stahl, sondern aus Verbundwerkstoffen auf Glasfaserbasis, für die Verkleidung werden Carbonfasermaterialien verwendet, mit durchschlagendem Ergebnis beim Gewicht: Statt knapp 13,6 Tonnen wie beim Modell 2.2 bringt der Zwölf-Meter-Bus nur noch etwa 9,5 Tonnen leer auf die Waage. Das reduziert nicht nur den Energieverbrauch deutlich, der Hersteller verspricht auch eine Lebensdauer der Karosserie von 25 Jahren – deutlich mehr als bei Metallkonstruktionen, die irgendwann rosten oder ermüden. Bereits 1988 stellte der deutsche Hersteller Neoplan einen Stadtbus aus Carbonfasern vor, der bei der BVG fuhr. Allerdings stellte man nicht nur in Berlin schnell fest, dass die Reparatur von Unfallschäden kaum möglich war. Inzwischen soll das einfach möglich sein. »Sie können die beschädigte Stelle ausschneiden und ein passgenaues Ersatzteil wieder mit dem Rest der Karosserie verschweißen«, verspricht Bijvelds für das neue Flaggschiff des Unternehmens.

Doch bereits das Modell 2.2 glänzt mit einem niedrigen Energieverbrauch. 0,9 Kilowattstunden pro Kilometer beträgt er nach Angaben von Ebusco im Stadtverkehr. Das entspricht einem Dieselverbrauch von rund neun Litern pro 100 Kilometer. Verbrennerbusse benötigen aktuell mehr als das Fünffache. »Elektromobilität ist nicht nur der Weg zu Klimaneutralität, sondern auch zu Effizienz«, streicht Klimaschutz-Staatssekretär Stefan Wenzel heraus.

Mit den zusätzlichen 90 Bussen soll die E-Flotte auch erstmals auf Betriebshöfen im Westteil Berlins stationiert werden. Je 30 neue Ladestellen sind in Britz und an der Cicerostraße in Wilmersdorf im Aufbau. Wegen pandemie- und kriegsbedingten Lieferproblemen zieht sich die Fertigstellung allerdings länger hin als geplant. Sobald die technischen Voraussetzungen gegeben sind, werden aber nicht die neuesten Exemplare, sondern die bereits eingefahrenen Busse aus älteren Lieferungen dorthin umziehen. Einerseits, weil Kinderkrankheiten, die sich erst im Einsatz zeigen, bereits behoben sind. Ansonsten müssten die Busse zum Feintuning wieder zur Indira-Gandhi-Straße gefahren werden. Andererseits gibt es im Westteil viel mehr Einsatzmöglichkeiten als Berufsverkehrs-Verstärker für die Fahrzeuge mit nur 150 Kilometern Reichweite.

»Wir freuen uns, dass wir es mit unserer Förderung schaffen, unsere Stadt- und Linienbusse konsequent in die Klimaneutralität zu führen«, sagt Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) bei dem Termin. Ziel sei es, bis 2030 die Hälfte der 82 000 in Deutschland verkehrenden Stadt- und Linienbusse klimaneutral zu betreiben. Berlin ist da deutlich ambitionierter. Bis Ende 2030 sollen alle dann voraussichtlich 1700 Busse der BVG elektrisch fahren. Derzeit betreibt das Landesunternehmen rund 1400 Busse, davon werden 228 Stück Ende 2022 einen Elektroantrieb haben.

»Ende diesen Jahres, Anfang kommenden Jahres wird die nächste Ausschreibung herausgehen«, kündigt BVG-Betriebsvorstand Rolf Erfurt an. Dank bereits erfolgter Zusage von Fördermitteln von Bund und Land sollen in Abhängigkeit vom sich ergebenden Preis 320 bis 350 neue Elektrobusse bis 2025 den Betrieb aufnehmen. »Das werden alles Gelenkbusse sein«, sagt BVG-Buschef Torsten Mareck zu »nd«. Derzeit verfügt die BVG über gerade mal 17 elektrische Gelenkbusse, die 18 Meter lang sind. Es sind sogenannte Endstellenlader, die hauptsächlich auf der Linie 200 zwischen Zoo, Alexanderplatz und Michelangelostraße in Prenzlauer Berg fahren. Sie haben verhältnismäßig kleine Akkus, die an den Endstationen über einen Stromabnehmer auf dem Dach nachgeladen werden. Vollgeladen kommen sie rund 60 Kilometer weit.

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