Werbung für den Widerstand

Eine Adbusting-Aktion stellt die Bundeswehr-Kampagne auf den Kopf

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 4 Min.
Kriegsgeräte sabotieren: Plakat der Berliner Adbusting-Gruppe
Kriegsgeräte sabotieren: Plakat der Berliner Adbusting-Gruppe

Kurz blickt sich Toni um, dann steckt er den Sechskantschlüssel in das Schlüsselloch, das sich am unteren Rand des Schaukastens versteckt. Ein geübter Griff und die Glasscheibe lässt sich nach oben klappen. Toni rollt das Coca-Cola-Plakat auf, das die Bushaltestelle am Savignyplatz ziert. Lino reicht ihm das neue Poster. Ankleben, Klappe zu, fertig. In eineinhalb Minuten ist eine Werbung durch eine politische Botschaft ersetzt.

Das, was Toni und Lino am frühen Donnerstagmorgen in Charlottenburg machen, nennt sich Adbusting. »Ad« steht dabei für »advertisement«, also Werbung, und »busting« für »hochgehen lassen«. Außenwerbung wird verändert, ersetzt oder imitiert – sei es durch Umbeschriftung und Bemalung von Plakaten oder durch komplett neu designte Werke, die sich an »echten« Kampagnen orientieren. Bei den Postern, die Toni und Lino für ihre Aktion »bundesleer« anbringen, handelt es sich um auf den Kopf gestellte Werbung der Bundeswehr. Das Militär wirbt mit Gesichtern echter Soldat*innen und knackigen Sprüchen, die den Dienst an der Waffe attraktiv machen sollen. Jetzt prangen dort durch angepasste Slogans, Sprechblasen und aufgemalte Details zwar dieselben Menschen, aber mit neuen Aufgaben, die in den Augen der Aktivist*innen sinnvoller sind als der Militärdienst.

Toni liegt dieses Thema gerade in Zeiten von Aufrüstung und Militarisierung am Herzen: »Man muss zeigen, dass es nicht die Lösung ist, in Waffen und Kriegsmaschinen zu investieren. Stattdessen kreieren wir ein Gegennarrativ und zeigen Menschen, die sich für eine gute Welt einsetzen.« Aus dem Waffenleitmeister Sebastian H. ist so beispielsweise ein*e Seenotretter*in geworfen, statt des ursprünglichen Slogans »Für sichere Versorgungswege« steht da nun »Für sichere Fluchtwege«, ein Anker-Abzeichen macht den Look perfekt. Dadurch will die Adbusting-Gruppe auf die menschenverachtende Rolle der Bundeswehr aufmerksam machen. »Soldat*innen sollen gewährleisten, dass Produkte aus dem globalen Süden in Deutschland ankommen«, sagt Toni und deutet auf eine abgebildete Ananas im Hintergrund, »und währenddessen sterben Menschen im Mittelmeer«. Der fiktive Sebastian hat sich deshalb entschieden, die Uniform an den Nagel zu hängen und Menschenleben zu retten.

Nicht nur auf die Verwicklung in nationale Wirtschaftsinteressen, auch auf reaktionäre Ideologien, die die Bundeswehr vertritt, sollen die veränderten Plakate hinweisen. Die Materialdisponentin Jennifer E. ist auf der ursprünglichen Version in Uniform vor einem Einfamilienhaus abgelichtet, ein Kind rennt in ihre Arme. Dazu der Slogan: »Für meine Großen und unser kleines Zuhause«. »Das ist so sexistisch«, sagt Lino. Natürlich sei es eine Frau, die in der Bundeswehr-Kampagne auf ihr Muttersein reduziert werde und nur aus Liebe zu ihren Kindern für Deutschland kämpfe. »Und das ist ein total völkisch-bürgerliches Bild, das suggeriert, dass man im Privaten Freude findet und dafür das Land verteidigen muss«, ergänzt Toni. In der utopischen Alternativwelt sagt Jennifer mit breitem Lachen: »Ich habe gekündigt.« Das Kind ruft: »Endlich!« Lieber sabotiert Jennifer nun als Antimilitarist*in Kriegsgerät und setzt sich so für einen Frieden nicht nur im Neubaugebiet, sondern weltweit ein.

Toni, Lino und ihre Mitstreiter*innen hoffen, mit den veränderten Plakaten Menschen zum Nachdenken zu bringen. »Was die 100 Milliarden für Deutschlands Verteidigung und Aufrüstung betrifft, gab es zu wenig Gegenöffentlichkeit«, denkt Toni. Gerade weil sich die Aktion der omnipräsenten Werbetafeln bediene, könnten linke Botschaften so potenziell ein breites Publikum erreichen, ergänzt Lino. Trotzdem sei auch die Verbreitung in sozialen Medien wichtig. Denn nach spätestens einer Woche, wenn die Inhalte der Schaukästen regulär ausgetauscht werden, verschwinden auch die aufwendig dekorierten Plakate.

Manchmal verschwinden sie auch früher. Gerade bei Adbusting-Aktionen, die Polizei oder Bundeswehr betreffen, betreiben die angesprochenen Behörden zum Teil einen erheblichen Fahndungsaufwand. Im Mai dieses Jahres ließ die Berliner Polizei polizeikritische Poster nach eigenen Angaben »schnellstmöglich entfernen«. In der Vergangenheit folgten oftmals aufwendige Ermittlungen: 2018 landete eine Satire-Plakatierung gegen den Polizeikongress im Bericht des Bundesverfassungsschutzes, 2019 führte die Verfolgung gar zu Hausdurchsuchungen in Berlin. Wenn Plakate die Bundeswehr betrafen, beschäftigte sich in 13 Fällen der militärische Abschirmdienst damit. Doch die Kriminalisierungsversuche laufen ins Leere. Mal wird wegen Verletzung des Kunsturheberrechts ermittelt, wenn etwa ein Logo imitiert wird. Doch hier wiegt die Meinungs- und Kunstfreiheit verfassungsrechtlich deutlich mehr. Auch der Tatvorwurf Verleumdung lässt sich nur schwer belegen. Nach Einschätzung von Mohamad El-Ghazi, Professor für Strafrecht an der Universität Trier, handelt es sich bei einer kritischen Haltung Behörden gegenüber um eine Meinung, nicht um eine »ehrenrührige Tatsachenbehauptung«. Verschiedene Versuche von Staatsanwaltschaften, Adbusting als schweren Diebstahl oder Sachbeschädigung zu bestrafen, scheiterten vor Gericht.

Um auf Nummer sicher zu gehen, tragen Toni und Lino dennoch Handschuhe und lassen das Coca-Cola-Plakat zusammengerollt im Kasten stecken. So kann ihnen kein Diebstahl vorgeworfen werden. Und sie tragen ihre »Unsichtbarkeitsmäntel«, so nennt Toni die orangen Warnwesten, die den Eindruck erwecken, sie seien Beschäftigte eines Unternehmens, das die Plakate regulär austauscht. Nach einer Stunde sind die beiden fertig und die Stadt ist um ein paar Schmunzler reicher.

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