Hauptsache Steuern senken

Liz Truss wird wohl neue Premierministerin in Großbritannien. Welche Politik ist von ihr zu erwarten?

  • Peter Stäuber
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Amtszeit des einstigen Superstar-Politikers hat sich am Ende einfach totgelaufen. In den vergangenen Wochen war Boris Johnson – immerhin noch amtierender Premierminister – kaum zu sehen. Zweimal war er in den Ferien und wenn ihn die Presse auf die etlichen Krisen ansprach, die auf das Land zukommen, winkte er ab: Dafür sei er nicht mehr zuständig, sein Nachfolger werde schon die richtigen Ideen haben. Irgendwie hatte er keine Lust mehr aufs Regieren. Das ist in gewisser Hinsicht auch stimmig. Johnson war getrieben von Ehrgeiz, er schien das eigentliche Geschäft des Regierens weit weniger zu genießen als die Tatsache, dass er sich Premierminister nennen konnte.

Aber auch damit wird es am Montag vorbei sein. Dann werden die Tory-Granden bekannt geben, wer denn nun Johnsons Nachfolge antritt. Es dürfte keine Überraschung werden: Wie zu Beginn des Wahlkampfs Mitte Juli ist die bisherige Außenministerin Liz Truss klare Favoritin, sie liegt in Umfragen deutlich vor ihrem Rivalen Rishi Sunak. Das Duell der vergangenen Wochen war ein wenig erbauliches Spektakel. Es gab Fernsehdebatten und Wahlkampfanlässe zuhauf, von Cornwall im Südwesten bis hinauf nach Schottland haben sich die beiden von den Fragen von Journalisten und Parteigängern durchlöchern lassen. Viel Neues aber hat der Sommer nicht gebracht.

Sunak hat aus allen Rohren gefeuert, er warf Truss »Fantasie-Ökonomie« und unangebrachten Optimismus vor. Auch grub er Vorschläge tief aus der rechtskonservativen Ideenkiste aus, um sich den Vorhaltungen zu erwehren, er sei linker als seine Rivalin; so hat er beispielsweise versprochen, dass Leute, die »Großbritannien verunglimpfen«, bestraft werden sollen. Genützt hat das alles nichts: Laut Umfragen liegt Liz Truss mehr als 20 Prozentpunkte vor Sunak, in Westminster bezweifelt niemand mehr, dass sie am Montag zur neuen Premierministerin gekürt wird.

So hat das Land bereits angefangen, nach vorne zu blicken: Wie wird Truss regieren? Wen wird sie ins Kabinett berufen? Wie wird sie die verschiedenen Krisen, auf die Großbritannien zusteuert, meistern? Nach allem, was sie in den vergangenen Wochen hat durchblicken lassen, wird die Truss-Regierungszeit weitgehend eine Fortsetzung der Johnson-Jahre. Ein anonymer ehemaliger Kabinettskollege meinte wenig schmeichelhaft, die angehende Regierungschefin sei »wie Boris, aber ohne den Charme«.

»Stärke ist das
Einzige, was die EU versteht.«

Auf jeden Fall ist Truss eine überzeugte Brexit-Anhängerin. Sie stimmte beim Referendum vor sechs Jahren zwar für den Verbleib in der EU, aber mittlerweile ist sie sich sicher, dass der Austritt die richtige Entscheidung war. »Wir werden die Brexit-Freiheiten nutzen, um Investitionen zu entfesseln«, sagte sie Anfang dieser Woche bei einem Wahlkampfauftritt. Das heißt etwa, dass vermeintlich unnötige Regulierungen über Bord geworfen werden sollen.

Auch will sie Johnsons kampflustigen Kurs gegenüber der EU weiterführen. Immerhin war es Truss selbst, die als Außenministerin das kontroverse Gesetz, das Teile des Nordirland-Protokolls aushebelt, vorlegte. Das Abkommen regelt seit 2021 den Grenzverkehr zwischen dem zur EU gehörenden Irland und dem britischen Nordirland. Laut Experten verstößt die Vorlage gegen internationales Recht und sorgt in Brüssel für tiefe Konsternation. Truss aber sagt: »Stärke ist das Einzige, was die EU versteht.« Kürzlich meinte sie sogar, sie würde die Suspendierung des gesamten Protokolls in Erwägung ziehen, sollte sie zur Premierministerin gewählt werden.

Die Inflation beträgt
bereits über zehn Prozent

Auch in der Migrationspolitik versuchte Truss, Härte zu zeigen. Die Bootsflüchtlinge, die über den Ärmelkanal nach Großbritannien gelangen, sind der Tory-Basis seit langer Zeit ein Dorn im Auge. Entsprechend versuchte Truss zu beschwichtigen: Sie werde alles unternehmen, um Menschen vor der Überfahrt abzuhalten. Sie will etwa die Grenzwache aufstocken: »Dies ist der einzige Weg, Schmuggler abzuschrecken und die kleinen Boote zu stoppen«, behauptet sie. Auch will sie das – erneut überaus kontroverse – Programm zur Abschiebung von Flüchtlingen nach Ruanda ausbauen.

In der öffentlichen Debatte in Großbritannien sind diese Fragen derzeit eher nebensächlich. Die Briten sind voll und ganz auf die schwarzen Wolken fixiert, die am wirtschaftlichen Horizont aufgezogen sind: Hohe Inflation – sie beträgt bereits über zehn Prozent – und der dramatische Anstieg der Energiepreise ab Oktober drohen die tiefste Krise seit Jahrzehnten auszulösen. Selbst nüchterne Beobachter warnen vor sozialen Unruhen, wenn der Staat nicht mit einem dicken Rettungspaket für Haushalte und Unternehmen einspringt. Der ehemalige Tory-Politiker und Journalist Paul Goodman sagte kürzlich, die neue Premierministerin werde bald »in einem ökonomischen Blizzard verschwinden«.

Was sie genau tun will, um diesen Sturm zu überstehen und den landesweiten Notstand abzuwenden, das hat Truss bisher noch nicht verraten. Ihre Wirtschaftspolitik ist vor allem von einem Ziel geleitet: Steuersenkungen. Sie sollen die Wirtschaft ankurbeln und das darauf folgende Wachstum würde den Leuten helfen, die steigende Inflation zu meistern. Ökonomen warnen jedoch, dass dies kaum ausreichen werde. Auch die Energieversorger haben die Regierung aufgefordert, mehr Unterstützung für ihre Kunden bereitzustellen. Die britische Presse berichtet, dass sich das Beraterteam rund um Truss dessen durchaus bewusst ist – derzeit würden verschiedene Optionen durchgespielt, wie man den Verbrauchern am besten unter die Arme greift.

Allerdings kann Truss nicht zu lange warten. Im Land wächst die Ungeduld, man könnte sogar sagen: Es brodelt. Die Streikwelle hält ungebrochen an, die Kampagne zur Nicht-Zahlung der Energierechnungen nimmt weiter Fahrt auf, und die »Enough is Enough«-Bewegung (»Genug ist genug«), die sich für Lohnerhöhungen und ein Einfrieren der Strom- und Gaspreise einsetzt, findet hunderttausendfach Zuspruch. »Die Briten sind bekannt als phlegmatisches Volk«, schreibt das liberale Magazin »The New Statesman«. »Aber wir könnten bald feststellen, dass der Bogen selbst für die Briten irgendwann überspannt ist.«

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