Schornsteinfeger in Verruf

In Berlin hat das Ausbildungsjahr begonnen, doch viele Stellen bleiben leer

In den Gropius Passagen im Süden Neuköllns scheinen die Ausbildungsangebote am Freitag förmlich aus dem Boden zu sprießen. Wie kleine Büsche wirken die mit Ausschreibungen dicht behangenen Ständer, die auf den Gängen des größten Einkaufszentrums der Hauptstadt stehen. Immer wieder halten Interessierte an und blättern durch die laminierten Zettel, die für die Berliner Ausbildungsmesse "Shop a Job" hergerichtet wurden.

"Wir wohnen hier gerade um die Ecke und wussten eigentlich nicht, was hier los ist", sagt eine Mutter zu "nd", die anonym bleiben möchte und eigentlich nur mit ihrer Tochter einkaufen gehen wollte. Nun wühlen sich beide konzentriert durch das Zetteldickicht. "Wir suchen nach einem 450-Euro-Job, bis jetzt war aber noch nichts dabei." Zwar habe die 17-jährige Tochter bereits einen Ausbildungsplatz gefunden, brauche aber Arbeit, um die Zeit bis dahin zu überbrücken.

Neben Aushängen sind es über 70 Unternehmen, die mit Ständen in den Gropius Passagen vertreten sind. Das Interesse im Vergleich zur letzten Messe vor der zweijährigen Corona-Pause ist, dem Veranstalter Job Point Berlin zufolge, deutlich gestiegen. Kein Wunder, denn die Pandemie hat den Berliner Arbeitsmarkt ordentlich durchgeschüttelt: Wie die Berliner Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit jüngst mitteilte, bleiben etliche Ausbildungsplätze zu Beginn des neuen Ausbildungsjahres leer. Und das, obwohl auf die rund 5600 unbesetzten Stellen mehr als 6000 Jugendliche kämen, die eigentlich auf der Suche sind.

"Viele Shopbesitzer kamen während der Messe auf uns zu und haben danach gefragt, wie sie noch einen Stand bekommen könnten. Das ist neu", sagt Denise Schütte, Projektleiterin von Job Point Berlin, der "Shop a Job" organisiert. Zugleich bedeute das aber auch, dass sich manches Unternehmen erst jetzt Gedanken darüber mache, aktiv zu werden.

Nach dem ersten der beiden Messetage hätten die meisten Unternehmen eine positive Rückmeldung gegeben, sagt Schütte. Trotzdem spüre man bei den Unternehmen, die suchen, die Auswirkungen der Corona-Pandemie: "Viele haben während Corona Stellen abbauen müssen, die sie nun wieder besetzen wollen. Aber die Leute sind mittlerweile in andere Branchen abgewandert."

Auf der Messe sei das vor allem im Handel spürbar. Ein anderes Sorgenkind bleibt das Handwerk: "In Gesprächen mit Handwerksbetrieben kam raus, dass die so ein bisschen geknickt waren, weil es nicht so lief, wie sie es sich erhofft hatten."

Auch am Stand des Jobcenters ist die Rede vom schlechten Image der Handwerksberufe, das nach wie vor die Runde macht. "Der Ruf ist noch derselbe wie vor zehn Jahren", sagt eine Vertreterin, die ebenfalls nicht mit Namen genannt werden möchte. Viele wollten lieber studieren. "Es heißt, das Handwerk ist schmutzig und hat nichts mit moderner Technik zu tun." Aber der moderne Schornsteinfeger zeige: "Das ist heute nicht mehr so."

Das Jobcenter zieht eine positive Bilanz aus der Messe. Und doch hat die Pandemie offenbar nicht nur dafür gesorgt, dass Menschen ihre Stellen verloren und sich mittlerweile an anderen Arbeitsplätzen wohlfühlen. "Wir beobachten auch viele Wechselwünsche, weil die Belastung zu hoch ist", heißt es am Stand des Jobcenters. Wenn offene Stellen nicht besetzt würden, steige der Druck. Viele junge Menschen seien nicht mehr bereit, sich solchen Bedingungen auszusetzen.

Hinzu kommt laut der Jobcenter-Vertreterin der Verdruss darüber, immer mehr Zeit im Homeoffice zu verbringen. "Nicht alle sind glücklich damit, wenn sie mehr von zu Hause aus arbeiten müssen", sagt sie. "Manche entfernen sich in diesem Klima von ihrem Arbeitsumfeld und suchen nach etwas Neuem." Hiervon könnten ausbildende Unternehmen auf ihrer Suche nach Azubis also profitieren. Ganz ohne neue Anreize zu schaffen und selbst den Kontakt zu suchen, wird es wohl trotzdem nicht funktionieren.

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