Der einsame Welterklärer

Werner Herzog zum 80. Geburtstag

  • Frank Willmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Werner Herzog wird an diesem Montag 80. Sein runder Geburtstag wird begleitet von seinen frisch erschienenen Erinnerungen »Jeder für sich und Gott gegen alle«, einer dieser starken Herzogsätze, die er uns immer wieder um die Ohren hämmert.

Die Neugier ist Herzogs stärkste Antriebskraft, die Neugier auf extreme Menschen und ihre Geschichten, Neugier auf Gefahr und Apokalypse. Männer in außergewöhnlichen Situationen, wo der Bruder Wahnsinn heißt und die Schwester Mord. Einer seiner wichtigsten Schauspieler, der diese Männerfigur filmisch besonders gut darstellte, war der begnadete Wüterich Klaus Kinski, der wie Herzog als junger Mensch von schweren Kriegstraumata heimgesucht wurde. Herzogs früheste Kindheitserinnerung ist das brennende Rosenheim, Kinski wurde 1944 als 16-Jähriger zur Wehrmacht eingezogen. Er zauberte später als Mime brachial Herzogs inneren Psychopathen in den fünf bekanntesten Filmen des Regisseurs auf die Kinoleinwand. Ihre künstlerische Beziehung war geprägt von Liebe, Hass und tiefem Verständnis. Das Resultat war Filmkunst für die Ewigkeit. Kongenial umgesetzt wird diese Beziehung in Herzogs Dokumentarfilm »Mein liebster Feind«. Unvergessen die Szene, wo ein Schmetterling Kinski umschwirrt und dieser, gefangen in Mordfantasien, sich in einer Sekunde freut wie ein kleines Kind und in der nächsten die blanke Mordlust seine Züge verdüstert.

Noch nicht volljährig, erlebte Herzog auf dem Meer vor Kreta, über sich den Dom des Weltalls, unter sich die Tiefe des Ozeans, sein Geschick in Form unendlich vieler silbern blitzender kleiner Fische: »Ich war mir sicher, dass ich hier und jetzt alles wusste. Mein Schicksal war mir offenkundig.« Gestärkt durch das Erwachen seiner künstlerischen Seele ging es mächtig voran. Mit 19 veröffentlichte er seinen ersten Kurzfilm, der den programmatischen Titel »Herakles« trug.

Er drehte über 70 Filme, inszenierte Opern, schrieb Bücher, wurde vielfach geehrt und spielt noch heute gern in Nebenrollen den Bösewicht im Mainstreamschrott aus Hollywood, immer dem Motto treu: »Nicht, dass ich diese Welt gefürchtet hätte, sie machte mich neugierig.«

Seine Erinnerungsprosa beschreibt in lyrischen Worten und beängstigend die schwere Kindheit und seine künstlerische Suche nach einer einfachen Art des Erzählens. Er sieht sich, ganz stranger Hirt seiner Vision, als bayerischer Regisseur und weiß, wer im Dienst der Filmkunst nicht Dokumente fälschen kann und befähigt ist, Schlösser zu knacken, steht auf verlorenem Posten.
Herzogs Sprache hat zuweilen einen kriegerischen Sound, sieht er sich doch als Soldat des Kinos, der zur Not in die Hölle hinabsteigen würde, um Satan einen Film abzuringen. Seine Inszenierung der Wagneroper »Lohengrin« steht neben den Simpsons (der US-amerikanischen Comicserie), denen Herzog dreimal im englischen Original »seine Stimme lieh«. Herzog sprengt in seinen Werken beiläufig Genregrenzen wie andere ihren Garten, so auch in seinen Memoiren, die er mitten im Satz enden lässt: »… weil ich vor dem Fenster etwas aufblitzen sah, etwas, was auf mich zuschoss, kupfern und hellgrün glänzend. Es war aber keine verirrte Feindkugel, sondern ein Kolibri. Ich entschloss mich in diesem Moment, nicht weiterzuschreiben.«

Herzog ist auch in seinen Erinnerungen ein Solitär, der uns die Schönheit und den Hauch des Wahnsinns spüren lässt. Er ist zärtlich und sanft zu uns unschuldigen Leser*innen, um uns im nächsten Moment leidenschaftlich die Klinge ins Herz zu stoßen. Seine Memoiren sind ein großartiges Leseerlebnis.
Und sonst? »Ich vermeide den Kontakt mit Fans. Ich sehe ab und zu Trash-TV, weil ich der Ansicht bin, dass der Dichter seine Augen nicht abwenden darf. Ich will wissen, in welcher Welt der Sehnsüchte ich lebe.«

Werner Herzog: Jeder für sich und Gott gegen alle: Erinnerungen. Verlag Carl Hanser,‎ 352 S., geb., 28 €.

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